Kein Widerrufsrecht bei entsiegelten Hygieneartikeln & Co?
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"In welchen Fällen kann das Widerrufsrecht ausgeschlossen werden?"
Ab 13. Juni 2014 profitieren Online-Händler von einer weiteren Ausschlussmöglichkeit beim Fernabsatzwiderrufsrecht. Ab dann sind entsiegelte hygiene- und gesundheitssensible Waren vom Widerruf ausgenommen. Allerdings gilt dies nur für bestimmte Waren und nur dann, wenn diese ursprünglich mit einer Versiegelung im Sinne des Gesetzes versehen waren. Die IT-Recht Kanzlei informiert in einem ausführlichen Beitrag über die Voraussetzungen, die eine solche Versiegelung erfüllen muss.
I. Neue Ausschlussmöglichkeit beim Widerruf zum 13. Juni 2014
Bekanntlich stehen zum 13. Juni 2014 einige Änderungen im Fernabsatzwiderrufsrecht an. Mit der Reform gehen nicht nur neue Pflichten für Online-Händler einher. Teilweise ändert sich die Rechtslage für Webshop-Betreiber auch zum Positiven. So besteht ab besagtem Stichtag gemäß § 312g Absatz 2 Nr. 3 BGB neue Fassung kein Fernabsatzwiderrufsrecht (mehr) bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn die Versiegelung nach der Lieferung entfernt worden ist. So freudig dieser Ausschluss des Widerrufsrechts von Online-Händlern aufgenommen werden dürfte, so unklar ist ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt, welche Waren tatsächlich davon betroffen sind und wie eine entsprechende, rechtswirksame Versiegelung beschaffen sein muss.
Die IT-Recht Kanzlei beantwortet die wichtigsten Fragen hierzu.
II. Vom Erlöschen des Widerrufsrechts betroffene Warengruppen
Zunächst stellt sich die Frage, welche Warengruppen im Ausgangspunkt überhaupt von der Ausschlussmöglichkeit aus „Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene“ betroffen sind. Wohlbemerkt sind diese Warengruppen nicht von vorneherein vom Widerrufsrecht ausgeschlossen. Vielmehr besteht das Widerrufsrecht im Ausgangspunkt auch bei ihnen, erlischt dann aber später, wenn die Ware ursprünglich versiegelt war und vom Verbraucher entsiegelt worden ist.
Häufiger als die Gesundheit dürfte der Hygieneaspekt im Vordergrund stehen. Dabei geht es um solche Waren, die der Zweitkäufer – nachdem der Erstkäufer die Ware an den Verkäufer zurückgeschickt hat – insbesondere aufgrund von Ekelgefühlen in Folge einer möglichen Vorbenutzung durch den Erstkäufer nicht benutzen möchte. Dies gilt sicherlich zumindest für Waren, die bestimmungsgemäß üblicherweise mit dem Körper und den Körperöffnungen in Berührung kommen.
Beispiele dürften daher u. a. sein:
- Unterwäsche und Dessous
- Rasierapparate
- Erotikspielzeug
- Kosmetika
- Drogerieartikeln wie Gegenstände der Zahn- und Mundhygiene, z. B. Zahnbürsten
- Arzneimittel
- In-Ear-Kopfhörer
Bei Zweifeln, ob ein Produkt vom Ausschluss des Widerrufsrechts betroffen ist, können Online-Händler einen Selbsttest machen: würden sie persönlich das Produkt nach der Rückgabe und etwaigen üblichen Benutzung bzw. Ausprobieren noch als neu ansehen und ohne Einschränkung selbst benutzen wollen? Falls nein, so wäre das entsprechende Produkt von dem möglichen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Absatz 2 Nr. 3 BGB neue Fassung erfasst.
Rechtssicherheit wird es jedoch erst geben können, wenn die Rechtsprechung erste Fälle hierzu entschieden hat.
Vorsicht: Nach dem Gesetz ist das Widerrufsrecht nicht grundsätzlich bei allen hygiene- und gesundheitsrelevanten Waren ausgeschlossen bzw. erloschen, sondern nur bei solchen, die ordnungsgemäß versiegelt zum Verbraucher geschickt worden sind, und nach dem Widerruf des Verbrauchers entsiegelt, d. h. mit beschädigter Versiegelung beim Unternehmer ankommen. Waren hygiene- und gesundheitsrelevante Waren von Anfang an nicht oder nicht ordnungsgemäß versiegelt oder ist die Versiegelung später noch intakt, so ist das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen. Dann muss der Unternehmer die Ware selbstverständlich im Rahmen des Fernabsatzwiderrufsrechts zurücknehmen.
III. Welche Voraussetzungen muss eine rechtswirksame Versiegelung erfüllen?
Online-Händler, die hygiene- oder gesundheitssensible Waren im Fernabsatzhandel verkaufen, fragen sich nun, wie die Versiegelung gestaltet sein muss, damit das Widerrufsrecht der Verbraucher im Falle der Entsiegelung ausgeschlossen ist.
1. Vorgaben aus der bisherigen Rechtsprechung
Zum neuen Widerrufsrecht und dessen Ausschlussmöglichkeiten gibt es selbstverständlich noch keine Rechtsprechung, aus der sich die Voraussetzungen für eine rechtswirksame Versiegelung ableiten ließen.
Allerdings kennt bereits das geltende Recht einen Ausschlussgrund für das Fernabsatzwiderrufsrecht beim Verkauf von Software-, Audio- oder Video-Datenträgern, die vom Verbraucher entsiegelt worden sind (§ 312d Absatz 4 Nr. 2 BGB) . Über die Grundvoraussetzungen eines Siegels in dieser Konstellation hatte das OLG Hamm (Urteil vom 30. März 2010, Az. 4 U 212/09) entschieden. Demnach müsse eine Versiegelung dem Verbraucher als solche erkennbar sein und dürfe nicht lediglich als Schutzhülle anzusehen sein. Daher sei etwa die Cellophanhülle (Folie), in die beispielsweise CD-Cases häufig eingepackt sind, nicht als Siegel im Sinne des Gesetzes anzusehen. Zweck einer Versiegelung sei es, dem Verbraucher deutlich zu machen, dass er die Ware behalten muss, wenn er diese spezielle Verpackung öffne.
2. Allgemeine Empfehlungen zur Gestaltung der Versiegelung
Aus dem Zweck einer Versiegelung, nämlich die Unversehrtheit des Inneren einer Verpackung zu gewähren, folgen auch deren Voraussetzungen:
- Ein Siegel ist also eine besondere Art der Verpackung (etwa ein besonderer (Einmal-)Verschluss oder eine besondere Folie), die nicht bloß vor Schmutz schützt, sondern insbesondere eine Gewähr für die Unversehrtheit des Inhaltes bietet – dabei hängt die Gestaltung der Versiegelung im Einzelfall von der Art und Gestaltung der betroffenen Ware an.
- Die besondere Verpackung („Versiegelung“) darf zudem nach dem Entfernen nicht leicht und ohne Mühen wieder angebracht werden können, etwa weil sie ohne Beschädigung entfernt und genauso wieder verwendet, oder vom Verbraucher auf einfache Weise selbst „gebastelt“ werden kann.
- Schließlich muss die besondere Verpackung („Versiegelung“) als solche auch vom Verbraucher erkannt werden können, und etwa nicht bloß als Schutzfolie zur Abwendung von Staub und sonstigem Schmutz erscheinen. Die Versiegelung selbst muss dabei nicht ausdrücklich als „Versiegelung“ oder „Siegel“ bezeichnet werden; jedoch schadet eine solche klare Bezeichnung natürlich auch nicht. Teilweise gängig ist bereits eine Benennung als „Hygiene-Siegel“.
Eine Schutzhülle oder gar nur eine schlichte Umverpackung stellen somit keine Versiegelung im Sinne des § 312g Absatz 2 Nr. 3 BGB neue Fassung dar.
3. Beispiele für Versiegelungen
Beispiele für Versiegelungen, die diese Kriterien erfüllen, sind u. a.:
- Kappen zum einmaligen Abziehen, wie etwa unter dem Drehverschluss einer Zahnpasta-Tube
- einmalig ablösbare Folien, die abgezogen oder durchstochen werden müssen, wie etwa diejenige, die man vor dem Verzehr einer Nussnougat-Creme durchstechen muss
- Laschen zum einmaligen Abziehen, wie man sie von Saft- oder Milchpackungen kennt
- Die „Hygiene-Folien“ zum einmaligen Abziehen, etwa im Schritt von Bademoden oder sonstiger Unterwäsche
IV. Fazit
Die Möglichkeit des Ausschlusses des Fernabsatzwiderrufsrechts bei hygiene- und gesundheitssensiblen Waren dürfte von Online-Händlern dankbar angenommen werden. Undankbar ist jedoch die Rechtsunsicherheit, die mit den Voraussetzungen einer rechtswirksamen Versiegelung verbunden ist. Viele Verkäufer sind ich im Unklaren darüber, welche Warengruppen sie mit welcher Art von Siegel ordnungsgemäß versiegeln können.
- Es gibt hierzu keine pauschale für alle Warengruppen gültige Antwort. Allerdings sind die Kriterien klar, die eine rechtswirksame Versiegelung im Sinne des Gesetzes darstellen. Eine solche Versiegelung darf nicht bloß ein (zusätzlicher) Schutz (vor Schmutz) darstellen, sondern muss als Versiegelung, d. h. als Gewähr für die Unversehrtheit des Produkts für den Verbraucher erkennbar sein. Dies bedeutet, dass eine Versiegelung nach dem Entfernen nicht ohne weiteres wiederherstellbar sein darf. Im Übrigen muss sie nicht also solche oder als „Siegel“ bezeichnet werden, jedoch eignet sich zur Klarstellung etwa eine Aufschrift wie „Hygiene-Siegel“ o. ä.
- Selbstverständlich ist das Fernabsatzwiderrufsrecht bei den betroffenen Waren erst dann ausgeschlossen, wenn die Ware zum einen ursprünglich überhaupt ordnungsgemäß versiegelt war und anschließend vom Verbraucher entsiegelt worden ist. Ist das Siegel tatsächlich noch intakt, so können die Verbraucher auch die Verträge mit hygiene- und gesundheitssensiblen Waren widerrufen.
- Händler sind ab Inkrafttreten der neuen Regelungen zum 13. Juni 2014 keineswegs zur Versiegelung der von ihnen vertriebenen hygiene- und gesundheitssensiblen Waren gesetzlich verpflichtet. Sie müssen also von Gesetzes wegen keine Versiegelung vornehmen. Wollen Händler jedoch erreichen, dass sie benutzte Hygieneartikel nicht zurücknehmen müssen, so ist ihnen die vorherige Versiegelung dringend zu anzuraten.
Bei Problemen, Rückfragen und weiteren Fragen zu diesem Thema hilft Ihnen das Team der IT-Recht Kanzlei selbstverständlich gerne auch persönlich und im Einzelfall weiter.
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3 Kommentare
Gibt es schon ein Urteil darüber, ob eine Matratze als Hygieneartikel deklariert werden darf?