Der Widerrufsbutton für alle Fernabsatzverträge ist einen deutlichen Schritt näher gerückt
Das „nächste große Ding“ im Ecommerce dürfte der Widerrufsbutton werden, durch den Verträge mit einem Klick elektronisch widerrufen werden können sollen. Das EU-Parlament hat Anfang Oktober 2023 nun die Richtlinie verabschiedet, mit welcher der neue Widerrufsbutton eingeführt werden soll. Damit wird die Sache langsam konkret. Was droht dem Onlinehandel?
Inhaltsverzeichnis
Zum Hintergrund
Verbrauchern steht bei Käufen im Internet in aller Regel ein Widerrufsrecht zu, wenn der Verkäufer als Unternehmer handelt.
Dieses Widerrufsrecht kann seit jeher einfach durch eine Erklärung mindestens in Textform (etwa in Form einer Email) wirksam ausgeübt werden. Freilich auch durch Erklärung in Schriftform (z.B. in Form eines Briefes). Und seit dem 13.06.2014 sogar formlos, durch einen Anruf beim Verkäufer.
Um es dem „hilflosen“ Verbraucher noch einfacher zu machen, existiert ebenfalls seit dem 13.06.2014 für Händler die Pflicht, diesem ein „Muster-Widerrufsformular“ bereit zu stellen.
Kurzum: Der Verbraucher verfügt Stand heute bereits mehrere, effektive Möglichkeiten, sein Widerrufsrecht auszuüben.
Doch dem EU-Gesetzgeber geht dieser Verbraucherschutz noch nicht weit genug:
Künftig soll dem Verbraucher zudem noch eine Schaltfläche (z.B. auf der Webseite des Händlers) zur Verfügung stehen, durch deren Anklicken er wirksam den Widerruf des geschlossenen Vertrags erklären können soll. Aller Voraussicht nach werden Online-Händler künftig dem Verbraucher also auch noch einen Widerrufsbutton zur Verfügung stellen müssen.
Dazu hatte die EU-Kommission am 11.05.2022 einen Vorschlag zur Änderung der Verbraucherrechterichtlinie (VRRL – 2011/83/EU) sowie zur Aufhebung der Finanzdienstleistungsrichtlinie (2002/65/EG) vorgelegt.
Dabei war die Zielsetzung zunächst, durch die Einführung des Widerrufsbuttons Verbraucher vor komplexen und möglicherweise nur schwer verständlichen Finanzprodukten zu schützen (etwa Verbraucherkreditverträge). So sah der ursprüngliche Vorschlag vor, (nur) bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen den Widerrufsbutton zur Verfügung zu stellen.
Dieser Ansatz war für den Online-Handel „ungefährlich“, da bis auf das Anbieten von Finanzierungsprodukten für den Warenverkauf gar nicht relevant.
Der Ausschuss der Ständigen Vertreter hat im Februar 2023 dann eine Ausweitung der Pflicht zum Vorhalten des Widerrufsbuttons hin auf alle Fernabsatzverträge, die online geschlossen werden, vorgeschlagen.
Damit wurde der kommende Widerrufsbutton nun schlagartig zum Thema für jeden Online-Händler, da jeder online geschlossene Kaufvertrag mit einem Verbraucher davon betroffen sein würde.
Motiv des EU-Gesetzgebers: Ein Widerruf soll genauso leicht möglich sein wie der Abschluss des Vertrags selbst.
Wir haben über das Vorhaben bereits hier umfassend berichtet gehabt.
Warum das nächste große Ding?
Das Europäische Parlament hat diesen auf alle Fernabsatzverträge erweiterten Vorschlag nun am 05.10.2023 in erster Lesung gebilligt.
Die Hoffnung, dass der Widerrufsbutton für alle Fernabsatzverträge doch nicht kommen wird, schwindet folglich.
Im vom Parlament angenommenen Text heißt es dahingehend zum neu in die VRRL einzuführenden Artikel 11a:
Artikel 11a
Ausübung des Widerrufsrechts bei Fernabsatzverträgen, die über eine Online-Benutzeroberfläche geschlossen werden
(1) Bei Fernabsatzverträgen, die über eine Online-Benutzeroberfläche geschlossen werden, stellt der Unternehmer sicher, dass der Verbraucher den Vertrag auch widerrufen kann, indem er eine Widerrufsfunktion benutzt.
Die Widerrufsfunktion wird gut lesbar mit den Worten „Vertrag widerrufen“ oder einer entsprechenden eindeutigen Formulierung gekennzeichnet. Die Widerrufsfunktion ist während der gesamten Widerrufsfrist durchgehend verfügbar. Sie ist auf der Online-Benutzeroberfläche hervorgehoben platziert und für den Verbraucher leicht zugänglich.
Für alle Online-Händler, die (auch) mit Verbrauchern online Verträge schließen, wird der Widerrufsbutton damit zum nächsten großen Ding.
Die Pflicht zur Einführung des Widerrufsbuttons wird Akteure im Ecommerce auf vielen Ebenen ordentlich Arbeit bereiten.
Die (technischen) Anforderungen an einen Widerrufsbutton, wie ihn sich der EU-Gesetzgeber wünscht, sind dabei zum einen nicht zu Ende gedacht und zum anderen praxisfern.
Es ist davon auszugehen, dass der neue Widerrufsbutton für nahezu jeden Online-Händler erhebliche Herausforderungen mit sich bringen wird.
Voraussichtlich werden sich die Betreiber von Online-Verkaufspräsenzen auf ähnlich stressige Tage wie seinerzeit im Juni 2014 zur Umsetzung der VRRL, im Januar 2016 zur Umsetzung der OS-Plattform-Informationspflicht oder im Mai 2018 zur Anpassung der Onlinepräsenz in Sachen DSGVO einstellen müssen.
Wichtig wird es sein, frühzeitig die Herausforderungen zu kennen, technische Probleme im Vorfeld abzuklären (z.B. mit dem jeweiligen Shopsystem-Anbieter) und rechtzeitig mit der Implementierung des Widerrufsbuttons zu beginnen.
Die IT-Recht Kanzlei informiert, begleitet und unterstützt, ihre Update-Service-Mandanten hierbei selbstverständlich fortlaufend.
Das kommt auf den Online-Handel zu
Was auf den ersten Blick nur wie die Einführung eines weiteren Buttons auf der eigenen Webseite klingt, wird in der Praxis auf vielen Ebenen für Umsetzungsaufwand und etliche (technische) Probleme sorgen.
Etwa mit den folgenden Aspekten muss sich jeder Online-Händler, der (auch) gegenüber Verbrauchern anbietet, beschäftigen:
- Wie läuft die technische Implementierung des Widerrufsbuttons auf der eigenen Webseite ab (Programmieraufwand / externe Hilfe wohl in vielen Fällen erforderlich)?
- Wie läuft dies bei technisch nicht frei gestaltbaren Shops ab, etwa bei SaaS-Shoplösungen wie Shopify?
- Wie werden Plattformbetreiber (etwa Amazon, eBay, etsy) das Thema umsetzen, da hier der einzelne Marktplatzhändler keinerlei technische Einwirkungsmöglichkeit hat?
- Wie kann sichergestellt werden, dass der Widerrufsbutton bei vom Widerrufsrecht ausgeschlossenen Produkten nicht angezeigt wird (z.B. bei Anfertigung nach individueller Kundenspezifikation)?
- Wie kann sichergestellt werden, dass der Widerrufsbutton (nur) während des Laufs der Widerrufsfrist angezeigt wird (also weder kürzer, noch länger)?
- Wie kann bei einem vorzeitigen Erlöschen des Widerrufsrechts (z.B. Entsiegelung versiegelter Hygieneprodukte) verfahren werden?
- Wie können Teilwiderrufe abgewickelt werden (Verbraucher will nur einen Teil seiner Bestellung widerrufen), da Button erst einmal auf den gesamten Vertrag abzielt?
- Wie werden die notwendigen Informationen abgefragt und verarbeitet, damit sich der Nutzer „identifizieren“ kann (etwa Angabe des Namens, Angabe von Identifikationsmerkmalen wie Bestellnummer, Kundennummer, Angabe des gewünschten Kommunikationskanals für die Eingangsbestätigung des Widerrufs)?
- Wie wird die Betätigung des Widerrufsbuttons korrekt in das Shopsystem übermittelt (zur Veranlassung der notwendigen Schritte, etwa Übermittlung eines Retourenetiketts)?
- Wie wird die notwendige Bestätigung des erfolgten Widerrufs via Button technisch realisiert (etwa Versand einer Bestätigungsemail nach Betätigen des Buttons)?
- Wie passe ich meine Rechtstexte (insbesondere die Widerrufsbelehrung) hinsichtlich der neuen Informationspflicht zum Widerrufsbutton an?
Die IT-Recht Kanzlei wird ihren Update-Service-Mandanten selbstverständlich, sollte der Widerrufsbutton tatsächlich für alle Online-Kaufverträge kommen, rechtzeitig entsprechend angepasste Rechtstexte zur Verfügung stellen und die Mandanten mit ausreichend Vorlauf informieren, damit diese die neuen Vorgaben ohne Zeitdruck umsetzen können.
Hinweis: Der Zeithorizont für das Spruchreifwerden des Themas „Widerrufsbutton“ bewegt sich Stand heute (Oktober 2023) in einer Größenordnung von mehr als 2 ½ Jahren, so dass sich Händler voraussichtlich ab Anfang 2026 mit der Problematik vertieft auseinandersetzen werden müssen.
Leider: Probleme, Probleme und nochmal Probleme
Der Widerrufsbutton wird in der Praxis zu zahlreichen Herausforderungen führen.
Voraussichtlich die größten Probleme wird die „synchrone“ Anzeige des Widerrufsbuttons (nur) während des Laufs der Widerrufsfrist bereiten. Herausforderung ist dabei, dass der Lauf der Widerrufsfrist dynamisch ist und erst mit Übergabe der Ware an den Verbraucher beginnt.
Hier wäre eine Echtzeitüberwachung von Trackingdaten erforderlich, um den Fristlauf korrekt abbilden zu können. Wie eine zuverlässige Lösung aber aussehen soll bei gar nicht trackbaren Sendungen oder Sonderkonstellationen wie Teillieferungen oder Nachbarzustellung, das weiß man wohl nur in Brüssel bzw. man hat sich dazu schlicht keine Gedanken gemacht.
Auch müssten für die Berechnung des Fristendes und damit die Anzeigedauer des Buttons Besonderheiten wie regionale Feiertage abgebildet werden.
Denn: Wird der Widerrufsbutton zu kurz angezeigt, dürfte dies einen abmahnbaren Wettbewerbsverstoß darstellen. Wird er vom Händler dagegen zu lange dargestellt, wird man dies als freiwillige Verlängerung der eingeräumten Widerrufsfrist ansehen können (also eine Sache, die kein Verkäufer will).
Für zahlreiche Probleme wird der Widerrufsbutton auch im Bereich von Waren sorgen, die einer Ausnahme vom Widerrufsrecht unterfallen.
Hier gibt es ganz klare Fälle, etwa den nach konkretem Kundenwunsch bedruckten T-Shirt. Wird ein solches einzeln bestellt, darf kein Widerrufsbutton dargestellt werden, da ganz klar kein Widerrufsrecht besteht, sofern der Verbraucher hierüber in der Widerrufsbelehrung informiert worden ist.
Was aber, wenn der Kunde dieses T-Shirt und ein paar Socken von der Stange bestellt hatte? Dann müsste der Widerrufsbutton ja eingeschränkt auf den Part „Socken“ dargestellt werden.
Ferner gibt es natürlich „Grenzfälle“, in denen nicht eindeutig klar ist, ob ein Ausschluss vom Widerruf gegeben ist oder nicht. Hier müssen Händler künftig Farbe bekennen, und sich entscheiden, ob sie einen Widerrufsbutton darstellen oder nicht.
Kurios wird es bei Konstellationen, in denen eine Handlung des Verbrauchers das Widerrufsrecht vorzeitig zum Erlöschen bringt: Bestellt er etwa eine versiegelte Ware, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet ist, und entfernt das Siegel nach Lieferung, aber vor Ablauf der Widerrufsfrist, erlischt das Widerrufsrecht vorzeitig. Nur: Wie soll der Händler hiervon erfahren? Stellt er dann weiterhin brav den Widerrufsbutton dar, könnte man dies als Einräumung einer doch noch bestehenden, freiwilligen Widerrufsmöglichkeit ansehen.
Einigen Ärger werden auch Plattformverkäufer mit dem Widerrufsbutton haben. Hier bleibt nur zu hoffen, dass die Plattformbetreiber die großen Anforderungen rechtzeitig auf dem Schirm haben und für die Händler bis zum Stichtag und vor allem korrekt umsetzen werden.
Effektiver Verbraucherschutz oder zu viel des Guten?
Aus Verbraucherschutzsicht ist der Widerrufsbutton nur auf den ersten Blick ein großer Wurf.
Denn wer dem Verbraucher die Fähigkeit abspricht, nach den bereits jetzt zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auf einfache Weise effektiv von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen zu können, der entmündigt diesen fast schon.
Künftig kann der Verbraucher sich dann aussuchen, ob er für seinen Widerruf beim Händler anrufen, ihm eine Email oder einen Brief schicken, ein Fax senden möchte, der Rücksendung das ausgefüllte Muster-Widerrufsformular beifügen oder doch lieber den Widerrufsbutton drücken möchte.
Ganze sechs Wege, die in Summe eher für Verwirrung als Erleichterung sorgen dürften.
Und nebenbei wird dem Verbraucher dabei auch an dieser Stelle eine wichtige Grundfertigkeit abtrainiert: Mit eigenen Worten das auszudrücken, was er möchte.
Dieser Effekt zeigt sich bereits durch den seit Juli 2022 im B2C-Bereich bei Dauerschuldverhältnissen geltende Pflicht zur Vorhaltung eines sogenannten Kündigungsbuttons.
Finden Verbraucher diesen Button nicht sofort, werden Anbieter kontaktiert, wie man denn nun kündigen könne und Diskussionen losgetreten, der Button sei zu versteckt etc. In dieser Zeit hätte man längst auch eine Email mit Erklärung der Kündigung an den Anbieter senden können.
In Relation zu dem enormen Implementierungsaufwand auf Händlerseite erscheint der Nutzen des neuen Buttons als sehr gering. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass kaum ein normaler Händler den Button so perfekt eingerichtet bekommen wird, dass dieser die gesetzlichen Anforderungen auch in Sonderkonstellationen wird erfüllen können (siehe nur Anzeige synchron zum Lauf der Widerrufsfrist).
Fazit
Noch ist einige Zeit hin, bis der Widerrufsbutton – wohl für alle online geschlossenen Fernabsatzverträge – kommen wird. Ab Anfang 2026 wird es wohl ernst werden.
Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Widerrufsbutton dann zur großen Herausforderung für nahezu jeden Online-Händler werden wird.
Die geplante Einführung des Widerrufsbuttons auch für „normale“ Fernabsatzverträge ohne Bezug zu einer Finanzdienstleistung erscheint überflüssig und vollkommen praxisfern. Die angedachten, gesetzlichen Vorgaben werden, wenn überhaupt, nur unter großer technischer Anstrengung umsetzbar sein.
Wie schon bei der Gestaltung der neuen Widerrufsbelehrung 2014 in Zuge der VRRL darf man sich auch hier die Frage stellen: Denkt man in Brüssel überhaupt so weit, ob die hochgesteckten Anforderungen in der Praxis von Unternehmen umgesetzt werden können?
Es bleibt zu hoffen, dass im weiteren Verfahren die enormen Praxisprobleme bei Ausweitung auf Fernabsatz-Kaufverträge doch noch erkannt werden und eine Korrektur erfolgt.
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4 Kommentare
Jemand müsste, die von euch schön aufgestellte Probleme, mal der EU vorlegen, dann würde die Sache gegessen sein, weil die niemals für alles Lösungen finden würden. Letztendlich aber wahrscheinlich einfach auf die Unternehmen abwälzen würden.
Beste Lösung, nicht in der EU verkaufen!
Gast Konten werden sonst zur Geschichte. Auch wenn ein Kunde einen günstigen Versand wie Warensendung oder Großbrief wünscht, ist das nicht umsetzbar, da keine Tracking ID und damit die Zustellung nicht dokumentiert wird.
Schon jetzt wird der Kunde dazu "erzogen" sich mit den AGB's und Widerrufsrecht gar nicht zu beschäftigen.
Die EU Kommission sollte mal die Einreichung von Beschwerden vereinfachen. Wir haben mal versucht eine Beschwerde über den Marktplatz etsy einzureichen, da dort viele gewerbliche Händler dort als private Verkäufer angemeldet sind. Wir sind da an den Hürden gescheitert.
Automatisierte Anfragen des Verkäufers an den Käufer, ob dieser die Ware nicht doch lieber zurück geben möchte, turnus-mäßig mindestens 3x innerhalb der Widerrufsfrist, auch mit einfachem Butto, welcher dann vollautomatisch das teuerste Versandlabel zu Lasten des Verkäufers nebst automatischer Erstattung beim ersten Scan Vorgang müssen noch her.
Es gibt noch einen weiteren wichtigen Aspekt.
In vielen Shops kann der Kunde ja "als Gast bestellen". Wenn der Kunde also z.B. nicht einen Account für den Shop anlegen möchte.
Diese Gast-Möglichkeit wäre ja mit so einem Widerrufsbutton auch unmöglich. Somit würde der Gesetzgeber quasi alle Kunden "zwingen", immer einen Account für alle Shops anzulegen.
Lässt sich dieser Zwang rechtlich überhaupt damit vereinbaren?
Gruß
Ingo