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Frankreich

Das Widerrufsrecht im grenzüberschreitenden Warenverkauf nach Frankreich

Das Widerrufsrecht im grenzüberschreitenden Warenverkauf nach Frankreich
4 min
Beitrag vom: 04.11.2015
Aktualisiert: 20.12.2025

Die unionsrechtliche Vollharmonisierung täuscht: Im französischen Widerrufsrecht lauern durch Strafzahlungen und Bußgelder Haftungsrisiken, die weit über das deutsche Recht hinausgehen.

Im Bereich des Fernabsatzrechts wiegt die vermeintliche Sicherheit der Vollharmonisierung durch die Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU viele Online-Händler in falscher Sicherheit. Zwar sind die Eckpfeiler – etwa die 14-tägige Widerrufsfrist und die grundsätzliche Rückabwicklung – unionsrechtlich determiniert, doch bei der Expansion auf den französischen Markt lauern im Code de la consommation erhebliche Haftungsrisiken.

Für deutsche Händler, die ihre Waren in Frankreich vertreiben, ist die Kenntnis der französischen Spezifika essenziell. Denn während das deutsche Recht Verstöße primär dem Zivil- oder Wettbewerbsrecht zuordnet, operiert der französische Gesetzgeber mit einem deutlich schärferen Sanktionsregime.

Die Rückabwicklung: Vom Verzugszins zur gesetzlichen Pönalisierung

Nach wirksamem Widerruf ist die Erstattung des Kaufpreises innerhalb von 14 Tagen obligatorisch. In der Rechtsfolge bei Fristüberschreitung trennen sich die Rechtsordnungen jedoch fundamental.

Während sich der Verzug im deutschen Recht nach den allgemeinen Regeln der §§ 286, 288 BGB richtet und damit meist auf einen moderaten Verzugszins beschränkt bleibt, statuiert Art. L242-4 C. consom. ein eigenständiges, pönalisierendes System.

Die Erstattungssumme erhöht sich bei Verspätung kraft Gesetzes progressiv:

  • Bei einem Verzug von bis zu 10 Tagen greift der gesetzliche Zinssatz.
  • Zwischen 10 und 20 Tagen Verspätung erhöht sich der Betrag bereits um 10 %.
  • Zwischen 20 und 30 Tagen um 20 %.
  • Bis zu einer Verdoppelung des Betrages bei längerem Verzug.

Diese Zuschläge sind keine bloßen Zinsen, sondern haben Sanktionscharakter und greifen ohne weiteren Nachweis eines Schadens durch den Verbraucher. Für den Händler bedeutet dies: Ein ineffizientes Retourenmanagement führt in Frankreich unmittelbar zu messbaren Liquiditätsverlusten.

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Administrative Bußgelder: Das Widerrufsrecht unter staatlicher Aufsicht

Ein entscheidender Unterschied zur deutschen Rechtsdogmatik liegt in der öffentlich-rechtlichen Dimension des französischen Verbraucherschutzes. In Deutschland führt eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung primär zu wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen durch Konkurrenten oder Verbände.

Frankreich geht einen Schritt weiter: Art. L242-13 C. consom. qualifiziert Verstöße gegen die Informationspflichten oder die Abwicklungsmodalitäten des Widerrufsrechts als Ordnungswidrigkeit. Die zuständige Aufsichtsbehörde (DGCCRF) kann gegen juristische Personen administrative Bußgelder von bis zu 75.000 Euro verhängen. Das Widerrufsrecht ist hier somit nicht nur ein Instrument des Individualschutzes, sondern Gegenstand staatlicher Marktüberwachung mit erheblicher Sanktionsgewalt.

Beweislast und Dokumentation: Die gesetzliche Fixierung

In Deutschland ergibt sich die Beweislast für die Ausübung des Widerrufsrechts aus den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen (derjenige, der sich auf eine für ihn günstige Norm beruft, trägt die Beweislast).

Der französische Gesetzgeber hat dies in Art. L221-22 C. consom. explizit kodifiziert: Die Beweislast für die fristgerechte und ordnungsgemäße Ausübung des Widerrufs liegt beim Verbraucher. Auch wenn dies auf den ersten Blick händlerfreundlich wirkt, korrespondiert diese Norm mit strengen Anforderungen an die Dokumentation des Widerrufsprozesses. Händler sind gut beraten, Schnittstellen vorzuhalten, die dem Verbraucher einen rechtssicheren Nachweis (z.B. durch eine automatisierte Eingangsbestätigung) ermöglichen, um prozessuale Risiken von vornherein zu minimieren.

Die Fristverlängerung bei Belehrungsfehlern: Ein dynamisches Risiko

Beide Rechtsordnungen sanktionieren eine unzureichende Belehrung mit einer massiven Verlängerung der Widerrufsfrist. Doch die gesetzliche Konstruktion unterscheidet sich im Detail:

Deutsches Recht: Gemäß § 356 Abs. 3 BGB erlischt das Widerrufsrecht spätestens 12 Monate und 14 Tage nach dem regulären Fristbeginn („Ewigkeitswiderrufsrecht“ mit harter Cut-off-Frist).

Französisches Recht: Art. L221-20 C. consom. sieht eine Verlängerung um 12 Monate vor. Erfolgt die Information innerhalb dieses Zeitraums nachträglich, beginnt ab diesem Zeitpunkt die reguläre 14-Tage-Frist.

Die französische Regelung erfordert eine präzisere Überwachung der Nachbelehrung, da die Fristberechnung hier stärker an den Zeitpunkt der Heilung des Informationsmangels anknüpft.

Fazit für die Praxis

Der Warenvertrieb nach Frankreich verlangt mehr als eine bloße Übersetzung der deutschen AGB und Widerrufsbelehrungen. Die französische Rechtsordnung zeichnet sich durch eine deutlich höhere Interventionsdichte aus. Insbesondere das automatisierte System der Rückzahlungszuschläge und die drohenden administrativen Bußgelder verschärfen das Risikoprofil erheblich.

Online-Händler müssen ihre Prozesse – von der IT-gestützten Fristenkontrolle bei Retouren bis hin zur rechtssicheren Dokumentation der Widerrufserklärungen – zwingend an den strengen Vorgaben des Code de la consommation ausrichten. Wer das französische Widerrufsrecht lediglich als Spiegelbild des deutschen Rechts behandelt, setzt sich vermeidbaren finanziellen und regulatorischen Risiken aus.

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Bildquelle: Artindo / shutterstock.com

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