Bekanntmachung des Teilnahmewettbewerbs: welcher Umfang der Vergabeunterlagen genügt?
Die Auftragsbekanntmachung eines zweistufigen Vergabeverfahrens muss nicht vorsorglich alle für die Angebotsphase notwendigen Unterlagen enthalten. Diese Entscheidung hat das OLG Düsseldorf mit Beschl. v. 17.10.2018 – VII-Verg 26/18 gefällt. Der Beschaffer gewinnt Zeit und der Bieter trennt klar zwischen Bewerbung und Angebot. Voraussetzung bleibt aber, dass die Unterlagen für eine belastbare Entscheidung über die Teilnahme am Verfahren ausreichend sind. Wie praxisnah ist diese Vereinfachung für die Beschaffung von IT-Leistungen?
1. Bisherige Situation: Vollständigkeit bereitgestellter Vergabeunterlagen
Welche Angaben Vergabeunterlagen enthalten müssen, um dem Bieter eine Entscheidung über die Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen, beantwortet § 29 VgV lapidar mit dem Verweis auf die Erforderlichkeit. In der Regel handelt es sich um die Teilnahme- oder Angebotsaufforderung, die Bewerbungsbedingungen und die Vertragsunterlagen.
Doch in welchem Umfang müssen diese bereits im Auswahlverfahren eines zweistufigen Vergabeverfahrens bereitgestellt werden? Wie ist der Wortlaut von §§ 41 VgV, 41 SektV, 29 UVgO zu interpretieren? In der Praxis bestanden hierzu bisher Unsicherheiten.
Das OLG München (Beschluss vom 13.03.2017 Verg 15/16) weist zu § 41 Abs. 1 SektVO auf die amtliche Begründung zu dieser Vorschrift und zieht eine Parallele zu RiLi 2014/25/EU mit dem Ergebnis, dass für das zweistufige Verfahren die vollständigen Unterlagen bereits in der ersten Stufe vorliegen müssen. So sieht das im Wesentlichen auch das vergaberechtliche Schrifttum (vgl. Honekamp/Weyand in Greb / Müller, Sektorenvergaberecht, 2. Aufl, § 45 Rz. 20).
Beim Blick in die Praxis zeigen sich folgende Fragen:
- Wie sachgerecht ist dies einerseits im Hinblick auf regelmäßig im Laufe des Verfahrens erforderliche Änderungen der Unterlagen?
- Bei Auftragsbekanntmachung sind oft die Vertragsbedingungen nicht zu 100 % fertiggestellt sind. Verzögert diese Anforderung den Start eines Vergabeverfahrens nicht unnötig?
- Sind beispielsweise vollständige Vertragsunterlagen in jedem Einzelfall für eine belastbare Entscheidung des Unternehmens über die Teilnahme am Verfahren erforderlich? Es geht ja noch nicht um die Kalkulation der Preise und die Abgabe des Angebots.
- Liegen vollständige Vertragsunterlagen bereits im Auswahlverfahren vor, fragen sich Unternehmen, ob sie diese bereits im Teilnahmewettbewerb vollständig prüfen und etwaige Vergabeverstöße rügen müssen. Ist das der Sinn des Teilnahmewettbewerbs?
2. Entscheidungserhebliche Informationen für die Teilnahme: nicht unbedingt Vertragsbedingungen
Das OLG Düsseldorf macht in seinem Beschluss vom 17.10.2018 mit folgenden Leitsätzen den Weg frei für eine sachgerechte Handhabung nach folgenden Kriterien:
Leitsatz (redaktionell)
Im vom Gericht entschiedenen Sachverhalt hat der bisherige Reinigungsdienstleister die Abgabe eines Teilnahmeantrags abgelehnt und ein Nachprüfungsverfahren wegen Verstoßes gegen § 41 Abs. 1 VgV angestrengt, weil es zwar in der Phase des Auswahlverfahrens Zugang zu Leistungsbeschreibung und Teilnahmebedingungen mit Wertungsmethodik erhielt, aber keine Vertragsbedingungen zur Verfügung gestellt wurden.
In Bezug auf die Frage, welche Unterlagen der Reinigungsdienstleister für eine belastbare Teilnahmeentscheidung benötigt, argumentiert das Gericht überzeugend:
"Um eine solche Entscheidung auf valider Grundlage treffen zu können, sind nicht immer zwingend sämtliche Vergabeunterlagen notwendig, wie sich allein schon daraus ergibt, dass nach alter Rechtslage vor Inkrafttreten der VgV die Vergabeunterlagen im nicht offenen und im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb auch erst nach Durchführung des Teilnahmewettbewerbs an die ausgewählten Teilnehmer übermittelt werden konnten (§ 15 Abs. 11 VOL/A EG, § 12 Abs. 4 Nr. 2 VOB/A EU)."
Bereits im Beschluß 28.03.2018 - VII Verg 54/17 hat das OLG Düsseldorf in der Zulässigkeitsbegründung argumentiert, dass es im Auswahlverfahren aus Sicht des interessierten Unternehmens zunächst nur um die grundsätzliche Entscheidung gehe, sich an dem Teilnahmewettbewerb zu beteiligen oder nicht. Zu diesem Zeitpunkt benötigten die Unternehmen den Teil der Vergabeunterlagen, die für die konkrete Angebotserstellung erforderlich seien, noch nicht. Ihr Augenmerk sei auf die Angaben in der Auftragsbekanntmachung und die Teilnahmebedingungen gerichtet.
Es führt ferner aus, dass im Teilnahmewettbewerb keine Prüfpflicht der Bewerber in Bezug auf solche Bestandteile der Vergabeunterlagen bestehe, die erst die Angebotsphase betreffen. Nimmt er aber eine Prüfung vor und stößt dabei auf Vergabeverstöße, muss er diese wohl auch rügen.
3. Zusammenfassung und Fazit
Während die Entscheidung des OLG Düsseldorf von den öffentlichen Auftraggebern für seinen Pragmatismus begrüßt wird und bei Vorliegen einer detaillierten Leistungsbeschreibung einerseits und standardisierten Vertragsbedingungen andererseits sachgerecht ist, fragt sich doch, ob sie der Komplexität beispielsweise von zu beschaffenden IT-Leistungen gerecht wird.
Ein Interessent wird die Entscheidung, ob er einen Teilnahmeantrag einreicht, einerseits davon abhängig machen, ob er leistungsfähig ist, aber auch, nach welchen Kriterien im weiteren Verlauf des Verfahrens der Zuschlag erteilt wird. Schließlich wird er seine Ressourcen möglichst effizient einsetzen. Oftmals werden Leistungsbeschreibungen vom Bedarfsträger unter Zeitdruck formuliert. Es ist nicht sichergestellt, dass diese alle für den Auftraggeber entscheidungsrelevanten Anforderungen enthalten, wenn beispielsweise Compliance (Datenschutz etc.), Haftungs- oder sonstige Anforderungen zur Risikoreduzierung typischerweise eher in den Vertragsbedingungen enthalten sind. Diese können jedoch Auswirkungen auf die Lieferfähigkeit haben, wenn sie geografische Anforderungen für Leistungsorte oder Vorgaben für Leistungserbringung aus bestimmten Strukturen vorgeben, wie dies z.B. bei Vorgaben zu Rechenzentrums- oder Remote Access Standorten sein kann.
Internationale IT-Service Anbieter arbeiten gerne mit konzernweiten Konzepten für den Datenschutz personenbezogener Daten und sehen Service Standorte vor, die sich nicht mit Vertragsvorgaben der öffentlichen Auftraggeber decken. Oftmals sind diese Konzepte strukturell aufgesetzt und lassen sich nicht individuell für öffentliche Auftraggeber verändern. Werden diese Bedingungen bereits in der Teilnahmephase mitgeteilt, dann lassen sich Diskrepanzen frühzeitig aufklären und für alle Beteiligten Zeit und Kosten einsparen.
Die OLG Düsseldorf Entscheidung ist eine Einzelfallentscheidung für die Vergabe von Reinigungsdienstleistungen im Wege eines nicht offenen Verfahrens mit Teilnahmewettbewerb. Ob ein Interessent eine Teilnahmeentscheidung anhand einer Leistungsbeschreibung ohne Berücksichtigung von Lieferrisiken aus Vertragsbedingungen treffen kann, wenn es sich um komplexe Auftragsinhalte, beispielsweise aus dem ITK-Sektor handelt, musste das Gericht nicht entscheiden. Es deutet aber im 3. Leitsatz durchaus an, dass die Frage, ob ein Vertragsentwurf für die Teilnahmeentscheidung erforderlich ist, im Einzelfall zu prüfen ist und geht im 5. Leitsatz auf die Qualität der Leistungsbeschreibung ein.
Unsere Empfehlung: Hat der Auftraggeber in der Teilnahmephase die passenden Vertragsbedingungen zur Hand, so sollte er diese in jedem Fall im Rahmen von § 41 Abs. 1 VgV bereitstellen, selbst wenn diese noch eine Feinjustierung erfordern. Ist dies nicht der Fall, so sollte der für den Inhalt der Leistungsbeschreibung verantwortliche Bedarfsträger mit den Kollegen aus Compliance und Recht bei der Vervollständigung der Leistungsbeschreibung zusammenarbeiten, um zu vermeiden, dass wesentliche Leistungskriterien für den Teilnehmer überraschend in den Vertragsbedingungen gefordert werden. Das dient der Transparenz und ermöglicht den Unternehmen eine belastbare Entscheidung auch im Hinblick auf Anforderungen an Haftung und Compliance.
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