Rätsel um Gefahr und Schuld bei der Lieferung
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) kann manchmal fast poetisch sein. So geht es beim Kauf und der Lieferung einer Sache um „*Gefahr* “ und „*Schuld* “. Gemeint ist hier der „Gefahrübergang“ und die Frage, wo der Leistungserfolg also der Leistungsort ist. Noch einfacher ausgedrückt geht es um die Frage, wer haftet dafür, dass eine Ware beim Versand beschädigt wird oder verloren geht. Muss der Verkäufer eine neue Ware schicken oder muss der Käufer zahlen, obwohl er eine beschädigte oder gar keine Ware erhalten hat. Dieses Problem beschäftigt sowohl Käufer und Verkäufer beim so genannten B2B-Verkauf (Verkäufe an einen Unternehmer) als auch beim B2C-Verkauf (Verkäufe an einen Verbraucher).
Inhaltsverzeichnis
Der folgende Beitrag will hier Aufklärung bieten:
1. Grundsatz Gefahrübergang bei Übergabe
Das Gesetz normiert in § 446 BGB den Grundsatz, dass mit der Übergabe der verkauften Sache die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung auf den Käufer übergeht.
Mit Gefahr meint der Gesetzgeber also die Verantwortung für die Beschädigung oder den Verlust der verkauften Sache.
Beispiel:
Lässt ein Verkäufer ein kostbares Glas fallen, bevor er es dem Käufer aushändigen konnte, dann trägt er die Verantwortung für den Verlust. Lässt der Käufer aber das Glas fallen, nachdem es ihm vom Verkäufer ausgehändigt wurde, trägt er die Verantwortung und muss das Glas bezahlen, obwohl es nicht mehr zu gebrauchen ist.
2. Abweichende Regeln beim Versendungskauf
Aber nicht immer wird die Ware direkt vom Verkäufer dem Käufer übergeben. Sehr oft wird vereinbart, dass die Ware an den Käufer geschickt wird.
Fallbeispiel:
Der Rechtsanwalt Schlau kauft für seine Kanzlei einen PC im Internet. Die Parteien vereinbaren lediglich, dass der PC an die Kanzlei geschickt wird. Es ist für die Parteien selbstverständlich, dass der Transport nicht vom Verkäufer sondern durch ein Transportunternehmen erfolgen soll. Der PC wird nicht geliefert. Der Verkäufer kann aber eine UPS-Bestätigung vorlegen, dass er den PC abgeschickt hat. Der Rechtsanwalt besteht auf der Versendung eines neuen PCs und will nicht zahlen. Zu Recht?
2.1 Grundsatz
Wir alle kennen es, dass uns ein Möbelstück oder ein Küchengerät geschickt wird. Ja oft wird es sogar vom Verkäufer aufgebaut. Was gilt in solchen Fällen, wenn die Ware beim Transport verloren geht oder beim Transport oder bei der Montage beschädigt wird?
Hier gilt § 447 BGB. Diese Vorstellung lautet: „Versendet der Verkäufer auf Verlangen des Käufers die verkaufte Sache nach einem anderen Ort als dem Erfüllungsort, so geht die Gefahr auf den Käufer über, sobald der Verkäufer die Sache dem Spediteur, dem Frachtführer oder der sonst zur Ausführung der Versendung bestimmten Person oder Anstalt ausgeliefert hat.* “
Nun wäre das Rätsel fast gelöst, wenn feststünde wo der Erfüllungsort ist. Denn gemäß § 447 BGB geht die Gefahr auf den Käufer über, wenn der Erfüllungsort beim Verkäufer ist.
2.2 Wo ist der Erfüllungsort?
Die Sache bleibt also rätselhaft. Was ist nun der Erfüllungsort und ist er beim Käufer oder beim Verkäufer?
Das Schuldrecht unterscheidet zwischen dem Ort, an dem die Leistung zu erfolgen hat (Ort der Leistung) oder Erfüllungsort und dem Ort des Leistungserfolges. Der Erfüllungsort ist der Ort, an dem der Verkäufer seine Leistung erbringt. Der Erfolgsort ist der Ort, an dem der Käufer die Ware und das Eigentum erhält. Beide Orte können auseinander fallen. Dies geschieht insbesondere beim Versendungskauf. Hier gibt der Verkäufer am Ort seines Wohn- oder Geschäftsitzes die Ware zur Post oder bei einem Transportunternehmen ab und die Ware trifft am Wohnsitz des Käufers ein. Hier geht auch erst das Eigentum über
Der Gesetzgeber unterscheidet nun zwischen drei Schuldtypen jeweils danach ob der Erfüllungsort oder Erfolgsort beim Verkäufer ist.
- Zunächst ist da die Holschuld. Hier hat der Käufer die Ware abzuholen. Erfüllungs- und Erfolgsort sind beim Verkäufer.
- Muss der Verkäufer die Ware zum Käufer bringen, dann spricht man von Bringschuld. Hier ist also der Erfüllungs- und Erfolgsort beim Käufer angesiedelt.
- Dann gibt die Schickschuld , bei der der Erfüllungsort beim Verkäufer liegt aber der Erfolg beim Käufer eintritt. Der Verkäufer muss die Ware versenden, also einem Transportunternehmen anvertrauen. Der Erfolg, also die Übereignung der Ware tritt erst ein, wenn der Käufer die Ware erhält.
Es liegt an den Parteien, sich bei Abschluss des Kaufvertrages auch über die Art der Schuld zu einigen. Geschieht dies ausdrücklich nicht, wird dies vom Gesetzgeber durch § 269 BGB festgelegt. Wenn also weder ausdrücklich noch durch Auslegung des Parteilwillens der Leistungsort vereinbart ist, kommt es auf die „Natur des Schuldverhältnisses“ an. Zum Beispiel weiß jeder, der einkaufen geht, dass die Ware ihm direkt im Kaufhaus vom Verkäufer übereignet wird. Werden aber Möbel vom Verkäufer selbst geliefert oder sogar aufgebaut, ist die Leistung erst mit der Anlieferung erbracht, und bei Montageverpflichtung erst, wenn der Einbau beim Käufer abgeschlossen ist; ja hier trägt der Verkäufer gemäß § 434 Abs. 3 BGB auch die Verantwortung dafür, dass die Montage ordnungsgemäß ist und die Küche nicht beim Einbau beschädigt wird.
Wenn sich aber aus der Natur des Schuldverhältnisses und dem Parteiwillen nichts ergibt, legt § 269 BGB fest, dass der Erfüllungsort beim Verkäufer ist.
2.3 Auflösung
Wenn man diese Erkenntnisse auf den Fall des Rechtsanwalts Schlau anwendet, kommen wir zu folgenden Überlegungen.
- Hätten die Parteien eine Bringschuld vereinbart, dann müsste der Rechtsanwalt nicht bezahlen. Er könnte auf eine neue Lieferung bestehen. Eine Bringschuld ist aber nicht vereinbart.
- Läge eine Holschuld vor, müsste der Rechtsanwalt bezahlen, obwohl er die Ware nicht erhalten hat. Auch eine Pflicht den PC abzuholen, wurde nicht vereinbart.
- Alles spricht für eine Schickschuld. In diesem Fall wäre der Erfüllungsort beim Verkäufer und die Gefahr ginge auf den Rechtsanwalt über, nachdem die Ware an das Transportunternehmen übergeben worden ist. Der Rechtsanwalt müsste also zahlen, obwohl er keine Ware erhalten hat, wenn der Verkäufer nach § 243 Abs. 2 BGB seine Leistung ordnungsgemäß erbracht, nämlich die Ware gut verpackt einem anerkannten Transportunternehmen übergeben hat. In unserem Fall kommen wir durch Auslegung zu einer Schickschuld. Beide Parteien gingen davon aus, dass zu den Pflichten des Verkäufers lediglich die Absendung und nicht die Übersendung gehörte. Auch sollte der Verkäufer nicht selbst für den Transport sorgen, sondern ein Transportunternehmen mit der Aufgabe betreuen. Die Aufgabe des Verkäufers war es also, den PC sorgfältig verpackt einem geeigneten Transportunternehmen zu übergeben. Dies ist geschehen.
Pech für Rechtsanwalt Schlau.
2.4 Besonderheiten im Verbrauchsgüterkauf
Bevor aber nun Panik bei den Onlinekäufern ausbricht, die als Verbraucher Waren im Internet gekauft haben, soll gleich zur Beruhigung auf § 474 Abs. 2 BGB hingewiesen werden. Der oben vorgeführte § 447 BGB gilt nicht, wenn ein Verbraucher (§ 13 BGB) eine bewegliche Sache von einem Unternehmer (§ 14 BGB) kauft.
Das heißt, es bleibt bei dem in § 446 BGB festgelegten Grundsatz, dass die Gefahr erst mit der Übergabe der Ware an den Käufer übergeht. Der Käufer muss also nicht zahlen, wenn er die Ware nicht erhält, obwohl der Verkäufer sie an ihn geschickt hat. Dies kann auch nicht zu Lasten des Käufers in AGB oder Individualvereinbarungen anders wirksam geregelt werden. Da unser Rechtsanwalt aber nicht als Verbraucher gekauft hatte, sondern für seine Kanzlei und damit als Unternehmer, kommt er nicht in den Genuss dieser Verbraucherprivilegierung..
2.5 Anforderung an vertragliche Regelungen zum Erfüllungsort
Es ist also Käufern, die nicht als Verbraucher von einem Unternehmer kaufen, zu raten, den „*Erfüllungsort* “ im Sinne von § 447 BGB zu ihren Gunsten zu regeln. Ist dies aber nicht geschehen und ergibt sich auch nichts aus der Natur des Schuldverhältnisses (siehe oben) dann muss der Käufer, der nicht zahlen will, beweisen, dass die Parteien eine Bringschuld vereinbart haben. Hier sind die Anforderungen aber sehr hoch. So ist die Übernahme der Versandkosten alleine noch kein Indiz für eine Bringschuld, auch Klauseln wie „frei Haus x“ oder „bahnfrei“. Übernimmt aber der Verkäufer selbst oder sein Erfüllungsgehilfe den Transport, dann wird in der Regel von einer Bringschuld ausgegangen.
3. Fazit
Beim Verbrauchsgüterkauf gilt § 447 BGB nicht. Das heißt, die Gefahr geht erst über, wenn der Verbraucher die Ware erhalten hat.
Liegt kein Verbrauchsgüterkauf vor, ist beim Versendungskauf in der Regel von einer Schickschuld auszugehen. Das heißt, der Erfüllungsort ist beim Verkäufer und die Gefahr geht über, wenn der Verkäufer die Ware an seinem Geschäftssitz an ein Transportunternehmen übergeben hat.
Tipp: Sie haben Fragen zu dem Beitrag? Diskutieren Sie hierzu gerne mit uns in der Unternehmergruppe der IT-Recht Kanzlei auf Facebook.
lytisa / PIXELIO
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