Baden Würtemberg: Karlsruhe

„Kalter Kaffee?“ –Verfügbarkeit von Produkten & irreführende Werbung

Urteil vom BGH

Entscheidungsdatum: 07.04.2005
Aktenzeichen: I ZR 314/02

Leitsätze

1. Wird ein Produkt auf einer Plattform beworben, ohne „in angemessener Menge zur Befriedigung der zu erwartenden Nachfrage zur Verfügung“ zu stehen, ist darin eine irreführende Werbung im Sinne des § 5 V S. 1 UWG zu sehen.
2. Denn der durchschnittliche Verbraucher geht davon aus, dass das beworbene Produkt „zu dem angekündigten oder nach den Umständen zu erwartenden Zeitpunkt verfügbar“ ist.
3. Erfolgt keine Angabe über die Verfügbarkeit, so geht der Durchschnittskunde von sofortiger Verfügbarkeit der Ware aus.
4. Für den Hinweis über die Verfügbarkeit genügt es, wenn der durchschnittliche Nutzer eine verknüpfte Produktseite erkennen kann und dieser folgend Informationen über die Lieferfrist erhält.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 5. Zivilsenat, vom 13. November 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Parteien sind u.a. Wettbewerber beim Vertrieb elektrischer Haushaltsgeräte.

Die Beklagte bietet ihre Waren im Internet an. Sie warb am 23. November 2001 auf der Einstiegsseite ihrer Website u.a. wie folgt für eine Kaffeemaschine Jura IMPRESSA S 95PL:

...

Der jeweils geltende Tagespreis mußte telefonisch bei der Beklagten abgefragt werden. Für die Auslieferung der Maschine galt eine Lieferfrist von drei bis vier Wochen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob durch Anklicken der Kaffeemaschine eine Produktseite aufgerufen werden konnte, auf der sich auch ein Hinweis auf die Lieferzeit befand.

Die Klägerin hat behauptet, die aufrufbare Seite habe außer der Telefonnummer des Call-Centers der Beklagten keine weiteren Informationen enthalten. Die Beklagte hat demgegenüber vorgebracht, die Produktseite sei mit einer Produktbeschreibung und dem unübersehbaren Hinweis auf die Lieferfrist abrufbar gewesen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Bewerbung von nicht sofort zur Auslieferung bereitstehenden elektrischen Küchenartikeln sei irreführend.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken im Internet elektrische Haushaltsartikel zu bewerben, die im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Werbung nicht zur Auslieferung stehen, insbesondere wie dies aus den dem Urteil beigefügten Anlagen JS 1 und 2 ersichtlich ist.

Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Unterlassungsanspruch aus § 3 UWG a.F. für begründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:

Das Publikum entnehme der beanstandeten Werbung, daß die abgebildete Kaffeemaschine zur sofortigen Auslieferung bereitstehe, und werde in dieser Erwartung unstreitig getäuscht. Es komme nicht darauf an, daß die vollständige Information möglicherweise durch Aufruf eines Produktblattes erhältlich gewesen sei. Daher könne unterstellt werden, daß ein Produktblatt mit dem Hinweis auf die Lieferfrist habe abgerufen werden können.

Eine Werbung sei irreführend, wenn die angebotene Ware, die zum persönlichen Gebrauch bestimmt sei, entgegen der durch die konkrete Werbemaßnahme hervorgerufenen Erwartung des Verkehrs zum angekündigten Zeitpunkt nicht oder nicht in ausreichender Menge im Verkaufslokal vorrätig sei und zur sofortigen Mitnahme bereitstehe. Diese Verkehrserwartung gelte auch für den Versandhandel mit elektrischen Haushaltsartikeln. Der Verkehr erwarte angesichts der ihm geläufigen Gebräuche im Versandhandel, daß zum Verkauf beworbene elektrische Haushaltsgeräte bei Eingang der Bestellung nicht erst vom Verkäufer beschafft werden müßten, sondern unverzüglich versandfertig gemacht und auf den Weg gebracht würden. Dies könne der Senat aus eigener Anschauung beurteilen, da seine Mitglieder zu den mit der Werbung angesprochenen Verkehrskreisen gehörten.

Das Verbot irreführender Angaben über die Lieferbarkeit von beworbener Ware solle verhindern, daß der Verbraucher durch solche Angaben angelockt, im Geschäft des Werbenden enttäuscht und gegebenenfalls veranlaßt werde, andere Waren zu kaufen. Dieser Grundsatz sei auf den vorliegenden Fall auch dann übertragbar, wenn ein Produktblatt mit aufklärendem Hinweis über die Lieferfrist vorhanden gewesen sei. Es könne zwar davon ausgegangen werden, daß es fortgeschrittene Internetnutzer gebe, die ein beworbenes Produkt anklickten, um nähere Informationen zu erhalten. Diese würden nicht über die Lieferbarkeit der Kaffeemaschine getäuscht, da sie nach dem Vorbringen der Beklagten über die Lieferfrist von drei bis vier Wochen aufgeklärt würden. Es gebe aber auch Nutzer des Internets, denen es nicht geläufig sei, daß ein beworbenes Produkt zum Erhalt weiterer Informationen angeklickt werden müsse. Es könne nicht unterstellt werden, daß der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Verbraucher als Anfänger in der Nutzung des Internets schon über das Erfahrungswissen eines geübten und versierten Nutzers verfüge. Eine als rechtlich relevant anzusehende Gruppe von Verbrauchern habe keinen Anlaß, nach weiteren Informationen zu forschen, wenn sie nicht etwa in Form von Links auf ein weiteres Informationsangebot hingewiesen werde. Für einen Teil dieser Verbraucher werde die Werbung der Beklagten möglicherweise unbeachtlich sein, weil sie nicht wüßten, wie sie den aktuellen Tagespreis in Erfahrung bringen könnten. Diejenigen Verbraucher, die sich dennoch für das Gerät interessierten, könnten über die ihnen aus den Printmedien geläufigen Suchstrategien den Link "Impressum" anklicken und die Telefonnummer des Call-Centers der Beklagten erfahren. Diese Interessenten befänden sich in derselben Situation wie diejenigen, die ein Ladengeschäft in der irrigen Annahme aufsuchten, daß ein gerade in einer Werbeanzeige angepriesenes Gerät zum Verkauf vorrätig sei. Der Verkäufer erhalte so die Möglichkeit eines werbenden Verkaufsgesprächs, die er ohne die irreführende Werbung nicht erhalten hätte. Es widerspreche jedenfalls nicht jeder Lebenserfahrung anzunehmen, daß der Kunde, wenn ihm die Lieferfrist bei dem Telefonat überhaupt mitgeteilt werde, von dem Verkäufer zum Abwarten der Frist überredet oder gar auf ein anderes Produkt hingelenkt werde.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch sind die Bestimmungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vom 3. Juli 2004 anzuwenden. Der im Streitfall auf eine Wiederholungsgefahr gestützte Unterlassungsanspruch besteht allerdings nur, wenn das beanstandete Verhalten auch zur Zeit der Begehung wettbewerbswidrig war (vgl. BGH, Urt. v. 20.1.2005 - I ZR 96/02, WRP 2005, 474, 475 - Direkt ab Werk).

2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die beanstandete Werbung der Beklagten im Internet sei irreführend und deshalb unlauter (§§ 3, 5 UWG; § 3 UWG a.F.), hält auf der Grundlage der bisherigen tatrichterlichen Feststellungen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Ob eine Werbung irreführende Angaben enthält, bestimmt sich, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, maßgeblich danach, wie der angesprochene Verkehr die beanstandete Werbung aufgrund ihres Gesamteindrucks versteht (st. Rspr.; vgl. BGHZ 151, 84, 91 - Kopplungsangebot I; BGH, Urt. v. 16.12.2004 - I ZR 222/02, WRP 2005, 480, 483 - Epson-Tinte, m.w.N.). Die Werbung der Beklagten für die von ihr angebotene Kaffeemaschine richtet sich an den Verbraucher. Demgemäß ist auf das Verständnis eines durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers abzustellen, der der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt (st. Rspr.; vgl. BGHZ 156, 250, 252 f. - Marktführerschaft, m.w.N.).

Stehen die einzelnen Angaben in einer in sich geschlossenen Darstellung, so dürfen sie nicht aus ihrem Zusammenhang gerissen werden (vgl. BGH, Urt. v. 14.12.1995 - I ZR 213/93, GRUR 1996, 367, 368 = WRP 1996, 290 - Umweltfreundliches Bauen; BGH WRP 2005, 480, 484 - Epson-Tinte). Ob mehrere Angaben innerhalb einer Werbeschrift oder einer sonstigen (äußerlich einheitlichen) Werbedarstellung selbst bei einer gewissen räumlichen Trennung (z.B. beim Abdruck auf verschiedenen Seiten eines umfangreichen Katalogs) gleichwohl, beispielsweise wegen eines inhaltlichen Bezugs oder wegen eines ausdrücklichen Verweises, als zusammengehörig aufgefaßt werden oder nicht, richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls (BGH WRP 2005, 480, 484 - Epson-Tinte).

b) Diese Grundsätze gelten für die Werbung im Internet in entsprechender Weise (BGH WRP 2005, 480, 484 - Epson-Tinte).

aa) Nach § 5 Abs. 5 Satz 1 UWG ist es irreführend, für eine Ware zu werben, die unter Berücksichtigung der Art der Ware sowie der Gestaltung und Verbreitung der Werbung nicht in angemessener Menge zur Befriedigung der zu erwartenden Nachfrage zur Verfügung steht. Diese Regelung findet ihre Rechtfertigung darin, daß der Verbraucher erwartet, daß die angebotenen Waren zu dem angekündigten oder nach den Umständen zu erwartenden Zeitpunkt verfügbar sind, so daß die Nachfrage befriedigt werden kann. Die Vorschrift des § 5 Abs. 5 Satz 1 UWG knüpft damit an die Grundsätze an, die die Rechtsprechung zur Vorratshaltung im stationären Handel im Rahmen des § 3 UWG a.F. entwickelt hat.

Diese Grundsätze gelten in modifizierter Weise auch hinsichtlich der Werbung für einen Versandhandel im Internet. Hier erwartet der Verbraucher in der Regel, daß die beworbene Ware unverzüglich versandt werden kann, unabhängig davon, ob der Werbende die Ware selbst vorrätig hält oder sie bei einem Dritten abrufen kann.

Der Verkehr erwartet bei Angeboten im Internet, die anders als Angebote in einem Versandhauskatalog ständig aktualisiert werden können, mangels anderslautender Angaben die sofortige Verfügbarkeit der beworbenen Ware. Die Rücksichtnahme auf diese Erwartung des Verkehrs belastet den Unternehmer, der einen Versandhandel betreibt und sein Warenangebot im Internet bewirbt, nicht in unzumutbarer Weise. Es bleibt ihm unbenommen, durch geeignete Zusätze auf einen bestimmten Angebotszeitraum oder Lieferfristen hinzuweisen, wenn er nicht in der Lage ist, eine Nachfrage tagesaktuell zu erfüllen.

Mit Recht hat das Berufungsgericht daher angenommen, der von der Werbung eines Internet-Versandhauses angesprochene Durchschnittsverbraucher gehe bei zum Verkauf beworbenen elektrischen Haushaltsartikeln grundsätzlich von einer sofortigen Lieferbarkeit der beworbenen Ware aus, wenn nicht auf das Bestehen einer abweichenden Lieferfrist unmißverständlich hingewiesen werde.

bb) Entgegen der Auffassung der Revision können die verbraucherschutzregelnden Bestimmungen bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz auf die Beurteilung der irreführenden Werbung im Bereich des Internet-Versandhandels grundsätzlich keine einschränkende Bedeutung haben (vgl. BGH, Urt. v. 1.4.2004 - I ZR 227/01, GRUR 2004, 699, 701 = WRP 2004, 1160 - Ansprechen in der Öffentlichkeit I).

c) Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Annahme des Berufungsgerichts, eine Irreführung liege auch dann vor, wenn der Hinweis auf die Lieferfrist nicht auf der Eingangsseite, sondern erst auf einer durch Anklicken eines elektronischen Verweises (Links) erreichbaren "Produktseite" gegeben werde.

aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, der Inhalt der Produktseite, auf der sich der Hinweis auf die Lieferfrist - unterstellt - befinde, sei für den Gesamteindruck der beanstandeten Werbung ohne Bedeutung, weil diese Seite von einer für die Irreführung maßgeblichen Gruppe von Verbrauchern nicht genutzt werde. Es hat dabei darauf abgestellt, daß Anfänger in der Nutzung des Internets keinen Anlaß hätten, nach weiteren Informationen zu forschen, wenn sie nicht etwa durch elektronische Verweise auf ein weiteres Informationsangebot hingewiesen würden. Dieser Beurteilung kann nicht beigetreten werden.

bb) Ein von der Werbung der Beklagten angesprochener Verbraucher hat bereits aktiv die Internetseite der Beklagten aufgesucht. Ein solcher Verbraucher verfügt erfahrungsgemäß über die Fähigkeit, einen elektronischen Verweis zu erkennen. Davon ist auch das Berufungsgericht für den Verweis "Impressum" als selbstverständlich ausgegangen. Der Kaufinteressent wird dabei gerade diejenigen über einen elektronischen Verweis verknüpften Seiten aufrufen, die er zur Information über die von ihm ins Auge gefaßte Ware benötigt oder zu denen er durch Verweise aufgrund einfacher elektronischer Verknüpfung oder durch klare und unmißverständliche Hinweise auf den Weg bis hin zum Vertragsschluß geführt wird (vgl. BGH, Urt. v. 3.4.2003 - I ZR 222/00, GRUR 2003, 889, 890 = WRP 2003, 1222 - Internet-Reservierungssystem; BGH WRP 2005, 480, 484 - Epson-Tinte). Da der der streitgegenständlichen Produktabbildung unterlegte elektronische Verweis keine Besonderheiten aufweist, die seine Erkennbarkeit erschweren könnten, ist davon auszugehen, daß der von der Werbung der Beklagten angesprochene Durchschnittsverbraucher, der den Erwerb der beworbenen Kaffeemaschine in Betracht zieht, eine derartige elektronische Verweisung erkennt, die dadurch verknüpfte Produktseite aufruft und als zum beworbenen abgebildeten Produkt gehörend ansieht.

Hat er diese Seite aufgerufen, wird er nach dem vom Berufungsgericht unterstellten Vortrag der Beklagten über die bestehende Lieferfrist informiert. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird daher zu klären sein, ob die Produktseite diese Angabe enthält.

III. Danach war auf die Revision der Beklagten das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

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