Leserkommentar zum Artikel

PM des BVOH: Seid umschlungen, Millionen - Schlechte Zeiten für Vertragsstrafforderer

Landgericht Dresden entschied: Wer seinen Onlineauftritt rechtsanwaltlich überprüfen lässt, schuldet bei zuvor abgegebener Unterlassungserklärung keine Vertragsstrafe. OLG Hamm bestätigt: Wer zuvor anwaltlichen Rat einholt, handelt nicht vorsätzlich.

» Artikel lesen


Fehlurteil - Landgericht Dresden (Entscheidung vom 23.01.2009, 10 O 2246/08, noch nicht rechtskräftig)

Beitrag von genius
03.07.2009, 20:45 Uhr

Klassisches Fehlurteil.

Die Rechtsfrage wurde vom BGH schon längst ausgeurteilt.

Verschulden und Rechtsirrtum; Rechtsberater als Erfüllungsgehilfe i.S.v. § 278 BGB---BGH, Urteil vom 25. Oktober 2006 - VIII ZR 102/06

Hier mal ein Auszug:

(...) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind zwar an das Vorliegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums strenge Maßstäbe anzulegen. Der Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten (BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 - X ZR 157/05, BB 2006, 1819 unter II 3 c; Senatsurteil vom 4. Juli 2001 - VIII ZR 279/00, NJW 2001, 3114 unter II 3 d m.w.Nachw.).

Diesen Anforderungen haben die Beklagten jedoch genügt. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts sind sie einer Empfehlung des Mieterschutzvereins gefolgt, die Betriebskostenvorschüsse bis zur Übersendung der Belege zurückzuhalten. Sie durften sich auf die Kompetenz des Mieterschutzvereins, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben die Beratung in Mietrechtsangelegenheiten gehört, verlassen. (...)

Nun Knüppel aus dem Sack:

(...) Die Revision macht jedoch zu Recht geltend, dass der Mieter im Rahmen von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch für das schuldhafte Verhalten eines Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB verantwortlich ist. Das entspricht der ganz herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, die der Senat teilt (OLG Köln, ZMR 1998, 763, 766 = WuM 1998, 23, 24; LG Berlin, NZM 1998, 573 = ZMR 1998, 231 unter II; Schmidt-Futterer/Blank, aaO, § 573 BGB Rdnrn. 19 und 31 i.V.m. § 543 BGB Rdnr. 97; Palandt/Weidenkaff, aaO, § 573 Rdnr. 14; MünchKommBGB/ Häublein, 4. Aufl., § 573 Rdnr. 64; Staudinger/Rolfs, BGB, 2003, § 573 Rdnr. 33; Reick in Bamberger/Roth, BGB, § 573 Rdnr. 23; Barthelmess, Wohnraumkündigungsschutzgesetz, Miethöhegesetz, 5. Aufl., § 564b BGB Rdnr. 57; Grapentin in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraum miete, 3. Aufl., IV Rdnr. 63 f.; Haug in Emmerich/Sonnenschein, Miete, 8. Aufl., § 573 Rdnr. 22; Lammel, Wohraummietrecht, 2. Aufl., § 573 BGB Rdnr. 58; Krenek, in Müller/Walther, Miet- und Pachtrecht, Stand August 2006, C § 573 Rdnr. 20; Wenger, MDR 2000, 1239).

Der Wortlaut von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB (entspricht § 564b Abs. 2 Nr. 1 BGB in der bis zum 31. August 2001 geltenden Fassung) schließt eine Anwendung von § 278 BGB jedenfalls nicht aus, auch wenn er ein schuldhaftes Verhalten des Mieters und nicht ein Vertretenmüssen der Pflichtverletzung durch den Mieter voraussetzt. Denn gemäß § 278 BGB ist der Schuldner für ein Verschulden seines Erfüllungsgehilfen in gleichem Umfang verantwortlich wie für ein eigenes Verschulden.

21 a) Die Beklagten haben sich des von ihnen eingeschalteten Mieterschutzvereins im Sinne von § 278 BGB bezüglich der Erfüllung ihrer mietvertraglichen Verpflichtung zur monatlichen Entrichtung von Betriebskostenvorschüssen bedient. Die Zurechnung eines Verschuldens des Mieterschutzvereins nach § 278 BGB scheitert daher nicht an einer fehlenden Erfüllungsgehilfeneigenschaft.

22 Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Verhältnissen des gegebenen Falles mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (BGHZ 13, 111, 113; st.Rspr.). Der Mieterschutzverein ist allerdings nicht zur Ausführung der eigentlichen Erfüllungshandlung, der Zahlung der Betriebskostenvorschüsse, tätig geworden, sondern hat die Beklagten in rechtlicher Hinsicht bei der Entscheidung darüber beraten, ob erfüllt werden oder von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht werden soll. Es ist umstritten, ob ein in dieser Weise mitwirkender Rechtsberater als Erfüllungsgehilfe anzusehen sein kann. Teilweise wird die Auffassung vertreten, der Beratene hafte nur für ein Auswahlverschulden (Erman/Battes, BGB, 10. Aufl., § 285 Rdnr. 5; LG Karlsruhe, WuM 1990, 294); ++++ nach überwiegender Ansicht hat er dagegen für ein Verschulden seines Rechtsberaters, auch eines Rechtsanwalts, nach § 278 BGB einzustehen ++++(BGH, Urteil vom 12. Juli 2006, aaO; BAG, ZIP 1987, 1339 unter B IV 2 b; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., § 285 Rdnr. 13; Staudinger/Löwisch, BGB (2004), § 286 Rdnr. 163; Fischer, ZMR 1994, 309, 311; Kinne in Kin-ne/Schach/Bieber, Miet- und Mietprozessrecht, 4. Aufl., § 543 Rdnr. 87; Münch-KommBGB/Häublein, aaO, § 573 Rdnr. 64; Lammel, aaO, § 573 Rdnr. 58; Schmidt-Futterer/Blank, aaO, § 543 BGB, Rdnr. 97; OLG Köln, aaO; vgl. auch LG Berlin, aaO).

23 ++++ Der Senat teilt die herrschende Meinung, weil nur sie eine angemessene Risikoverteilung zwischen Gläubiger und Schuldner ermöglicht und eine ungerechtfertigte Privilegierung des Beraters verhindert ++++ (vgl. auch BGHZ 58, 207, 211). Müsste der Schuldner nur für eine sorgfältige Auswahl des Beraters haften, ginge eine etwaige Falschberatung durch diesen zulasten des Gläubigers, der an dem Beratungsverhältnis nicht beteiligt ist und dem auch kein Schadensersatzanspruch gegen den Berater zustünde, während der Schuldner dadurch geschützt ist, dass er bei seinem Rechtsberater Regress nehmen kann. ++++

24 b) Den von den Beklagten zu Rate gezogenen Mieterschutzverein trifft der Vorwurf schuldhaften Verhaltens im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Das gilt unabhängig davon, ob sich der für den Mieterschutzverein Handelnde seinerseits in einem Rechtsirrtum befand oder ob er den Beklagten in Kenntnis einer ungeklärten Rechtslage geraten hat, die vertraglich geschuldeten Betriebskostenvorschüsse wegen der fehlenden Übersendung von Belegen zu den Nebenkostenabrechnungen zurückzuhalten.

Entschuldigt ist ein Rechtsirrtum nur dann, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte (BGH, Urteil vom 12. Juli 2006, aaO; Urteil vom 26. Januar 1983 - IVb ZR 351/81, NJW 1983, 2318 unter B II 2 b; Urteil vom 18. April 1974 - KZR 6/73, NJW 1974, 1903 unter III). Bei einer zweifelhaften Rechtsfrage handelt bereits fahrlässig, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, in dem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss (BGH, Urteil vom 18. Dezember 1997 - I ZR 79/95, NJW 1998, 2144 unter II 1). +++ Der Schuldner darf nicht das Risiko einer zweifelhaften Rechtslage dem Gläubiger zuschieben (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1986 - KZR 36/85, GRUR 1987, 564 unter 3; Urteil vom 7. März 1972 - VI ZR 169/70, WM 1972, 589 unter II 2). +++

(...)

KLARE WORTE DES BGH.

Die Kette ist also klar. Der Gläubiger kann sich beim Unterlassungsschuldner die Vertragsstrafe abholen. Der Unterlassungsschuldner kann sich ggf. bei seinem Anwalt schadlos halten (Regreß).

Erstaunlich, dass die IT-Rechtler diese Entscheidung nicht kennen.

Die Überschrift müßte also lauten:

Schlechte Zeiten für Anwälte, die bei der Abgabe einer Unterlassungserklärung Fehler machen !

:-)

Weitere Kommentare zu diesem Artikel | Alle 10 Kommentare vollständig anzeigen

  • Fischen nach Mandanten, da ist jedes Fehlurteil recht von Fischer, 11.12.2009, 14:42 Uhr

    Wenn die Anwälte jetzt freien Rechtsraum bei ihrer Beratung genießen sollen, dann nur zu. Die Berufshaftpflichtversicherungen wirds freuen. Dann braucht jeder nur noch sagen, vor dem objektiven Gesetzesverstoss habe er einen Anwalt befragt und dieser habe ihm "grünes Licht" gegeben. Dann wäre der... » Weiterlesen

  • Interessantes BGH-Urteil von IT-Recht Kanzlei, 14.07.2009, 19:08 Uhr

    Die IT-Recht-Kanzlei hat die rege Diskussion in Bezug auf die Gerichtsentscheidung des LG Dresden registriert und möchte inmitten des mannigfaltigen Meinungsstands der Kommentare auf ein interessantes, sachverhaltsnahes Urteil des BGH aus dem Jahre 1987 hinweisen. Die intensiv in den Kommentaren... » Weiterlesen

  • Natürlich ist das Urteil richtig von Frank, 09.07.2009, 13:24 Uhr

    Ein Gericht wird doch nicht falsche Urteile in die Welt setzen.

  • Fehlurteil - Nur schöne Worte von paragrafenreiter, 09.07.2009, 12:30 Uhr

    klares Fehlurteil des LG Dresden. Erfüllungsgehilfe hin, Verrichtungsgehilfe her. Ich stimme dem Vorredner zu: Relevant ist der Schutz des Unterlassungsgläubigers; dieser darf nicht im rechtsfreien Raum stehen. Das Obergericht wird das schon in den richtigen Kontext entsprechender Rechtsnomen... » Weiterlesen

  • Gläubigerschutz von Alexander Schupp, Küttner Rechtsanwälte, 09.07.2009, 11:17 Uhr

    Grundsätzlich ist es natürlich richtig, dass der Gläubiger eines Vertragsverhältnisses Schutz genießt. Deshalb hat der BGH in dem hier wiederholt zitierten Fall zu Recht entschieden, dass der Gläubiger, dem durch die fehlerhafte vertragsbezogene Beratung des Anwalts des Schuldners ein Schaden... » Weiterlesen

  • Für den Verlierer wird es immer ein Fehlurteil bleiben. von Kommentator, 09.07.2009, 11:09 Uhr

    Es gibt – bei LG Dresden, 10 O 2246/08 – einen tragenden und auch entscheidenden Grund dafür, warum letztlich weder Erfüllungsgehilfenhaftung, noch Verrichtungsgehilfenhaftung greifen konnte: Der Rechtsanwalt hatte nämlich keinen Fehler gemacht. Weil der Rechtsanwalt nichts falsch gemacht hatte,... » Weiterlesen

  • Klares Fehlurteil von anwaltsliebling, 08.07.2009, 21:59 Uhr

    Auszug BGH : (...) Der Senat teilt die herrschende Meinung, weil nur sie eine angemessene Risikoverteilung zwischen Gläubiger und Schuldner ermöglicht und eine ungerechtfertigte Privilegierung des Beraters verhindert (vgl. auch BGHZ 58, 207, 211). Müsste der Schuldner nur für eine sorgfältige... » Weiterlesen

  • Natürlich Fehlurteil von dr. jur., 08.07.2009, 21:50 Uhr

  • Kein Fehlurteil, sondern Fehlkommentar von Alexander Schupp, Küttner Rechtsanwälte, 08.07.2009, 19:32 Uhr

    ich möchte mich dem Urteil des BVOH anschließen. In dem zitierten Urteil des BGH ging es um eine konkrete anwaltliche Beratung zu Vertragspflichten. Hier greift in der Tat § 278 BGB. In dem besprochenen Urteil des LG Dresden ging es aber um die Beratung über allgemeine gesetzliche... » Weiterlesen

  • Eine sehr gut vertretbare Entscheidung! von Leserbriefschreiber, 08.07.2009, 12:14 Uhr

    So pompös das BGH-Urteil klingen mag, es ist nicht einschlägig. Der Rechtsanwalt war nämlich kein Erfüllungsgehilfe und er hatte auch keinen Fehler gemacht. Selbst nach der eigenen Definition des BGH war der Rechtsanwalt kein Erfüllungsgehilfe. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen... » Weiterlesen

Kommentar schreiben

© 2004-2025 · IT-Recht Kanzlei