Neues EU-Produkthaftungsrecht im Anflug - auch Händler betroffen

Neues EU-Produkthaftungsrecht im Anflug - auch Händler betroffen
19.09.2024 | Lesezeit: 6 min

Das EU-Produkthaftungsrecht verpflichtet vor allem die Hersteller von Produkten. Bei bestimmten Produktfehlern haften Hersteller für durch ihre Produkte verursachte Schäden. Die EU plant nun eine Ausweitung des Produkthaftungsrechts, durch das künftig auch Händler betroffen sein können. Wir geben in diesem Beitrag einen ersten Überblick.

1) Produkthaftung des Herstellers - und des Händlers?

Nach dem Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz - ProdHaftG) sind Hersteller von Produkten unter bestimmten Umständen auch dann zum Schadensersatz verpflichtet, wenn ihnen in diesem Zusammenhang kein Verschulden zur Last fällt.

Das Produkthaftungsgesetz geht auf die EU-Richtlinie 85/374/EWG vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte zurück und findet daher im wesentlichen in allen EU-Mitgliedstaaten Anwendung. Nach § 1 Abs. 1 ProdHaftG ist der Hersteller eines Produkts grundsätzlich zum Schadensersatz verpflichtet, wenn durch den Fehler seines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Dabei ist nach § 4 Abs. 1 ProdHaftG derjenige Hersteller im Sinne des Produkthaftungsrechts, der das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt hergestellt hat. Als Hersteller gilt aber auch jeder, der sich durch das Anbringen seines Namens, seiner Marke oder eines anderen unterscheidungskräftigen Kennzeichens als Hersteller ausgibt. Zudem kann auch der EU-Importeur teilweise als Hersteller gelten.

Die EU strebt nun die Erweiterung des Produkthaftungsrechts an. Die Haftung für fehlerhafte Produkte soll sachlich, personell und in den finanziellen Auswirkungen ausgeweitet werden. Daher hat sie nun einen Entwurf für eine neue EU-Richtlinie zur Haftung für fehlerhafte Produkte vorgelegt.

2) Antworten auf die wichtigsten Fragen zur Reform des EU-Produkthaftungsrechts

1) Was ist ein Produkt im Sinne des Produkthaftungsrechts?

Der Entwurf sieht eine Ausweitung des Begriff des Produkts im Sinne des Produkthaftungsrechts vor.

Künftig werden neben den bereits erfassten Produktarten ausdrücklich auch Software, KI-Systeme, digitale Bauunterlagen und Rohstoffe wie Gas und Wasser vom Produktbegriff umfasst sein. Bislang waren diese Gegenstände noch nicht als Produkt im Sinne des Produkthaftungsrecht bestimmt. Es werden somit voraussichtlich auch Hersteller solcher Produkte vom EU-Produkthaftungsrecht umfasst sein.

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2) Was ist ein Produktfehler?

Nach der Definition des Entwurfs der neuen EU-Produkthaftungsrichtlinie gilt ein Produkt dann als mangelhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die die Breite Öffentlichkeit unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwarten kann.

Hierzu sollen nach dem Entwurf insbesondere zählen:

  • die Aufmachung des Produkts, einschließlich der Anleitung für Installation, Gebrauch und Wartung
  • die vernünftigerweise vorhersehbare Verwendung und Fehlanwendung des Produkts
  • die Auswirkung einer etwaigen weiteren Lernfähigkeit nach der Bereitstellung auf das Produkt
  • die Auswirkung anderer Produkte, von denen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie zusammen mit dem Produkt verwendet werden, auf das Produkt
  • der Zeitpunkt der Inverkehrbringung oder Inbetriebnahme des Produkts oder, sofern der Hersteller danach die Kontrolle über das Produkt behält, der Zeitpunkt, ab dem das Produkt die Kontrolle des Herstellers verlassen hat
  • die Produktsicherheitsanforderungen, einschließlich sicherheitsrelevante Anforderungen an die Cybersicherheit
  • alle Eingriffe einer Regulierungsbehörde oder eines Wirtschaftsakteurs in Bezug auf die Produktsicherheit und
  • die besonderen Erwartungen der Endnutzer, für die das Produkt bestimmt ist.

Vor diesem Hintergrund können künftig insbesondere auch Themen wie die mangelhafte (Cyber-)Sicherheit von vernetzten oder in sonstiger Weise digitalen Produkten zu einer Produkthaftung führen.

3) Wer haftet künftig für Produktfehler?

Der Entwurf der neuen EU-Produkthaftungsrichtlinie sieht vor, dass der Hersteller eines fehlerhaften Produkts für Schäden haftbar gemacht werden kann, die durch das Produkt verursacht werden.

Sitzt der Hersteller des fehlerhaften Produktes außerhalb der EU, sieht die Richtlinie weiter vor, dass auch der EU-Importeur und der EU-Bevollmächtigte für Schäden haftbar gemacht werden können. Unter Umständen können zudem auch Fulfilment-Dienstleister für Schäden haftbar gemacht werden, die durch von ihnen verarbeitete fehlerhafte Produkte verursacht werden.

4) Wer ist als Hersteller für Produkte verantwortlich?

Hersteller im Sinne der neuen EU-Produkthaftungrichtlinie ist jede natürliche oder juristische Person, die ein Produkt entwickelt, herstellt oder produziert oder entwerfen oder herstellen lässt.

Daneben ist Hersteller auch jede Person, die dieses Produkt unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarktet oder die ein Produkt für den eigenen Gebrauch entwickelt, herstellt oder produziert.

Als Hersteller gilt auch jede natürliche oder juristische Person, die ein bereits auf dem EU-Markt befindliches oder in Betrieb genommenes Produkt so verändert, dass die Veränderung nach den Gesetzen als wesentlich gilt und außerhalb der Kontrolle des ursprünglichen Herstellers vorgenommen wird. Wer Produkte also erheblich umgestaltet, gilt für das umgestaltete Produkt als dessen Hersteller und haftet für das veränderte Produkt.

5) Sind auch Händler betroffen?

Ja, auch Händler sind vom neuen EU-Produkthaftungsrecht betroffen.

Nach der geplanten EU-Produkthaftungsrichtlinie können auch Händler von fehlerhaften Produkten haftbar gemacht werden, wenn ein Hersteller des fehlerhaften Produkts, der EU-Importeur oder EU-Bevollmächtigte nicht identifiziert werden kann.

Eine verschuldensunabhängige Haftung von Händlern für fehlerhafte Produkte ist somit nicht ausgeschlossen. Allerdings dürfte sie in der Regel in der Praxis kaum zum Tragen kommen.

6) Welche Schäden werden abgedeckt?

Im Vergleich zum bisherigen Produkthaftungsrecht werden künftig neben Schäden im Zusammenhang mit dem Tod oder der Verletzung und Gesundheitsbeeinträchtigung von Personen sowie Sachschäden ausdrücklich auch psychische Beeinträchtigungen und Datenverluste vom Schadensbegriff umfasst sein. Somit können auch solche Schäden durch Produkte zu Schadensersatzzahlungen führen.

Auch werden Betroffene bei immateriellen Schäden künftig unter Umständen ein Schmerzensgeld verlangen können.

7) Welche Beweiserleichterungen gelten für Geschädigte?

Das neue EU-Produkthaftungsrecht sieht zudem eine prozessuale Besonderheit bei Schadensersatzprozessen vor.

So soll ein Gericht auf Antrag der geschädigten Person unter bestimmten Voraussetzungen den Beklagten dazu anweisen können, alle ihm zur Verfügung stehenden relevanten Beweismittel offen zu legen. Dadurch soll dem Geschädigten erleichtert werden, seinen Schaden ersetzt zu bekommen.

8) Wann wird das neue EU-Produkthaftungsrecht in Kraft treten?

Aktuell befindet sich die neue EU-Richtlinie zur Haftung für fehlerhafte Produkte noch im EU-Gesetzgebungsverfahren. Noch ist unklar, wann dieses Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sein wird.

Nach Verabschiedung der EU-Richtlinie auf Ebene der EU werden zunächst die Gesetzgeber der einzelnen EU-Mitgliedstaaten gefordert sein: Diese müssen die Richtlinie anschließend zunächst in nationales Recht umsetzen, um es wirksam werden zu lassen. Hierfür werden die Mitgliedstaaten voraussichtlich 24 Monate Zeit haben.

Vor diesem Hintergrund wird das neue EU-Produkthaftungsrecht frühestens wohl im Laufe des Jahres 2026 in Kraft treten können.

9) Müssen Hersteller / Händler bereits heute etwas tun?

Nein. Zunächst muss abgewartet werden, welche Regelungen die endgültige Fassung der geplanten EU-Produkthaftungsrichtlinie enthalten wird und wie der deutsche Gesetzgeber diese dann konkret in das deutsche Produkthaftungsrecht umsetzen wird.

3) Das Wichtigste in Kürze

  • Die EU arbeitet zur Zeit an einem neuen EU-Produkthaftungsrecht.
  • Der aktuelle Entwurf der EU-Richtlinie zur Haftung für fehlerhafte Produkte sieht eine Haftungserweiterung für Produktfehler vor.
  • Die Ausdehnung der Haftung betrifft sowohl die betroffenen Hersteller als auch die betroffenen Produkte und die Schäden, für die gehaftet wird. So können künftig unter Umständen auch Händler für Produktfehler zu Verantwortung gezogen werden.
  • Noch ist das neue EU-Produkthaftungsrecht nicht verabschiedet worden. Nach dessen Verabschiedung werden die EU-Mitgliedstaaten die neuen Regelungen in zunächst in das jeweilige nationales Recht umsetzen müssen.
  • Das neue EU-Produkthaftungsrecht wird voraussichtlich frühestens im Laufe des Jahres 2026 in Kraft treten.
  • Selbstverständlich werden wir unsere Mandanten über die relevanten Entwicklungen im EU-Produkthaftungsrecht auf dem Laufenden halten.

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