Kein Widerrufsrecht bei Rechtsmissbrauch durch Verbraucher
Die Ausübung des Widerrufsrechts kann in manchen Fällen als rechtsmissbräuchliches Verhalten des Verbrauchers anzusehen sein, mit der Folge, dass Verbrauchern kein Widerrufsrecht mehr zusteht. Wir erläutern in diesem Beitrag anhand einer aktuellen Entscheidung des OLG Koblenz, wann dies der Fall ist und worauf Händler unbedingt achten sollten.
Inhaltsverzeichnis
- I. Wann steht Verbrauchern (k)ein Widerrufsrecht zu?
- II. Worin könnte ein rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Verbrauchers zu sehen sein?
- III. Was genau an diesem Verhalten des Verbrauchers ist rechtsmissbräuchlich?
- IV. Hatte der Verbraucher sein Widerrufsrecht überhaupt fristgerecht ausgeübt?
- V. Was bedeutet dies für Händler?
I. Wann steht Verbrauchern (k)ein Widerrufsrecht zu?
Das EU-Verbraucherschutzrecht sieht in vielen Konstellationen ein Widerrufsrecht für Verbraucher vor. Dies gilt nach § 312g Abs. 1 BGB etwa bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen.
Nicht immer steht Verbrauchern das Widerrufsrecht bei solchen Verträgen aber tatsächlich zu. Zum einen ist das Widerrufsrecht bei manchen Arten von Verträgen bereits ausdrücklich von Gesetzes wegen ausgeschlossen (s. hierzu die Regelungen in § 312g Abs. 2 BGB) . So etwa bei Verträgen zur Lieferung von Waren, die schnell verderben können oder deren Verfallsdatum schnell überschritten würde (§ 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB) oder etwa auch bei Verträgen zur Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Beherbergung, also etwa Hotelbuchungen (§ 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB) .
Daneben gibt es aber auch noch weitere, nicht ausdrücklich im Gesetz geregelte Konstellation, in denen Verbrauchern trotz ggf. ausdrücklicher Widerrufs-Vorschriften im Gesetz tatsächlich nicht auf ein Verbraucher-Widerrufsrecht berufen können. Dies gilt etwa bei missbräuchlichem Verhalten von Verbrauchern, wenn sich also die Ausübung des Verbraucher-Widerrufsrechts als rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 242 BGB erweist.
II. Worin könnte ein rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Verbrauchers zu sehen sein?
In einem kürzlich vor dem OLG Koblenz (Urteil vom 1. Juli 2022, Az. 8 U 841/21) entschiedenen Fall war der klagende Verbraucher die Ansicht, einen vor vielen Monaten geschlossenen Darlehensvertrag fristgemäß widerrufen zu haben. Er stützte seine Argumentation darauf, dass die erteilte Widerrufsbelehrung der beklagten Bank falsch gewesen sei und ihn nicht richtig über den Beginn der Widerrufsfrist informiert habe. Auch erklärte er, dass in dem Darlehensvertrag nicht vollständig über die Pflichtangaben belehrt worden sei und die Bank sich auch nicht auf die sog. Gesetzlichkeitsfiktion berufen könne.
Der Haken aber: Der ursprüngliche Darlehensvertrag war im Jahr 2017 zum Zwecke der Finanzierung eines Fahrzeugs zur privaten Nutzung geschlossen worden. Erst im Jahre 2019 hat der klagende Verbraucher die auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung widerrufen. Etwas mehr als zwei Jahre später, im Jahr 2021, schloss der Verbraucher dann einen weiteren Darlehensvertrag zur Finanzierung der Schlussrate und eines Kreditschutzbriefs-Beitrags ab. Von Seite der Bank und dem Verbraucher wurde bei beiden Verträgen als Sicherheit für die Ansprüche des Kreditgebers die Sicherheitsübereignung des im Jahr 2017 vom Verbraucher erworbenen Fahrzeugs festgelegt.
III. Was genau an diesem Verhalten des Verbrauchers ist rechtsmissbräuchlich?
Das Gericht hob zunächst hervor, dass der klagende Verbraucher durch den Widerruf des ursprünglichen Vertrages und den späteren Abschluss einer Anschlussfinanzierung selbst in einen unauflösbaren Selbstwiderspruch geraten sei. Denn er habe durch den zweiten Darlehensvertrag den ersten (widerrufenen) Vertrag indirekt bestätigt.
Seitens des Verbrauchers wurde außerdem bei Abschluss des zweiten Vertrags ein Sicherungsmittel zur Absicherung des Darlehens - nämlich die Sicherungsübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs - angeboten, das ihm bei einem wirksamen Widerruf an sich gar nicht zustehen würde. Der Verbraucher hätte das Eigentum an dem Fahrzeug nach seinem Widerruf eigentlich wieder an die Bank übertragen müssen, wodurch er eben dieses Fahrzeug nicht im Jahr 2021 als Sicherungsmittel hätte anbieten können.
Im Rahmen der Erwägungen gemäß Treu und Glauben nach § 242 BGB sah das Gericht die Interessen der beklagten Bank als vorrangig schutzwürdig an, da der klagende Verbraucher die Bank um die Einräumung eines weiteren Kapitalnutzungsrechts (Darlehensvertrag) ersucht habe, obwohl sie ihm deutlich zu erkennen gegeben hatte, dass sie den von ihm erklärten Widerruf nicht akzeptieren werde. Dieses Kapitalnutzungsrecht wurde dem Verbraucher auch antragsgemäß gewährt.
Das Gericht bewertete das Verhalten des kreditnehmenden Verbrauchers als widersprüchlich. Dadurch seien die Interessen der beklagten Bank erheblich beeinträchtigt worden. Dies sei ein Verstoß gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB, so dass der Verbraucher seine Ansprüche aufgrund seines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht geltend machen könne.
IV. Hatte der Verbraucher sein Widerrufsrecht überhaupt fristgerecht ausgeübt?
Mit der Frage, ob der Verbraucher im Zeitpunkt des Widerrufs diesen überhaupt noch fristgerecht habe ausüben können, hatte sich das Gericht ebenfalls beschäftigt.
Das Widerrufsrecht muss gemäß § 355 Abs. 2 BGB bei Verbraucherverträgen grundsätzlich innerhalb von 14 Tagen nach Vertragsschluss ausgeübt werden. Nach § 356 Abs. 3 S. 1 BGB beginnt diese Frist allerdings nicht
"bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 oder des Art. 246b § 2 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) unterrichtet hat."
Wird der Verbraucher somit von seinem Vertragspartner (dem Unternehmer) unzureichend oder erst gar nicht über das Widerrufsrecht ordnungsgemäß aufgeklärt, ist eine Verlängerung der Widerrufsfrist möglich. Jedoch erlischt dieses Recht gem. § §356 Abs. S. 2 BGB mittlerweile spätestens nach zwölf Monaten und 14 Tagen.
In dem Fall des OLG Koblenz urteilte das Gericht, dass der Darlehensvertrag nicht sämtliche nach Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB erforderlichen Pflichtangaben enthielt und deshalb die gesetzliche Widerrufsfrist noch nicht zu laufen begonnen habe. Die Begründung: Da die Bank ihre Verpflichtung, über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung zu unterrichten, nicht ordnungsgemäß erfüllt habe, habe die Widerrufsfrist gar nicht erst begonnen. Folglich blieb u.a. die Frage ob sich die Bank auf eine sog. Gesetzlichkeitsfiktion berufen könne, im weiteren Verlauf der Verhandlungen offen.
V. Was bedeutet dies für Händler?
Nicht immer wenn Verbraucher den Kaufvertrag widerrufen, müssen Händler dies auch akzeptieren. Es gibt Ausnahmefälle, in denen das Widerrufsrecht des Verbrauchers nach § 242 BGB ausgeschlossen ist, etwa wenn ein Verbraucher sich widersprüchlich oder auf sonstige Weise arglistig verhält. Denkbar könnte dies je nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls etwa sein, wenn ein Verbraucher einen gerade erst widerrufenen Vertrag noch einmal mit demselben abschließen möchte, etwa zu günstigeren Konditionen. Allerdings sollten sich Händler hier nicht zu viel Hoffnung machen: Die Rechtsprechung ist in aller Regel recht streng und nimmt nur in ganz wenigen außergewöhnlichen Einzelfällen tatsächlich ein treuwidriges Verhalten von Verbrauchern an.
In jedem Fall sollten Händler daher die Verbraucher im Rahmen ihrer Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß über das Verbraucher-Widerrufsrecht informieren, um die Widerrufsfrist in Gang zu setzen. Denn weist die Widerrufsbelehrung Mängel auf, kann sich in vielen Fällen die Widerrufsfrist verlängern, was Händler unbedingt vermeiden sollten. Denn in solchen Fällen haben Verbraucher länger Zeit, die Rückabwicklung von bereits abgeschlossenen und an sich auch schon vollständig abgewickelten Verträgen zum Nachteil der Händler zu fordern. Zudem werden falsche Widerrufsbelehrungen regelmäßig abgemahnt und führen zu unnötigen Rechtsverfolgungskosten und sonstigen Schäden auf Seiten von Händlern.
Die IT-Recht Kanzlei unterstützt ihre Mandanten mit der Erstellung und Pflege von Rechtstexten, Leitfäden und Mustern bei der ordnungsgemäßen Erstellung ihrer Widerrufsbelehrung und bei der sonstigen rechtlichen Absicherung ihrer Webshops und sonstigen Online-Präsenzen - etwa bereits im Rahmen des Starter-Pakets.
Tipp: Fragen zum Beitrag? Diskutieren Sie hierzu gerne mit uns in der Unternehmergruppe der IT-Recht Kanzlei auf Facebook .
Robert Kneschke / shutterstock.com
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