OLG Frankfurt a.M.: In Online-Shops muss das dritte Geschlecht als Anrede angeboten werden
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) stellt neben der Religion und der ethnischen Herkunft auch die sexuelle Identität und das Geschlecht unter Schutz. Es besteht in Bezug auf diese geschützten Rechtsgüter ein Benachteiligungsverbot. So hat nun auch das OLG Frankfurt a.M. im Falle einer Online-Vertriebstochter des größten deutschen Eisenbahnunternehmens entschieden, dass die Beschränkung der Anredemöglichkeiten im Online-Bestellportal der Vertriebstochter auf „Herr“ und „Frau“ eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts von Personen einer nicht-binären Geschlechtsidentität ist.
Inhaltsverzeichnis
I. Der Sachverhalt
Die Beklagte ist Vertriebstochter der Deutschen Bahn. Die Klägerin hat eine nicht- binäre Geschlechtsidentität. Sie ist Inhaberin einer Bahncard der Beklagten und bemühte sich seit Oktober 2019 vergeblich, die hierfür bei der Beklagten hinterlegten Daten hinsichtlich der geschlechtlichen Anrede anzupassen. Im System der Beklagten ist es auch beim Online-Fahrkartenkauf zwingend erforderlich, zur Käuferregistrierung zwischen einer Anrede als Frau oder Herr auszuwählen, der sich die Klägerin identitär nicht zuordnen kann.
Die Klägerin ist der Auffassung, ihre stehe ein Anspruch auf Unterlassung und Entschädigung gegen die Beklagte zu, da deren Verhalten diskriminierend sei.
II. Die Entscheidung der Vorinstanz
Das Landgericht Frankfurt a.M. hatte mit Urteil vom 26.8.2021 (Az.: 2-30 O 154/20) der Klage teilweise stattgegeben. Der Klägerin stehe – so das Gericht – gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung gemäß §§ 21 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 19, 3 und 1 AGG zu, da die zwingende Auswahl einer Anrede als Frau oder Herr im Zusammenhang mit dem Online-Fahrkartenkauf eine Benachteiligung im Sinne des AGG darstelle. Der Beklagten sei jedoch eine Frist von einem halben Jahr einzuräumen, um den Rechtsverstoß zu beenden.
Ein Entschädigungsanspruch nach § 21 Ab. 2 Satz 3 AGG stehe der Klägerin hingegen nicht zu. Bei der gebotenen Abwägung sei das in der zögerlichen Umsetzung liegende Fehlverhalten der Beklagten im Hinblick auf den erfolgten Eingriff nicht als so schwer zu bewerten, dass es die Zahlung einer Geldentschädigung begründe.
Gegen das Urteil ging die Beklagte in Berufung.
III. Die Entscheidung der Berufungsinstanz
Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. hat die Berufung der beklagten Bahn-Vertriebstochter mit Beschluss vom 14.4.2022 (Az. 9 U 84/21) wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen. Damit verbleibt es bei dem im Urteil des Landgerichts festgestellten Unterlassungsanspruch der Klägerin nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit gegen das Unternehmen.
Dieses hat es zu unterlassen, die Klägerin dadurch zu diskriminieren, dass bei der Nutzung von Online-Angeboten der Beklagten zwingend eine Anrede als „Frau“ oder „Herr“ angegeben werden muss.
IV. Fazit
Eingabemasken in Online-Shops, die in der Anrede nur nach „Herr“ oder „Frau“ unterscheiden, verletzen Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität in ihrem Persönlichkeitsrecht.
Dies geht neben der vorliegenden Entscheidung auch aus der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte wie zuletzt derjenigen des OLG Karlsruhe hervor.
Um nicht in abmahnbarer Form gegen Anti-Diskriminierungsvorschriften zu verstoßen, sollten Online-Händler entweder auf die verpflichtende Abfrage der Anredeform verzichten oder aber eine dritte Auswahlmöglichkeit mit der Bezeichnung „divers“ schaffen.
Ein Anspruch auf Entschädigung aus einem Verstoß gegen das AGG heraus besteht allerdings nur dann, wenn der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und der Grad des Verschuldens auf Seiten des Online-Shops schwerwiegend sind.
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