BGH: Zulässigkeit der Werbung einer Zahnärztin mit „Kinderzahnarztpraxis“
Heute ist der Tag der Kinder, daher steht auch bei uns das Kind im Mittelpunkt: Kinder und Zahnschmerzen, das ist keine gesunde Kombination. Spezialisierte „Kinderzahnarztpraxen“ könnten Abhilfe schaffen. Doch was macht eine „Kinderzahnarztpraxis“ überhaupt aus, wann darf man sich also als solche bezeichnen? Und wer bestimmt überhaupt, ob Werbung irreführend ist oder nicht? Wir erläutern, was der BGH jüngst hierzu gesagt hat.
Inhaltsverzeichnis
Worum geht es in dem Fall des BGH?
Eine Zahnärztin wurde von der Körperschaft des öffentlichen Rechts, die im Bezirk der Zahnärztin die Berufsaufsicht über die Zahnärztinnen und -ärzte ausübt, abgemahnt und schließlich auf Unterlassung der Bewerbung ihrer zahnärztlichen Leistungen auf ihrer Website als „Kinderzahnarztpraxis“ verklagt.
Die erste Instanz gab der Klage der Berufsaufsicht noch statt. In der zweiten Instanz siegte die Zahnärztin. Auch in der dritten (Revisions-)Instanz vor dem Bundesgerichtshof (BGH) hat die Zahnärztin nun gewonnen.
Was steht dazu im Gesetz?
Wer eine unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann nach § 8 Abs. 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) von dem Kreis der hierzu berechtigten Personen auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auch auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.
Eine geschäftliche Handlung ist dabei jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen unmittelbar und objektiv zusammenhängt; als Waren gelten auch Grundstücke und digitale Inhalte, Dienstleistungen sind auch digitale Dienstleistungen, als Dienstleistungen gelten auch Rechte und Verpflichtungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG) .
Solche geschäftlichen Handlungen sind lauterkeitsrechtlich dann unzulässig, wenn sie unlauter i.S.d. UWG sind. Dies ist etwa bei irreführenden geschäftlichen Handlungen nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 UWG der Fall. Demnach handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher – oder sonstigen Marktteilnehmer – zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Dabei ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über bestimmte Umstände, wie etwa die Person oder Eigenschaften des betreffenden Unternehmers.
Hier stellte sich also die Rechtsfrage, ob bzw. unter welchen Umständen die Bezeichnung einer Zahnarztpraxis als „Kinderzahnarztpraxis“ irreführend in diesem Sinne ist.
Wie hat das Gericht entschieden?
Der BGH (Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 217/20) hält eine Bezeichnung als „Kinderzahnarztpraxis“, und auch die Werbung damit auf der Website einer Zahnarztpraxis, nicht für irreführend, wenn jedenfalls die folgenden zwei Voraussetzungen vorliegen:
- Die Ausstattung der Zahnarztpraxis ist kindgerecht.
- Die in der betreffenden Zahnarztpraxis tätigen Zahnärztinnen und -ärzte sind für die Belange von Kindern, also vor allem deren besondere emotionale Bedürfnisse aufgeschlossen.
Aus Sicht des Gerichts ist hingegen nicht entscheidend, ob die Zahnärztinnen und -ärzte über besondere fachliche Kenntnisse im Bereich der Zahnheilkunde (für Kinder) verfügen.
Maßstab für die Beurteilung von Bezeichnungen bzw. Werbung ist das vom Tatgericht (also nicht vom BGH, sondern von den ersten Instanzen) ermittelte sog. Verkehrsverständnis. Dabei se i– wie immer in solchen Fällen – auf die Sichtweise des durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Verbrauchers abzustellen, der zu der Gruppe gehört, die durch die Bezeichnung bzw. Werbung angesprochen wird (s. § 3 Abs. 4 S. 1 UWG) .
Gehören die Richter:innen des Gerichts selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen, bedürfe es im Allgemeinen keines durch eine Meinungsumfrage untermauerten Sachverständigengutachtens, um das Verkehrsverständnis zu ermitteln. Mit anderen Worten: das Gericht darf dies in solchen Fällen selbst einschätzen.
Hier – so der BGH – sei die Sicht durchschnittlicher Eltern, die die Entscheidung über eine zahnärztliche Behandlung ihres Kindes treffen, und älterer (mit)entscheidender Kinder maßgeblich. Es sei zudem nicht zu beanstanden, dass sich das Berufungsgericht für eigenständig sachkundig hält und deshalb ohne Einhaltung eines Sachverständigengutachtens entschieden hat.
Wer bestimmt also, ob Werbung irreführend ist?
Nicht selten wird darüber gestritten, ob eine bestimmte geschäftliche Handlung nun irreführend ist oder nicht. Denn häufig kann man es so – oder aber auch anders sehen. Doch was gilt, worauf kommt es an?
Nicht nur in dieser Entscheidung hat der BGH verdeutlicht, welche Punkte bei der Bewertung entscheidend sind:
Maßstab für die Bestimmung, ob eine geschäftliche Handlung irreführend ist, ist stets die Sichtweise des durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Verbrauchers abzustellen, der zu der Gruppe gehört, die von der geschäftlichen Handlung angesprochen wird.
Somit stellen sich zwei Fragen:
- Welche Gruppe wird angesprochen, d.h. welcher Adressatenkreis bzw. Verkehrskreis ist betroffen?
- Und wie versteht dieser Verkehrskreis die betreffende geschäftliche Handlung?
Gehören die Richter:innen des Gerichts, das einen solchen Fall zu entscheiden hat, nach eigener Einschätzung selbst dem angesprochenen Verkehrskreis an, ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass das Gericht ein Sachverständigengutachten einholt, um das Verkehrsverständnis zu ermitteln.
Umgekehrt gilt aber: Ist sich das Gericht in seiner Einschätzung nicht sicher, wird es ein Sachverständigengutachten einholen.
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