Abmahnung droht: Belehrung über Ausschluss des Widerrufsrechts bei Zuschnittsware sollte unterbleiben!
Das dem Verbraucher im Fernabsatz grundsätzlich bestehende Widerrufsrecht kann in Ausnahmefällen ausgeschlossen sein. Dies kann dann der Fall sein, wenn die Anfertigung oder der Zuschnitt einer Ware so individuell ist, dass die Rücknahme der Ware für den Unternehmer wirtschaftlich wertlos wäre. Zu Streitigkeiten kam es immer wieder bei so genannten „Zuschnittswaren“, bei denen die Ware auf eine bestimmte Länge zugeschnitten wird. Viele Unternehmen berufen sich auf die Ausnahme vom Widerrufsrecht und schließen ein Widerrufsrecht wegen „Sonderanfertigung“ aus. Aufgrund einer uns aktuell vorliegenden Abmahnung stellen wir die zugrunde liegende Rechtslage in unserem Beitrag einmal näher dar.
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund zum Widerrufs-Auschlusstatbestand
Ein Widerrufsrecht für Verbraucher ergibt sich bei Fernabsatzverträgen aus §§ 355, 356 BGB.
Es gibt jedoch Spezialfälle, bei denen ein Widerruf nicht möglich ist. Der Widerruf ist gemäß § 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB ausgeschlossen bei Verträgen über die Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder Waren, die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind.
In der Vergangenheit wurden bereits einige Fälle zum alten Ausnahmetatbestand entschieden, hierbei kam es darauf an, ob die Ware nach der alten Rechtslage „nach Kundenspezifikation angefertigt“ oder „eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten“ war.
Gemäß der Rechtsprechung des EuGH handhaben die Gerichte die Ausschlusstatbestände vom Widerrufsrecht äußerst restriktiv. Im Zweifel wird ein Ausschluss des Widerrufsrechts daher in der Rechtsprechung verneint. Den Gerichtsentscheidungen gemein ist, dass nur dann ein Ausschluss des Widerrufsrechts in Betracht kommt, wenn die Rücknahme der Ware erhebliche wirtschaftliche Nachteile für den Händler darstellen würden.
Wir gehen zudem davon aus, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur alten Rechtslage auf den neuen Ausschlusstatbestand des § 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 1BGB übertragen werden kann. Der BGH hatte im Rahmen der Beurteilung, wann der Ausschlusstatbestand der „Herstellung nach Kundenspezifikation“ wie folgt geurteilt gehabt:
"Das Widerrufsrecht des Verbrauchers ist deshalb nur dann wegen Anfertigung der Ware "nach Kundenspezifikation" ausgeschlossen, wenn der Unternehmer durch die Rücknahme auf Bestellung angefertigter Ware erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleidet, die spezifisch damit zusammenhängen und dadurch entstehen, daß die Ware erst auf Bestellung des Kunden nach dessen besonderen Wünschen angefertigt wurde."
Nach Ansicht der IT-Recht Kanzlei fallen Stoffe, Borten und Bänder und andere Zuschnittswaren gemäß den vorstehenden Maßstäben nicht unter den Tatbestand des § 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB.
Beide Varianten des § 312 g Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB sind nur schwer voneinander abgrenzbar und überschneiden sich häufig in ihrem Anwendungsbereich, da eine durch den Kunden vorgenommene Spezifikation in der Regel Folge bzw. Ausdruck seiner persönlichen Bedürfnisse ist. Eine genaue Unterscheidung ist allerdings aufgrund derselben Rechtsfolge nicht notwendig.
Worum ging es im konkreten Abmahnfall?
Ein Online-Händler bot Verbrauchern im Fernabsatz Stoffe zum Kauf an, hierbei bestand auch die Möglichkeit, die Stoffe zuschneiden zu lassen. In den Angeboten des Online-Händlers fand sich unter der Rubrik Widerrufsrecht die folgende Regelung:
"Ausnahmen vom Widerrufsrecht laut § 312 g Abs. 2 BGB
Das Widerrufsrecht besteht gem. § 312g Abs. 2 BGB nicht bei Fernabsatzverträgen zur Lieferung von Waren, die nach Kundenspezifikation angefertigt oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind.
Wichtig:
Zugeschnittene Stoffe oder andere Ware die als Meterware von uns verkauft werden, sind im Sinne der Widerrufsbelehrung „auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten“ und somit vom Widerrufsrecht ausgeschlossen."
Mit Schreiben vom 15.03.2023 mahnte die Verbraucherzentrale Berlin e.V. den Online-Händler ab und teilte mit, dass der Ausschluss des Widerrufsrechts nicht mit den Vorgaben zum AGB-Recht im Einklang stünden.
Die im Rahmen des Widerrufsausschlusses formulierte Bedingung stelle nach Ansicht der Verbraucherzentrale Berlin eine irreführende geschäftliche Handlung, sowie eine unangemessene Benachteiligung des Verbrauchers dar.
Effektiver Verbraucherschutz steht im Vordergrund
Die auf europarechtlichen Vorgaben beruhende Regelung zum Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen soll einen effektiven Verbraucherschutz gewährleisten.
Die Ausnahmeregelung des § 312g Abs.2 Nr. 1 BGB darf vor diesem Hintergrund nicht zu weit verstanden werden und ist daher nach Ansicht des BGH eng auszulegen.
Aus dem Wortlaut der Norm geht diese Intention ebenfalls hervor, da die Ware „eindeutig“ auf die persönlichen Bedürfnisse des Bestellers zugeschnitten sein muss. Dabei sollte man sich auch vor Augen führen, dass Kunden ihre Produkte fast ausnahmslos aufgrund gewisser persönlicher Wünsche kaufen und die Auswahl für Merkmale wie Farbe, Material, Größe und Design immer auch aufgrund eines individuellen Geschmacks getroffen wird.
Das Widerrufsrecht nach § 312 g Abs. 2 Nr. 1 BGB ist regelmäßig bei Fällen wie einem Maßanzug oder Gravur-Schmuck und Grabsteinen ausgeschlossen.
Irreführende geschäftliche Handlung
Nach § 3 UWG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 7 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben über die Bedingungen enthält, unter denen die Leistung erbracht wird.
Ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 Nr. 7 UWG liegt vor, wenn der Verbraucher über seine Rechte getäuscht wird.
Im vorliegenden Abmahnfall beruft sich der Online-Händler auf den Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB. Diese Vorschrift erlaubt in Ausnahmefällen den Ausschluss des Widerrufsrechts.
Ein solcher Ausschluss ist jedoch nur möglich, wenn es sich um Waren handelt, die wegen der Berücksichtigung von Verbraucherwünschen anderweitig nicht oder nur mit unzumutbaren Preisabschlägen abgesetzt werden könnten. Das ist wiederum der Fall, wenn die vom Kunden gewählte Zusammenstellung und die materielle Beschaffenheit so individuell sind, dass die Rücknahme der Ware für das Unternehmen wirtschaftlich wertlos sein würde.
Im vorliegenden Fall können die auf eine bestimmte Länge zugeschnittenen Stoffe jedoch weiterverkauft werden. Eine Individualisierungsmöglichkeit im engeren Sinne durch den Kunden besteht nicht, da es sich bei dem Zuschnitt auf eine wählbare Länge nicht um eine „Sonderanfertigung“ im Sinne des vorgenannten Gesetzes handelt.
Da sich das Unternehmen jedoch unzulässigerweise auf diese Vorschrift beruft, entsteht beim Verbraucher der Eindruck, das Widerrufsrecht sei ausgeschlossen. Dies stelle eine bewusste Irreführung dar, da der Verbraucher grundsätzlich davon ausgehen darf, dass ein im Fernabsatz geschlossener Kaufvertrag innerhalb der gesetzlichen Frist widerrufen werden kann.
Auch bei anderen Formen der Zuschnittware (wie Stoffe, Borten, Bändern etc.) ist das Widerrufsrecht grundsätzlich nicht ausgeschlossen, da der effektive Verbraucherschutz stets im Vordergrund steht und die Zuschnittware mit Stangen-Ware vergleichbar ist.
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Unangemessene Benachteiligung des Verbrauchers
Die Klausel hält nach Ansicht der Verbraucherzentrale Berlin auch einer Inhaltskontrolle nicht stand. Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind vorformulierte Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine solche Benachteiligung liegt vor, wenn die Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht vereinbar ist.
Die Unwirksamkeit der verwendeten Klausel sei bereits wegen Verstoßes gegen §§ 312g Abs. 1, 355 BGB zu bejahen, da § 312g Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB vorsieht und von dieser Regelung nur in Ausnahmefällen abgewichen werden dürfe. Der oben dargestellte Sachverhalt falle aber gerade nicht unter einen Ausnahmetatbestand, dem Verbraucher würden durch die Klausel zwingende Rechte entzogen.
Fazit
Bei im Internet bestellter „Zuschnittsware“ handelt es sich nicht automatisch um „individuelle Sonderanfertigungen“. Dem Verbraucher steht folglich grundsätzlich ein Widerrufsrecht zu, das gerade nicht nach § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB ausgeschlossen werden kann.
Im Zusammenhang mit Online-Angeboten sollte daher von einem pauschalen Hinweis zum Ausschluss des Widerrufsrechts bei Zuschnittsware abgesehen werden.
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