„NICHT VERPASSEN!“ – unzulässige an Kinder gerichtete Werbung
Urteil vom LG Berlin
Entscheidungsdatum: 17.03.2009
Aktenzeichen: 103 O 171/08
Leitsätze
Eine Werbekampagne, die sich sowohl durch Inhalt als auch Erscheinungsbild unmittelbar an Kinder richtet und diese dazu auffordert selbst die Ware zu erwerben, ist im Sinne von § 3 III UWG wettbewerbswidrig.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr wie im "... , Seite 24, für das Magazin "... ... wie nachfolgend abgebildet mit der Aufforderung "NICHT VERPASSEN!" zu werben bzw. werben zu lassen:
An dieser Stelle folgt im Original eine Abbildung.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 100,00 Euro zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist zu Ziffer 1 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000,00 Euro, im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages zuzüglich 10 % vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger ist der Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen und 22 weiterer verbraucher- und sozialorientierter Organisationen in Deutschland. Nach seiner Satzung bezweckt der Verband, die Verbraucherinteressen wahrzunehmen, indem er u.a. Verstöße gegen das UWG, erforderlichenfalls unter Einleitung gerichtlicher Maßnahmen unterbindet. Der Kläger ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen.
Die Beklagte warb in ihrem "..." in der Ausgabe 07/2008 auf der Seite 24 u.a. für das Magazin "... Nr. 1/2008, wie aus dem Tenor ersichtlich. Dabei handelt es sich um ein Magazin für Kinder.
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte verstoße mit der Werbung gegen § 3 UWG. Spätestens seit Ablauf der Umsetzungsfrist (12.12.2007) der Richtlinie 2005/29/EG sei das deutsche UWG in deren Lichte auszulegen. Danach sei die direkte Aufforderung an Kinder in einer Werbung, die beworbenen Produkte zu kaufen oder ihre Eltern oder andere Erwachsene zu überreden, die beworbenen Produkte für sie zu kaufen, unter allen Umständen gemäß Nr. 28 Anhang I UGP-Richtlinie als unlauter anzusehen.
Die Aussage "Nicht verpassen", "ab 15.4. am Kiosk" stelle eine direkte Aufforderung an Kinder dar, das Magazin ... zu kaufen.
Mit Schreiben vom 21.07.2008 mahnte der Kläger die Beklagte ab.
Der Kläger beantragt,
was erkannt wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor: Ob und ab wann die UGP-Richtlinie Geltung beanspruchen könne, müsse erst höchstrichterlich geklärt werden. Die UGP-Richtlinie sei vorliegend nicht anwendbar. In der Werbung liege weiterhin keine unmittelbare Kaufaufforderung. Es handele sich vielmehr um eine bloße Information, dass die Ausgabe 1/08 der Zeitschrift ... ab 15.04.2008 am Kiosk erhältlich sei. Derartige Aussagen seien nicht geeignet, Kinder wesentlich zu beeinflussen, da sich entsprechende Aussagen in einer Vielzahl von Kinderzeitschriften befänden.
Die Aufforderung "Nicht verpassen!" sei auch deshalb keine Aufforderung zum Kauf, weil es andere Möglichkeiten gebe, die Zeitschrift ... nicht zu verpassen. So könne man sich diese von Freunden ausleihen oder in einer Bibliothek oder in der Schule anschauen.
Sie bestreite die Aktivlegitimation des Klägers.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung aus § 8 Abs. 1 UWG. Die Beklagte verstößt mit der streitgegenständlichen Werbung gegen das Verbot der unlauteren Geschäftshandlung gemäß § 3 Abs. 1 UWG.
Die Aktivlegitimation des Klägers folgt aus § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG. Nach dieser Vorschrift sind Einrichtungen, die nach § 4 UKlaG in die Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragen sind, klagebefugt.
Aus der vom Kläger vorgelegten Satzung und aus der Bescheinigung des Bundesverwaltungsamtes ergibt sich, dass die genannten Voraussetzungen vorliegen.
Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken zum Zeitpunkt der Klageerhebung anwendbar war. Die Richtlinie ist zwischenzeitlich in deutsches Recht umgesetzt worden.
§ 3 Abs. 3 UWG verweist auf den Anhang zum UWG. Die dort aufgeführten geschäftlichen Handlungen sind nach § 3 Abs. 3 UWG per se verboten, ohne dass es einer Relevanzprüfung bedarf.
Vorliegend wurde gegen Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG verstoßen. Danach ist die in eine Werbung einbezogene unmittelbare Aufforderung an Kinder, selbst die beworbene Ware zu erwerben, eine unzulässige geschäftliche Handlung im Sinne von § 3 Abs. 3 UWG.
Die Werbekampagne der Beklagten richtet sich nach Inhalt und Erscheinungsbild unstreitig an Kinder. Dies ergibt sich daraus, dass in einem Kindermagazin geworben wurde und die beworbene Zeitschrift sich an Kinder richtet. Die Wahl des Mediums der Warenpräsentation bestimmt den Adressatenkreis.
Die Werbung enthält eine unmittelbare Aufforderung zum Erwerb der Zeitschrift. Art 2 lit.i der Richtlinie 2005/29/EG definiert die "Aufforderung zum Kauf". Danach ist eine Aufforderung zum Kauf jede kommerzielle Kommunikation, die die Merkmale des Produkts und den Preis in einer Weise angibt, die den Mitteln der verwendeten kommerziellen Kommunikation angemessen ist und den Verbraucher dadurch in die Lage versetzt, einen Kauf zu tätigen. Durch die Kommunikation soll der Absatz gefördert werden. Die Wahl des Kommunikationsmittels ist dabei gleichgültig.
Eine Definition des Begriffs der "Unmittelbarkeit" findet sich hingegen in der Richtlinie nicht. Mangels Vorhandenseins höchstrichterlicher Rechtsprechung muss der Anwendungsbereich des Begriffs der unmittelbaren Aufforderung somit durch Auslegung ermittelt werden. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass jede Werbung indirekt den Absatz bezweckt und damit zumindest mittelbar eine Aufforderung zum Kauf darstellt. Der Gesetzgeber wollte andererseits nicht jedwede Werbung an Kinder unterbinden, wie der Umkehrschluss aus Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3
UWG zeigt. Es ist zudem keine extensive Ausdehnung des Tatbestandes geboten, da für Werbung an Kinder, die nicht unter Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG fällt, noch der Tatbestand der aggressiven Geschäftspraktiken des § 4 Nr. 2 UWG als Auffangtatbestand einschlägig sein kann. Dies deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber offenbar bewusst einen engen Begriff gewählt hat.
Vom Wortlaut her erfordert eine unmittelbare Aufforderung eine direkte und gezielte Ansprache. Die Werbebotschaft muss ohne Transmitter direkt an den Adressaten kommuniziert werden. Nicht ausreichend ist eine nur mittelbare Aufforderung. Charakteristisch für die Mittelbarkeit ist, dass ein zusätzlicher Schritt zwischen Aufforderung und Entstehung des Erwerbsentschlusses liegt. Dieser Schritt muss vom Umworbenen vollzogen werden (Scherer in: WRP 4/2008 430 (433)). Erst recht genügt eine Aufforderung nicht, die sich erst aus den sonstigen Umständen ergibt. Am direktesten ist die Aufforderung im Imperativ oder eine Ansprache mit "Du" im Sinne von "Das musst Du haben". Die Direktheit ist jedoch nicht auf diese eindeutigen Fälle beschränkt, da der Werbende den Tatbestand ansonsten durch einfache Umformulierung umgehen könnte und der Anwendungsbereich der Norm zu eng ausfallen würde. Vielmehr ist nach der Ratio der Vorschrift zu fragen, die weiteren Aufschluss über den Anwendungsbereich, insbesondere die Auslegung der Tatbestandsmerkmale ergeben kann. Die Norm soll die Unerfahrenheit von Kindern im geschäftlichen Verkehr schützen. Kinder fällen ihre Kaufentscheidung nicht rational, sondern lassen sich von Anreizen und Emotionen leiten. Sie sind nicht in der Lage, die Vor- und Nachteile einer Konsumentscheidung abzuwägen. Der Schutzzweck kann nur erreicht werden, wenn er nicht nur auf die direkte Ansprache im Sinne des "Du" beschränkt wird, sondern weiter gefasst wird.
Eine direkte Ansprache kann sich daher auch ohne Verwendung des "Du" ergeben. Die Form der sprachlichen Äußerung ist insoweit gleichgültig. Entscheidend ist, dass sich Kinder angesprochen fühlen.
Allerdings kann eine direkte Kaufaufforderung nicht schon allein dann angenommen werden, wenn sich das Werbemedium an Kinder richtet, so dass die Produktanpreisung das Moment der Kaufaufforderung enthält und deren Direktheit im Verhältnis zu Kindern aus dem Medium folgt (so Mankowski in WRP 4/2008, 421 (425)). Das würde bedeuten, dass in Fällen wie vorliegend - Werbung in einer Kinderzeitschrift - jegliche Werbung für Produkte, die von Kindern erworben werden sollen, untersagt wäre. Das war jedoch gerade nicht die Intention des Gesetzgebers.
Die Aussagen "Nicht verpassen!" und "Ab 15.04.2008 am Kiosk!" bezwecken, dass die Zeitschrift gekauft werden soll. An einem herkömmlichen Kiosk ist die Einsichtnahme oder ein Blättern in Zeitschriften nicht möglich. Der interessierte potentielle Leser kommt demnach um einen Kauf nicht herum. Die Aussagen vermitteln daher mehr als eine bloße Information über den Erscheinungszeitpunkt der Zeitschrift. Ferner suggeriert die Aussage "Nicht verpassen!" auch eine gewisse Relevanz oder Wichtigkeit im Sinne eines Unbedingt-Haben-Müssen. In Abgrenzung zur nur mittelbaren Aufforderung muss der Beworbene vorliegend nur noch entscheiden, ob er kauft oder nicht. Es sind keine weiteren Zwischenüberlegungen des Beworbenen notwendig, die den Kaufentschluss erst hervorrufen sollen. Dies kennzeichnet die Direktheit und damit Unmittelbarkeit der Ansprache. Auch die Anpreisung "Dein Extra" gibt einen zusätzlichen Kaufanreiz, denn das Extra erhält man nur beim Kauf der Zeitung.
Da es sich zudem um eine neu erscheinende Zeitschrift handelt, die sich erst auf dem Markt etablieren muss, kann auch der Auffassung der Beklagten nicht gefolgt werden, dass die streitgegenständliche Aufforderung nur eine Information oder einen Anreiz zum Ansehen der Zeitschrift in Schulen, Bibliotheken oder bei Freunden darstellen kann. Auf Grund des erstmaligen Erscheinens kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Zeitschrift schon derart weit verbreitet ist wie andere etablierte Kindermagazine, dass eine Einsichtnahme auf diesen Wegen möglich ist. Vor allem aber ist der Hinweis, dass die Zeitschrift "ab 15.4. am Kiosk" zu haben ist, eindeutig auf einen Erwerb der Zeitschrift gerichtet.
Der Einwand der Beklagten, derartige Werbeaussagen seien gang und gäbe, rechtfertigt nicht ein eigenes wettbewerbswidriges Verhalten und ist insoweit unbeachtlich. Zudem unterscheiden sich die von der Beklagten vorgelegten Anzeigen von der hier vorliegenden Werbung dadurch, dass zwar ein Erscheinungszeitpunkt genannt wird, es aber an einer vergleichbaren Aufforderung wie "Nicht verpassen" fehlt.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten aus § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG, da die Abmahnung aus den oben genannten Gründen berechtigt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 ZPO.
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