Serie (Teil 4): Scheinselbstständigkeit oder Arbeitnehmerüberlassung?

Serie (Teil 4): Scheinselbstständigkeit oder Arbeitnehmerüberlassung?

In diesem Teil der Serie der IT-Recht-Kanzlei stellen wir die Abgrenzungskriterien für Scheinselbstständigkeit und Arbeitnehmerüberlassung dar sowie Strategien zu ihrer Vermeidung.

Die Beschäftigung von freien Mitarbeitern oder die dauerhafte Beschäftigung von Mitarbeitern fremder Firmen hat neben vielen Vorteilen auch Nachteile, insbesondere dann, wenn die Beschäftigung auf Grund eines Dienstvertrages erfolgt, da gem. § 611 ff. BGB der Dienstvertrag grundsätzlich auch für Arbeitnehmerbeschäftigungsverhältnisse gilt. Wird ein Dienstvertrag mit einer natürlichen Person abgeschlossen, dann stellt sich daher gleich die Frage, ob die Grenze zur Scheinselbstständigkeit überschritten wird.

Wird der Dienstvertrag aber mit einer juristischen Person, also einem Unternehmen abgeschlossen, kann möglicher Weise eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung vorliegen. Der Auftraggeber gerät bei längerer Beschäftigung stets desselben Dienstleistenden also schnell in die Gefahr, entweder einen Scheinselbstständigen zu beschäftigen, oder an einer ungenehmigten Arbeitnehmerüberlassung beteiligt zu sein. Da diese Problematik gerade im IT-Bereich sehr häufig besteht, sollen im Folgenden die Kriterien für das Vorliegen von Scheinselbstständigkeit und Arbeitnehmerüberlassung und deren Abgrenzung dargestellt werden.

1. Scheinselbstständigkeit

Die Frage, ob es sich bei dem Auftragnehmer um einen selbständigen Unternehmer, nicht also um einen Scheinselbstständigen handelt, wird nicht durch Regelungen im Vertrag, sondern aufgrund objektiver Kriterien festgestellt. Die Beweislast trägt dabei die Deutsche Rentenversicherung, deren Prüfer die Scheinselbstständigkeit nachweisen müssen. Bei Personen, die einen Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III beantragt haben, wird während ihrer (maximal dreijährigen) Förderung die Selbstständigkeit widerlegbar vermutet. Nach der alten Regelung (bis 1. Januar 2003) konnten die Prüfer (bei mangelnder Mitwirkung seitens des zu Beurteilenden) auch dann eine Scheinselbstständigkeit vermuten, wenn drei von fünf im Gesetz aufgeführte Kriterien erfüllt waren. Diese Vermutungsregelung besteht nicht mehr. Die Prüfer müssen nun auch bei mangelnder Mitwirkung nachweisen, dass es sich um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und nicht um eine selbstständige Tätigkeit handelt.

Zur Klärung des Status können die Beteiligten (Unternehmer/Auftraggeber und zu beurteilender Auftragnehmer) ein Statusfeststellungsverfahren gemäß § 7a I SGB IV beantragen, sofern die Deutsche Rentenversicherung nicht schon von sich aus eine Prüfung eingeleitet hat.

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1.1 Definitionen

Im Bereich der Scheinselbstständigkeit gibt es folgende Definitionen:
Scheinselbstständige: Scheinselbstständigkeit liegt dann vor, wenn ein Erwerbstätiger formal als Selbstständiger auftritt, tatsächlich aber eine abhängig beschäftigte Person ist. Die Grenze zwischen tatsächlich Selbstständigen und Scheinselbstständigen ist fließend, eine Abgrenzung ist deshalb im Einzelfall oft schwierig.
Arbeitnehmerähnliche Selbstständige: Ein Selbstständiger, der nicht scheinselbstständig ist, ist dann arbeitnehmerähnlich, wenn er keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer (mit Arbeitsentgelt über 400 Euro) beschäftigt und vorwiegend für einen Auftraggeber tätig ist (vgl. § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI ; Faustregel: über 5/6 des Umsatzes kommen von diesem Auftraggeber). Arbeitnehmerähnliche Selbstständige sind entgegen der früheren Regelung versicherungspflichtig! Unter bestimmten Umständen können sich arbeitnehmerähnliche Selbstständige jedoch von der Versicherungspflicht befreien lassen (s.u.).

1.2 Beurteilung der Scheinselbstständigkeit

Die der ursprünglichen Fassung des § 7 IV 1 Nr. 4 SGB IV bis 31.12.2002 entsprechenden fünf Kriterien und die daran geknüpfte Vermutungswirkung sind zwar durch die Neuregelung entfallen, spielen jedoch zur Beurteilung der Scheinselbstständigkeit nach wie vor eine Rolle
Als Scheinselbstständiger kann demnach gelten:

  • Wer auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist. Die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger haben sich hierbei zur näheren Eingrenzung des Wesentlichkeitserfordernisses auf 16,6 % geeinigt. Das bedeutet, dass auf einen längeren, d.h. u. U. sich über mehrere Jahre erstreckenden Zeitraum neben einem Hauptauftraggeber mindestens 16,6 % an Umsatz mit anderen von ihm wirtschaftlich unabhängigen Auftraggebern erzielt werden müssen.
  • Wer keine eigenen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt. Geringfügig Beschäftigte zählen ausdrücklich nicht hierzu.
  • Wer als Auftragnehmer Tätigkeiten ausführt, für die der Auftraggeber anderweitig Arbeitnehmer beschäftigt.
  • Wer als Auftragnehmer eine Tätigkeit ausübt, die er vorher als Arbeitnehmer für den Auftraggeber erledigt hat.
  • Wer mit seinem Angebot am Markt nicht unternehmerisch auftritt.

1.3 Der arbeitnehmerähnliche Selbstständige

Der arbeitnehmerähnliche Selbstständige ist verpflichtet, seine Tätigkeit selbst beim Rentenversicherungsträger anzumelden und die Rentenversicherungsbeiträge in voller Höhe alleine zu tragen (s. Beiträge für eine Pflichtversicherung). Arbeitnehmerähnliche Selbstständige haben auch die Möglichkeit, sich von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreien zu lassen. Das Gesetz bietet hierzu drei verschiedene Möglichkeiten:

  • Befristete Befreiung für Existenzgründer
  • Dauerhafte Befreiung für ruhestandsnahe Selbstständige
  • Dauerhafte Befreiung, wenn die selbstständige Tätigkeit vor dem 01.01.1999 aufgenommen wurde (Übergangsregelung)

1.4 Konsequenzen der Scheinselbstständigkeit

Wer scheinselbstständig ist, ist als Arbeitnehmer oder als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen. Stellt die Deutsche Rentenversicherung eine abhängige Beschäftigung fest, so gibt es drei Möglichkeiten:

  • Auftraggeber und -nehmer können die Vertragsbedingungen ändern, so dass eine saubere selbstständige Tätigkeit entsteht. Das darf aber nie nur zum Schein geschehen - sonst kann eine Nachfrage der Deutschen Rentenversicherung äußerst unangenehm werden.
  • Beide akzeptieren die Entscheidung. Dann ist der Auftragnehmer pflichtversichert in der gesetzlichen Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Der Auftraggeber muss ihn dort anmelden, von seiner Vergütung die Hälfte der Versicherungsbeiträge einbehalten und die andere Hälfte als Arbeitgeberanteil drauflegen. Steuer- und arbeitsrechtlich kann der Free-Lancer jedoch selbstständig bleiben (solange das Finanzamt nichts dagegen hat).
  • Oder beide einigen sich auf ein ganz normales Arbeitsverhältnis. Das ist die sauberste und unkomplizierteste Lösung. In vielen Fällen sind die Auftraggeber dazu durchaus bereit – wenn es um einen begrenzten Job geht, kann man ja eine Teilzeitarbeit vereinbaren oder den Arbeitsvertrag befristen.

Kommt kein normales Arbeitsverhältnis zu Stande, so kann der Free-Lancer eventuell beim Arbeitsgericht auf Festanstellung klagen. Dann wäre er – sofern er gewinnt – ganz normaler Arbeitnehmer mit allen Rechten einschließlich Kündigungsschutz und Tarifbezahlung.

Das Arbeitsgericht entscheidet allerdings auf Grund anderer Kriterien als die Deutsche Rentenversicherung. Hat der Auftraggeber spätestens einen Monat nach Vertragsbeginn eine Statusanfrage bei der Deutschen Rentenversicherung gestellt, so gilt die Versicherungspflicht erst von dem Tag an, an dem die Deutsche Rentenversicherung die Versicherungspflicht festgestellt hat. Stellt er eine solche Frage allerdings nicht und stellt die Deutsche Rentenversicherung bei einer Betriebsprüfung nach Ablauf der Monatsfrist ein Beschäftigungsverhältnis fest, so gilt die Versicherungspflicht auch rückwirkend. Falls der Free-Lancer in dieser Zeit nicht anderweitig versichert war und auch nicht auf die Rückwirkung verzichtet, kann das für den Arbeitgeber und den Scheinselbstständigen fatale Konsequenzen haben. Es sind sämtliche Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten (§ 28e Abs. 1 SGB IV). Nach § 25 Abs. 1 S. 1 SGB IV beträgt die Verjährungsfrist vier Jahre und bei vorsätzlicher Nichtabführung dreißig Jahre. Zudem ist die nicht abgeführte Lohnsteuer zu zahlen (§ 42d Abs. 3 EStG).

Hat der Arbeitnehmer seine Rechnungen mit Mehrwertsteuer gestellt, geschah dies zu Unrecht. Es ist daher auch im Falle des Mehrwertsteuerabzuges die abgezogene Mehrwertsteuer zurückzuerstatten.  Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat jedoch entschieden, dass es rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn sich der Arbeitnehmer auf ein Arbeitsverhältnis beruft.
Wer durch seine Erklärungen oder sein Verhalten bewusst oder unbewusst eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der andere Teil verlassen durfte oder verlassen hat, darf dieses Vertrauen nicht enttäuschen.

Das Verbot des Selbstwiderspruchs hindert auch Vertragsparteien daran, sich auf die Unwirksamkeit eines Vertrages zu berufen, den sie lange Zeit als rechtswirksam angesehen haben. Insofern nennt das BAG folgende Kriterien:

  • Der Mitarbeiter arbeitet als „freier Mitarbeiter“ auf seine Initiative.
  • Die Parteien hielten den Vertrag über einen längeren Zeitraum für wirksam.
  • Der Arbeitnehmer hatte hierdurch erhebliche Vorteile.
  • Der Arbeitgeber vertraute darauf, dass der Arbeitnehmer sich nicht auf die Unwirksamkeit des Freien-Mitarbeiter-Vertrages und seinen Unternehmerstatus berufen werde.

1.5 Vermeidung der Scheinselbstständigkeit

Es ist unbedingt darauf zu achten, dass die Dienstleistung des Auftragnehmers selbstständig, trotz der nicht zu vermeidenden Einbindung z.B. als Berater in einem Projekt, erbracht wird.
Vor allem muss darauf geachtet werden, dass der Dienstverpflichtete in keiner Weise wie ein Arbeitnehmer behandelt wird, sondern getrennt von diesem als "Gast" einzustufen ist, keine unmittelbaren Weisungen, insbesondere außerhalb des Projekts und Auftrags erhält etc.. Vor allem sollte man darauf achten, dass keine soziale Abhängigkeit vom Auftraggeber gegeben ist, sondern der Auftragnehmer auch noch für andere Auftraggeber in nicht unerheblichem Umfang tätig wird. Um Scheinselbstständigkeit auszuschließen, sollten daher folgende Fragen in der Regel mit „Nein“ beantwortet werden können.

Ist der Betroffene:

  • weisungsgebunden?
  • in den Betrieb des Arbeitgebers eingebunden? Hinweise für eine solche Einbindung sind z.B., wenn der Betroffene
  • an feste Arbeitszeiten gebunden ist
  • in Dienstpläne eingeteilt ist
  • zur Teilnahme an internen Besprechungen verpflichtet ist
  • im Firmentelefonverzeichnis mit einer eigenen Nummer aufgeführt ist
  • Arbeitet der Betroffene in den Räumen des Auftraggebers?
  • Hat er dort einen festen Arbeitsplatz ?
  • Bekommt er das Arbeitsgerät vom Auftraggeber gestellt ?
  • Kann er Aufträge nicht ohne weiteres ablehnen?

2. Arbeitnehmerüberlassung

Ein weiteres mögliches Problem bei der Zusammenarbeit der Vertragspartner in einem Dauerschuldverhältnis ist die Frage, ab wann in Fällen der langfristigen Abordnung eines Auftragnehmermitarbeiters, zum Beispiel zur Unterstützung in einem Projekt oder in Fällen des so genannten Body-Leasings, von Arbeitnehmerüberlassung auszugehen ist.
Eine Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber an einen Dritten vorübergehend oder dauernd „ausgeliehen“ wird. Hierbei ist zwischen einem echten und einem unechten Leiharbeitsverhältnis (einem Dienst- oder Werkleistungsvertrag) zu unterscheiden. Hat der Arbeitgeber keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung, liegt ein Verstoß gem. § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) vor. Dieser Verstoß führt zu erheblichen Bußgeldern und ermöglicht der Verfolgungsbehörde (Arbeitsamt/Landesarbeitsamt) den mit dem Einsatz des freien Mitarbeiters erzielten Gewinn abzuschöpfen. Dabei ist die Gewinnabschöpfung nach oben nicht begrenzt.
Zudem gestattet die Rechtsprechung recht grobschlächtige Schätzmethoden für die Gewinnabschöpfung, z.B. 1 Euro pro Mann und Stunde ohne jeglichen Nachweis.

Der Unterschied zwischen Arbeitnehmerüberlassung und einer Dienst- oder Werkleistung, die von einem Auftragnehmer im Rahmen eines Werk- oder Dienstvertrages erbracht wird, ist oft nicht einfach zu finden.

Die Gerichte prüfen im Einzelfall, wie das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu qualifizieren ist, wobei es nicht auf die Bezeichnung ankommt, sondern eine wertende Gesamtbetrachtung erforderlich ist, die auf den tatsächlichen Geschäftsinhalt abstellt. Soweit ein Werkvertrag vorliegt und dieser tatsächlich auch so gelebt wird, ist die Unterscheidung einfach. Anders verhält es sich bei einem Dienstvertrag. Der Geschäftsinhalt kann sich sowohl aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien als auch aus der praktischen Durchführung des Vertrages ergeben.

Widersprechen sich beide, so ist die tatsächliche Durchführung des Vertrages maßgeblich, sofern die auf Seiten der Vertragsparteien zum Vertragsabschluss berechtigten Personen die abweichende Vertragspraxis kannten und zumindest geduldet haben. Denn aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen lassen sich am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen, was die Vertragsparteien wirklich gewollt haben. Danach kommt es also entscheidend darauf an, ob entweder schon der schriftliche Vertrag oder der tatsächlich auch mit Wissen und Wollen der Abschlussbefugten gehandhabte Geschäftsinhalt eine geschäftsmäßige Arbeitnehmerüberlassung darstellt oder nicht. Ein ausdrücklich als solcher abgeschlossener Werk- oder Dienstvertrag genügt daher nicht, wenn der tatsächliche Geschäftsinhalt dann nachher anders gehandhabt wird und dies auch so gewollt war. Bei Werkverträgen gibt es hier keine großen Abgrenzungskriterien, da, wenn tatsächlich ein spezifizierbares Werk geschuldet wird, nicht von Arbeitnehmerüberlassung ausgegangen werden kann.

Bei Dienstverträgen kommt es auf folgende Kriterien an:

  • Wird der "geleaste" Arbeitnehmer in den Betrieb eingegliedert?
  • Untersteht er dem Weisungsrecht des Auftraggebers? Hierbei muss abgegrenzt werden zwischen personen- und verhaltensbedingten oder fachlichen und technischen Weisungen (letztere sind unproblematischer).
  • Wird der "geleaste" Arbeitnehmer ausschließlich im Rahmen seiner Leistungspflichten für seinen Arbeitgeber tätig, die dieser wiederum gegenüber dem fremden Auftraggeber eingegangen ist, ändert auch die Entgegennahme der fachlichen und technischen Weisung und sogar deren vertragliche Regelung nichts daran, dass es sich hier nicht um Arbeitnehmerüberlassung handelt.
  • Setzt der Auftraggeber aber den "geleasten" Arbeitnehmer nach seinen eigenen betrieblichen Erfordernissen in seinem Betrieb nach seinen Weisungen ein, liegt auf jeden Fall Arbeitnehmerüberlassung vor.

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Bildquelle:
Maren Beßler / PIXELIO

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