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Baden Würtemberg: Stuttgart

„Ansichtssache“ – Architektur, Änderungsverbot & Urheberrecht

Urteil vom LG Stuttgart

Entscheidungsdatum: 20.05.2010
Aktenzeichen: 17 O 42/10

Leitsätze

An einem Gebäude kann ein Änderungsverbot im Sinne der §§ 14, 39 UrhG bestehen, wenn die Art der Bauweise urheberrechtlich geschützt ist und eine Änderung in die Persönlichkeitsrechte des Urhebers eingreifen würde.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

4. Der Gebührenstreitwert wird auf EUR 1.000.000,00 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den geplanten Teilabriss des Stuttgarter Hauptbahnhofs im Zuge der Realisierung des Infrastruktur-Projekts „Stuttgart 21“. Das Projekt sieht u.a. vor, dass der bisherige Kopfbahnhof in einen Durchgangsbahnhof umgewandelt wird. Die Gleisanlagen sollen um 90° gedreht und unter die Erde verlegt werden.

Der Kläger ist einer der drei Erben des Architekten Prof. Dipl.-Ing. Paul Bonatz (1877 bis 1956), der den Hauptbahnhof Stuttgart geplant und die Ausführung geleitet hat.

Bei der Beklagten Ziff. 2 handelt es ich um die Eigentümerin des Bahnhofsgebäudes. Die Beklagte Ziff. 1 ist das an der Konzernspitze stehende Mutterunternehmen der Deutschen Bahn.

Der Stuttgarter Hauptbahnhof geht auf einen im Jahr 1910 ausgeschriebenen Architektenwettbewerb der Königlichen Generaldirektion der Württembergischen Staatseisenbahnen zurück. Das Architektenbüro von Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer (1874 bis 1949) gewann diesen Wettbewerb. Innerhalb des Büros war Paul Bonatz schwerpunktmäßig für den Entwurf und Friedrich Eugen Scholer für die Ausarbeitung und für technische Fragen zuständig. Der Architekt Scholer ist 1949 ohne Nachkommen und ohne bekannte Erben verstorben.

Die beiden Architekten haben mit der Generaldirektion im Mai 1913 einen „Vertrag betreffend Entwurf und Ausführung des Empfangsgebäudes des Hauptbahnhofes Stuttgart“ geschlossen (Anlage B 33, Bl. 167 d.A.).

Die Bauzeit wurde durch den Ersten Weltkrieg verzögert. Baubeginn war 1914. Der erste Teil des Bahnhofes wurde im Herbst 1922 in Betrieb genommen, bis der Bahnhof schließlich im Jahre 1928 fertig gestellt wurde. Im Zweiten Weltkrieg erlitt das Bahnhofsgebäude schwere Zerstörungen durch mehrfache Bombardierungen. Nach dem Krieg beteiligte sich Paul Bonatz am Wiederaufbau des Bahnhofsgebäudes. Das Richtfest des Wiederaufbaus fand im Sommer 1954 statt.

In der Nachkriegszeit wurde der heute noch sichtbare Mercedes-Stern auf dem Bahnhofsturm angebracht. Paul Bonatz akzeptierte die Anbringung des Mercedes-Sterns aus Rücksicht auf die Finanzlage der Deutschen Bundesbahn.

Quer zu der Gleisanlage verläuft die Kopfbahnsteighalle, an die sich - neben kleineren Bauten - in Richtung Schienen zwei Flügelbauten unterschiedlicher Länge und in Richtung Stadt zwei Schalterhallen unterschiedlicher Größe anschließen. Zwischen den Schalterhallen befindet sich eine halboffene Säulenhalle. Am südlichen Ende der Kopfbahnsteighalle erhebt sich der Bahnhofsturm. Die folgenden Auszüge von Luftaufnahmen aus der Klageschrift zeigen das Bahnhofgebäude in seiner heutigen Gestalt (Frontalansicht Bl. 17 d.A.; Südansicht Bl. 18 d.A.; Nordansicht Bl. 64 d.A.):

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Nach dem Tod von Paul Bonatz im Jahre 1956 kam es zu verschiedenen Umbauarbeiten in der „Großen Schalterhalle“. In den 70er Jahren wurde die alte Treppe ersetzt. In den Folgejahren wurde außerdem eine Öffnung im Boden der Großen Schalterhalle zur Verbindung mit der unterirdischen Arnulf-Klett-Passage gebrochen. Außerdem wurden am Treppenaufgang in die Bahnsteighalle Rolltreppen angebracht.

Die Große Schalterhalle gestaltete sich im Originalzustand von 1922 sowie in der Bestandssituation nach dem Umbau von 1974 wie folgt (Anlage B 34, Bl. 168 d.A.):

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Noch zu Lebzeiten von Paul Bonatz, aber in besonderem Maße nach seinem Tod, wurde die architektonische Bedeutung des Stuttgarter Hauptbahnhofes in zahlreichen Publikationen hervorgehoben. Das Gebäude wird häufig als „Bonatz-Bau“ bezeichnet. Im Jahre 1987 wurde das Bahnhofsgebäude in die Liste der Kulturdenkmale gemäß § 12 DSchG BW aufgenommen. Paul Bonatz selbst äußerte sich unter anderem „Zum Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs“ in der Daimler Werkszeitung 1919 ausführlich zu seinen künstlerischen Vorstellungen (Anlage K 2, Bl. 51 d.A.). In architekturwissenschaftlichen Publikationen sowie in allgemeinen Nachschlagewerken wird der Stuttgarter Hauptbahnhof gemeinhin als das Hauptwerk von Paul Bonatz angesehen (Anlage K 3, Bl. 52 d.A.).

Paul Bonatz wurde nach seinem Tod 1956 von seiner Tochter S.D., geborene Bonatz, beerbt, die wiederum vom Kläger und seinen beiden Geschwistern beerbt worden ist (Anlage K 10, Bl. 217 d.A.). Die beiden Miterben haben mit Erklärung vom 09.03.2010 den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits in allen Instanzen als verbindlich und endgültig anerkannt (Anlage K 12, Bl. 219 d.A.).

Anfang des Jahres 1997 lobte die Beklagte Ziff. 1 als Projektträgerin unter Beteiligung des Landes Baden-Württemberg und der Landeshauptstadt Stuttgart einen Architektenwettbewerb zum Umbau des Hauptbahnhofs im Rahmen des Projekts „Stuttgart 21“ aus (Anlage K 5, Bl. 54 d.A.). Vorgegeben war die Verlegung der bisherigen Gleisanlage in den Untergrund, um so einen Durchgangsbahnhof zu schaffen. In den Auslobungsunterlagen zum „Realisierungswettbewerb Hauptbahnhof Stuttgart“ finden sich unter dem Gesichtspunkt „Denkmalschutz“ Vorgaben zum Erhalt des Bahnhofsgebäudes und zum möglichen Abriss der Flügelbauten aus städtebaulichen Erwägungen (Seite 39 f. der Auslobungsunterlagen, Anlage K 5, Bl. 54 d.A.). In den Auslobungsunterlagen wird das Urheberrecht der Architekten Bonatz und Scholer nicht erwähnt.

Den anschließenden Architektenwettbewerb, an dem sich ca. 125 Architektenbüros mit Entwürfen beteiligt haben, gewann das Architektenbüro I. in D. mit folgendem Entwurf (Anlage B 5, Bl. 140 d.A.):

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Der Entwurf sieht den kompletten Abriss der beiden Flügelbauten vor. Die unterirdische Bahnsteighalle des künftigen Durchgangsbahnhofs soll künftig durch „Lichtaugen“ mit einem Durchmesser von je 15 m beleuchtet werden, die an der Stelle der bisherigen Gleisanlagen errichtet vorgesehen sind und sich bis in den Schlossgarten ziehen sollen. Zur Gewährleistung des Zugangs zur unterirdischen Bahnsteighalle soll außerdem die Treppenanlage in der Großen Schalterhalle beseitigt werden sowie das Bodenniveau der bisherigen Kopfbahnsteighalle teilweise abgesenkt werden.

Die geplanten Abrisse sind aus den nachfolgenden Einblendungen aus der Klageschrift ersichtlich (Bl. 26 und 27 d.A.):

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Ein Luftbildvergleich gestaltet sich wie folgt (Auszug aus Anlage K 7, Bl. 56 d.A.):

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In der Folgezeit führte die Beklagte zu 1 ein Planfeststellungsverfahren für das Projekt „Stuttgart 21“ beim Eisenbahn-Bundesamt durch. Das Planfeststellungsverfahren begann mit einem Antrag einer Tochtergesellschaft der Beklagten Ziff. 1 am 30.10.2001 und endete am 28.01.2005 mit dem Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes (Anlage B 2, Bl. 137 d.A.). Einen Monat später wurde der Beschluss öffentlich bekannt gemacht (Anlage B 3, Bl. 138 d.A.). In dem Planfeststellungabschnitt 1.1 ging es um die „Talquerung mit neuem Hauptbahnhof“ (Anlage B 2, Bl. 137 d.A.). Das Eisenbahn-Bundesamt hat auf der Grundlage des Entwurfes des Architekturbüros I. am 28.01.2005 einen Planfeststellungsbeschluss erlassen, in dem u.a. der Abriss der beiden Seitenflügel des Bonatz-Baus sowie der Abriss der Treppenanlage in der Großen Schalterhalle angeordnet wird. Im Planfeststellungsbeschluss finden sich zum Abbruch der Seitenflügel u.a. die folgenden Ausführungen: „Der Abbruch der Seitenflügel stellt den schwersten Eingriff in das Denkmal dar und ist Folge der veränderten Bahnhofskonzeption. Die beantragte Tieferlegung des Bahnhofs lässt deren Erhaltung aus funktionalen, statischen, bautechnischen und vor allen Dingen städtebaulichen Gesichtspunkte nicht zu“ (Seite 252 des Planfeststellungsbeschlusses, Anlage B 2, Bl. 137 d.A.). In dem Planfeststellungsbeschluss wird das Urheberrecht des Architekten nicht erwähnt.

Der Kläger erhob am 20.10.2002 im Anhörungsverfahren Einwendungen gegen die beabsichtigte Planung (Anlage B 1, Bl. 136 d.A.). In seinem Schreiben wandte sich der Kläger insbesondere gegen den Abbruch der Flügelbauten, für deren zumindest teilweisen Erhalt er sich aussprach, um einen „Torso“ im Sinne einer „absoluten Missbildung“ zu verhindern. Außerdem wandte er sich gegen die Veränderungen der Kopfbahnsteighalle sowie der Großen Schalterhalle. Auch im Jahre 2003 trug der Kläger im Rahmen des Anhörungsverfahrens vor dem Regierungspräsidium Stuttgart seine Einwendungen vor (Anlage B 21, Bl. 155 d.A.). Mit Schreiben vom 09.03.2004 wies der Kläger erneut auf seine Bedenken hin.

Nachdem politische und vor allem finanzielle Hürden überwunden worden waren, billigten Anfang Dezember 2009 die Deutsche Bahn, das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart und der Verband Region Stuttgart eine aktualisierte Kostenschätzung für das Projekt, woraufhin die ersten Abbrucharbeiten ausgeschrieben wurden (Anlage K 9, Bl. 59 d.A.).

Zuletzt hat der Kläger am 16.12.2009 der Beklagten Ziff. 1 einen Modifizierungsvorschlag zum planfestgestellten Entwurf mit verschiedenen Schemaskizzen übermittelt (Anlage K 8, Bl. 58 d.A.). Vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen zwischen den Parteien scheiterten.

Der Kläger trägt vor, der geplante Abriss der Seitenflügel und der Treppenanlage führe zu einer Verstümmelung und Entstellung des wichtigsten Bauwerks seines Großvaters. Aus dem Wettbewerbsverfahren und dem anschließenden Planungsverfahren ergebe sich, dass der Abriss der Flügelbauten nicht zur Verwirklichung des Infrastrukturprojekts erforderlich sei, sondern nur aus städtebaulichen Gründen erfolge. Dies zeige sich schon daran, dass zahlreiche Wettbewerbsteilnehmer in ihren Entwürfen den Erhalt der Flügelbauten vorgesehen hätten. Der zuletzt gebilligte Entwurf verstümmele das Bauwerk zum Torso. Im Wettbewerbs- und Planungsverfahren sei das Urheberrecht am Bonatz-Bau übergangen worden. Es sei nicht ausreichend gewesen, das Bauwerk und seinen Teilabriss allein unter denkmalschutzrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen.

Das Bauwerk stelle in allen seinen organisch miteinander verknüpften Teilen eine persönliche geistige Schöpfung von überragender Gestaltungshöhe dar. Eine Zergliederung der architektonischen Gesamtheit in Hauptteil und Seitenflügel sei nicht möglich. Die Flügelbauten seien nicht nur eine Einfassung des Gleisbetts, sondern von eigenem baukünstlerischem Wert, wie insbesondere die Gestaltung des Südflügels mit seinen drei Vorsprüngen zeige. Die Abschlussfunktion zum Schlossgarten bleibe auch bei einem Durchgangsbahnhof erhalten. Der Abbruch der Flügelbauten führe zu einer unzumutbaren Änderung des einheitlichen Werks, da durch die Amputation der Flügelbauten sein Gesamteindruck zerstört werde und nur noch ein städtebaulich isoliertes Schauteil mit Turm verbleibe. Ein derart schwerer Eingriff in das Urheberrecht sei unzulässig, da es den Beklagten nicht um verkehrliche Erfordernisse, sondern um diffuse städtebauliche Interessen gehe. Solche Drittinteressen spielten aber im Verhältnis zwischen Eigentümer und Urheber keine Rolle. Auch in Großprojekten könne ein Urheber nicht rechtlos gestellt werden.

Eine Umplanung unter Verzicht auf den Teilabriss sei technisch möglich. Der Erhalt der Seitenflügel verursache nur geringe Mehrkosten und nur geringe zeitliche Verzögerungen. Angesichts des hohen Stellenwerts des Werks für den Urheber und für die Öffentlichkeit seien diese jedoch hinnehmbar. Etwaige Mehrkosten hätten von den Beklagten bei ordnungsgemäßer Berücksichtigung des Urheberrechts in der Planungsphase vermieden werden können.

Der urheberrechtliche Schutz verliere nicht durch die verbleibende Schutzdauer von 16 Jahren an Gewicht, da die Bedeutung und Sichtbarkeit des Stuttgarter Bahnhofs als einem präsenten Werk der Baukunst einem Verblassen des Erinnerungsbildes entgegen stehe. Das Urheberrecht sei auch gegenüber dem Eigentümer in vollem Umfang für siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers aufrecht zu erhalten.

Auch die Veränderungen an der Treppenanlage in der Großen Schalterhalle seien unzumutbar, da das bisherige Erscheinungsbild mit seinen ausgewogenen Proportionen vollkommen zerstört werde.

Dem Kläger sei nicht vorzuwerfen, dass er sich erst jetzt auf sein Urheberrecht berufe. Zum einen sei die Realisierung des Projekts bis in den Dezember 2009 hinein unsicher gewesen, zum anderen sei der Urheberschutz von den Beklagten im Planfeststellungsverfahren übersehen worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, im Zuge der Realisierung des Bahn-Projektes „Stuttgart 21“ in Stuttgart

a) den Süd-Ost-Flügel (Schlossgartenflügel) und/oder

b) den Nord-West-Flügel (Richtung Heilbronner Straße) und/oder

c) die Treppenanlage in der Großen Schalterhalle (und damit verbunden eine große Fläche im Boden der Kopfbahnsteighalle)

des Hauptbahnhofes Stuttgart ganz oder teilweise abzureißen oder abreißen zu lassen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten tragen vor, der Urheberklage stehe bereits entgegen, dass der Kläger im Planfeststellungsverfahren sein Urheberrecht nicht hinreichend geltend gemacht habe. Außerdem sei er auf Grund des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses zur Duldung der Abrissmaßnahmen verpflichtet.

Der Teilabriss führe nicht zu einer Verstümmelung, sondern zu einer angemessenen Modernisierung der Bahnhofsanlage als Zweckbau, in deren Mittelpunkt der Kern des Bonatz-Baus gerückt werde. Die Kopfbahnsteighalle, der Uhrturm sowie die Schalterhallen und die Säulenhalle als architektonisch wichtigste Teile blieben erhalten und würden durch die Schaffung von Freiflächen rund um das Gebäude sogar noch betont. Allein diese Bauteile, nicht aber die Flügelbauten seien bestimmend für die Anerkennung des Werks in der Öffentlichkeit und Fachwelt.

Der Teilabriss sei eine legitime Planungsentscheidung, die wegen der veränderten Nutzungsanforderungen eines Durchgangsbahnhofs und der erforderlichen Modernisierung in einem sorgfältig abwägenden Umplanungsverfahren ergangen sei unter Berücksichtigung betrieblicher und finanzieller Interessen sowie der Auswirkungen einer Untersagung. Es sei legitim, auch öffentliche Belange städtebaulicher, umwelt- und lärmschützender sowie verkehrspolitischer Art in die Planungsentscheidung mit einzubeziehen, da der Bahnhof als Teil der öffentlichen Infrastruktur zu sehen sei und eine öffentliche Funktion erfülle. Die Planungsentscheidung sei das Resultat eines Wettbewerbsverfahren und anschließenden Planfeststellungsverfahrens, an der zahlreiche Fachleute und die demokratisch legitimierten Entscheidungsträger mitgewirkt hätten sowie auch die Öffentlichkeit ausführlich beteiligt worden sei. Die Einwendungen des Klägers seien im Ergebnis zwar abgelehnt, aber bei der Entscheidung nichtsdestotrotz berücksichtigt worden.

Die Beklagten berufen sich darauf, dass die Flügelbauten mit dem Wegfall der oberirdischen Gleisanlage ihren Bezugspunkt und ihre Funktion verlören. Auch eine Abgrenzung zum Schlosspark sei nicht mehr erforderlich, da hier ein nahtloser Übergang geschaffen werden solle. Der Erhalt der Seitenflügel sei auf Grundlage des planfestgestellten Entwurfs des Architekten I. technisch-konstruktiv nicht umsetzbar. Außerdem stünden die Flügelbauten einer sinnvollen städtebaulichen Weiterentwicklung der durch Wegfall der Gleisanlage freigewordenen Flächen entgegen. Der Abriss der Seitenflügel und der Treppenanlage sei auch dadurch bedingt, dass ausreichend große Zugänge zum neuen Bahnhof geschaffen werden müssten. Paul Bonatz selbst habe in dem Architektenvertrag aus dem Jahr 1913 die Notwendigkeit von nutzungsbedingten Änderungen anerkannt und auch danach eine pragmatische Sichtweise gegenüber Veränderungen an dem Bahnhofsgebäude gezeigt.

Bei dem Abriss der Treppenanlage und der Umgestaltung der Großen Schalterhalle sei zu berücksichtigen, dass diese in ihrem Originalbestand gar nicht mehr vorhanden seien. Die Treppe verliere durch den geplanten unterirdischen Durchgangsbahnhof ihre Funktion. Der Umbau sei zur verkehrssicheren Führung der Personenströme erforderlich. Trotz der Öffnungen im Boden der Kopfbahnsteighalle bleibe der Raumeindruck erhalten. Die Halle sei an ihre geänderte Funktion anzupassen, da sie nicht mehr als direkter Zugang zu den Gleisen diene.

Eine Umplanung sei weder einfach noch schnell oder kostengünstig, sondern führe zum Scheitern des Projekts „Stuttgart 21“. Die Beklagten müssten ein neues Wettbewerbsverfahren sowie eine neue Planfeststellung durchführen. Die Verzögerung sowie der Erhalt der Flügelbauten führten zu so hohen Mehrkosten, dass die Realisierung des gesamten Projekts gefährdet sei.

Das Urheberpersönlichkeitsrecht des Architekten sei angesichts des zeitlichen Abstands zur Fertigstellung (85 Jahre) und zum Tod des Architekten (54 Jahre) verblasst. Die restliche Schutzdauer von nur 16 Jahren habe - auch unter Berücksichtigung der langen Bauphase - nur ein geringes Gewicht im Verhältnis zu den Interessen der Beklagten an der Verwirklichung eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte Deutschlands.

Der Kläger sei gehalten gewesen, seine Einwendungen aus dem Urheberrecht deutlicher, nachhaltiger und vor allem früher zu formulieren. Sein jahrelanges Schweigen nach dem Planfeststellungsbeschluss sei von den Beklagten zu Recht als Abstandnahme von den urheberrechtlichen Einwendungen aufgefasst worden. In Wahrheit gehe es dem Kläger nicht um den Erhalt des Bauwerks, sondern um die Verhinderung des Projekts „Stuttgart 21“, das er mit seiner Urheberklage aushebeln wolle. Dies zeige sich schon daran, dass er zur Prozessfinanzierung Geld von „Stuttgart 21“-Gegnern angenommen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.04.2010 (Bl. 241 d.A.) verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers.

1. Eine Klage kann mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig abgewiesen werden, wenn der Kläger seine Rechtsschutzziele auf einfacherem, schnellerem und billigerem Weg genauso sicher und wirkungsvoll erreichen kann (vgl. BGH, NJW 1994, 1351, 1352; BGH, NJW 1996, 2035, 2036).

2. Nach Meinung der Beklagten ist dem Kläger der zivilgerichtliche Rechtsschutz schon deshalb zu versagen, weil er im eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsverfahren sein Urheberrecht nicht hinreichend deutlich gemacht habe und den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamts vom 28.01.2005 auch nicht unter Berufung auf sein Urheberrecht im Verwaltungsrechtsweg angefochten habe. Der Kläger hat jedoch im Verfahren vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses insbesondere in seinem Schreiben vom 20.10.2002 (Anlage B 1, Bl. 136 d.A.) zum Ausdruck gebracht, dass er das von seinem Großvater errichtete Bauwerk soweit wie möglich erhalten möchte. Es ist unschädlich, dass der Kläger sich nicht ausdrücklich auf sein Urheberrecht berufen hat. Ebenso wenig haben die am Planfeststellungsverfahren Beteiligten das Urheberrecht an dem Bahnhofsgebäude ausdrücklich thematisiert. Insofern können an den Kläger als juristischen Laien keine zu strengen Anforderungen gestellt werden. Der Kläger hat jedenfalls in seinem Schreiben vom 20.10.2002 klar formuliert, dass er sich gegen eine „Amputation“ der Seitenflügel wendet, um die Entstehung eines „Torso“ zu verhindern. Er hat somit der Sache nach seine Rechte aus §§ 14, 39 UrhG geltend gemacht.

3. Auch war der Erfolg einer Anfechtungsklage des Klägers gegen den Planfeststellungsbeschluss unter Berufung auf sein Urheberrecht unsicher.

a) Das BVerwG hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1993 die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO gegen einen Planfeststellungsbeschluss wegen Urheberrechten abgelehnt und festgestellt, dass solche Rechte im Planfeststellungsverfahren als denkbarer Anknüpfungspunkt für einen Aufhebungs- oder einen Änderungsanspruch von vorneherein ausscheiden, da die Planfeststellungsbehörde ihnen bei ihrer Entscheidung nicht Rechnung zu tragen braucht (BVerwG, NVwZ 1994, 682).

b) Zwar bezog sich diese Entscheidung auf das möglicherweise verletzte Urheberrecht eines planenden Architekten, von dessen ursprünglicher Gestaltung der planfestgestellte Entwurf abwich. Auch richtete sich die verwaltungsgerichtliche Klage gegen den Vorhabenträger und nicht gegen die Planfeststellungsbehörde. Dennoch sind die geschilderten Grundsätze auch auf das Urheberrecht an einem von der Planfeststellung betroffenen Bauwerk anwendbar. Der Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts gilt nämlich unabhängig davon, ob nur die gestalterische Planung oder sogar die Ausführung dieser Planung, d.h. das bereits errichtete Bauwerk, betroffen ist. Für beide Werkformen ist der Entstellungs- und Veränderungsschutz nach §§ 14, 39 UrhG zu beachten. Dieser Schutz begründet einen gesetzlichen Unterlassungsanspruch nach § 97 Abs. 1 UrhG. Daher war der Erfolg einer verwaltungsrechtlichen Anfechtungsklage unsicher, so dass dem Kläger nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Verfolgung seines Urheberrechts im Wege einer Zivilklage abgesprochen werden kann.

c) Im Rahmen der Begründetheit wird jedoch die Frage zu prüfen sein, ob die planfeststellungsrechtliche Duldungswirkung zu einem materiellen Ausschluss urheberrechtlicher Unterlassungsansprüche führt.

II.

Die Klage ist nicht begründet. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 97 Abs. 1 Satz 1, 39 Abs. 1, 14, 28 Abs. 1 UrhG steht dem Kläger nicht zu, da der geplante Teilabriss des Bahnhofsgebäudes eine nach Treu und Glauben zulässige Änderung des Bauwerks darstellt.

1. Der Kläger ist befugt, den Schutz des Bahnhofsgebäudes vor Änderungen im eigenen Namen geltend zu machen.

a) Der Kläger ist mit seinen Geschwistern Erbe des am 20.12.1956 verstorbenen Prof. Paul Bonatz als dem planenden Architekten des Bahnhofgebäudes. Seine Erbenstellung ist durch die Vorlage von Kopien der Erbscheine (Anlage K 10, Bl. 217 d.A.) belegt. Der Kläger ist als Miterbe berechtigt, das Urheberrecht an dem Bahnhofsgebäude geltend zu machen. Das Urheberrecht kann gemäß §§ 28 Abs. 1, 64 UrhG bis zum Ablauf der Schutzfrist von siebzig Jahren nach dem Tod des Urhebers weitervererbt werden (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 28 Rn. 6). Der Kläger ist aber nur befugt, die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen des Urhebers geltend zu machen, die nach seinem Ableben von dessen Rechtsnachfolgern wahrgenommen werden. Eigene Interessen des Klägers, die nicht durch die Rechtsnachfolge vermittelt sind, bleiben dagegen unberücksichtigt (BGH, GRUR 1989, 106, 107 - Oberammergauer Passionsspiele II).

b) Nach § 2039 BGB ist jeder einzelne Miterbe berechtigt, gegen das Urheberpersönlichkeitsrecht des Erblassers beeinträchtigende Änderungen oder Entstellungen im eigenen Namen vorzugehen (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 28 Rn. 7). Im Übrigen haben die Miterben erklärt, den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits für sich als verbindlich und endgültig anzuerkennen (Anlage K 12, Bl. 219 d.A.). Die Beklagten müssen infolge dieser Zustimmung keine zusätzliche Inanspruchnahme durch die anderen Miterben befürchten (vgl. BGH, NJW 1985, 2825 zu § 1011 BGB) .

2. Die Beklagte Ziff. 1 ist als Konzernmutter des Deutsche-Bahn-Konzerns, die Beklagte Ziff. 2 als Eigentümerin des Bahnhofsgebäudes passiv legitimiert. Als herrschendes Unternehmen dieses Konzerns im Sinne der §§ 15 ff. AktG ist die Beklagte Ziff. 1 auch in der Lage, auf die an der Verwirklichung des Projekts „Stuttgart 21“ beteiligten weiteren Konzernunternehmen einzuwirken. Die Steuerungsmacht der Beklagten Ziff. 1 zeigt sich daran, dass die zuletzt noch ausstehenden maßgeblichen Entscheidungen zur Umsetzung des Projekts in ihren Leitungsgremien Ende 2009 getroffen wurden.

3. Bei dem Bahnhofsgebäude handelt es sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk der Baukunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG, dessen (Mit-)Urheber der Großvater Paul Bonatz des Klägers ist.

a) Die Beurteilung des ästhetischen Gesamteindrucks und damit auch der Schöpfungshöhe, die bei jeder Beurteilung einer Beeinträchtigung des Bauwerks vorzunehmen ist, ist eine Tatsachenwürdigung und Aufgabe der Kammer. Es kommt nicht auf die ästhetischen Feinheiten aus der Sicht von Fachleuten an, sondern auf den ästhetischen Eindruck, den das Werk nach dem Durchschnittsurteil des für Kunst empfänglichen und mit Kunstdingen einigermaßen vertrauten Menschen vermittelt (BGH, GRUR 1974, 675, 677 - Schulerweiterung; BGH, GRUR 1982, 107, 110 - Kirchen-Innenraumgestaltung; BGH, GRUR 2008, 984, 986, Rz. 20 - St. Gottfried). Das Gericht kann diese Einschätzung ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen vornehmen.

b) Prägend für den Gesamteindruck des Stuttgarter Hauptbahnhofs sind die kubischen Formen, die in symmetrischer und asymmetrischer Verschachtelung zueinander stehen. Der hohe schöpferische Eigentümlichkeitsgrad entsteht - hierauf weist der Kläger zu Recht hin - durch die Zusammenfassung unterschiedlich großer und unterschiedlich gestalteter Gebäudekuben mit unterschiedlichen Höhen und Längen, kulminierend in einem seitlich eingebundenen, hoch aufragenden quadratischen Uhrenturm. Der Turm bildet den Schlusspunkt der Königstraße, eine der wichtigsten Verkehrsachsen Stuttgarts. Die Fassadengestaltung spiegelt die kubischen Formen wieder, fügt aber gleichzeitig neue Elemente in einem bemerkenswerten Detailgrad hinzu, wie insbesondere die Gestaltung der halboffenen Pfeilerhalle an der Frontseite, aber auch die drei kubischen Vorsprünge am klar gegliederten Schlossgartenflügel zeigen. Die Pfeilerhalle verbindet die beiden Flügelbauten und die beiden Schalterhallen, die jeweils orthogonal zur Bahnsteighalle positioniert sind. Die Pfeilerhalle ist gleichzeitig die prägende Öffnung des Bahnhofs zur Stadt und ergänzt damit die Bahnsteighalle, die den Endpunkt der Schienenstrecke bildet, wie er für einen Kopfbahnhof kennzeichnend ist. Auch die beiden Seitenflügel treten in erster Linie als Einfassung der Gleisanlage hervor. Die Gleisanlage ist von drei Seiten eingefasst und nur in Richtung des Schienenwegs offen. Der Südflügel zeichnet sich daneben durch seine klar gegliederte Fensterfront und die drei Vorbauten aus. Er bildet gleichzeitig einen markanten Abschluss zum Schlossgarten hin. Die Große Schalterhalle mit ihrer Treppenanlage beinhaltet ein Element der „Erhebung“. Der Reisende wird über die Treppe in die erhöhte Bahnsteighalle geführt und damit auf die Reise vorbereitet. Das Bahnhofsgebäude als komplexe Kombination kubischer Formen vermittelt damit dem Betrachter einen Eindruck der Geschlossenheit und Offenheit. Der Kopfbahnhof in seiner wegweisenden Gestaltung des Bonatz-Baus ist für den Reisenden ein Abschluss und gleichzeitig ein Neubeginn. Er spiegelt damit die Gefühlswelt des Ankommens und Abreisens wider. Aus diesem ästhetischen Gesamteindruck folgt aber auch, dass das Bauwerk in seiner schöpferischen Gestaltung durchweg von seiner Funktion als Kopfbahnhof geprägt ist.

c) In dem Bahnhofgebäude als Bauwerk kommt nach § 2 Abs. 2 UrhG eine hohe eigenschöpferische Leistung zum Ausdruck. Das Gebäude gehört seit Jahrzehnten zu den prägenden Bauwerken Stuttgarts. Auch weit über die Stadtgrenzen hinaus ist das Gebäude in Deutschland und Europa als architektonische Meisterleistung anerkannt. Die komplexen und bis ins Detail durchdachten Gestaltungen des Architekten waren ihrer Zeit voraus. Die gestalterischen Absichten und Vorstellungen von Paul Bonatz sind in seinem Artikel für die Daimler Werkzeitung von 1919 eindrucksvoll niedergelegt (Anlage K 2, Bl. 51 d.A.). Der Stellenwert des Werks wird durch die zahlreichen von den Parteien während des Verfahrens vorgelegten Zeitungsartikel der deutschen und internationalen Presse belegt. Auch der seit 1987 geltende Denkmalschutz knüpft an die hohe schöpferische Leistung des Architekten an und stellt das Werk im Interesse der Allgemeinheit unter ein öffentlich-rechtliches Schutzregime. Der urheberrechtliche Schutz erstreckt sich auf das gesamte Werk und gilt daher auch für die Flügelbauten sowie die Treppenanlage.

d) Der Großvater des Klägers war zusammen mit Friedrich Eugen Scholer der Architekt des Bahnhofs. Inwieweit der Architekt Scholer auch an der gestalterischen Planung mitgewirkt hat, ist heute ebenso unbekannt, wie die Erbfolge nach seinem Tod im Jahr 1949. Der in der Klageschrift auf Seite 10 zitierte Ausschnitt aus der Autobiographie von Paul Bonatz (Bl. 10 d.A.) deutet jedoch darauf hin, dass Scholer eher für die Ausarbeitung und die technischen Fragen zuständig war. Im Ergebnis bedarf es keiner weiteren Nachprüfung, ob Paul Bonatz Allein- oder Miturheber war. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 UrhG ist nämlich jeder Miturheber zur Geltendmachung der urheberrechtlichen Verletzungsansprüche berechtigt. Dieses Recht steht damit auch dem Kläger als Erben von Paul Bonatz zu.

e) Der Urheberschutz für das Bauwerk endet gemäß § 64 UrhG siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers ( post mortem auctoris - p.m.a.), also am 31.12.2026, da es sich nach § 69 UrhG um eine Jahresfrist handelt. Bei Errichtung des Werks betrug die Schutzdauer zunächst nur 30 Jahre p.m.a. Sie wurde jedoch 1934 auf 50 Jahre p.m.a. verlängert und beläuft sich erst seit 1965 auf 70 Jahre p.m.a. (vgl. zur Entwicklung Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, Vor 64 ff. Rn. 9). Nach den einschlägigen Übergangsvorschriften, insbesondere § 129 UrhG, kommt auch das Bahnhofsgebäude als Bauwerk in den Genuss des heute gültigen siebzigjährigen Urheberschutzes (Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 64 Rn. 5).
Gründe
4. Urheberrechtliche Unterlassungsansprüche des Klägers sind nicht schon wegen den rechtlichen Wirkungen des unanfechtbaren Planfeststellungsbeschlusses des Eisenbahn-Bundesamts vom 28.01.2005 ausgeschlossen.

a) Nach §§ 18 Satz 3, 18c AEG in Verbindung mit § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG sind mit Unanfechtbarkeit des eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung ausgeschlossen. Von dieser Duldungswirkung werden auch privatrechtliche Unterlassungsansprüche erfasst, unabhängig davon, ob sie dinglicher oder schuldrechtlicher Art sind (OLG Lüneburg, NVwZ-RR 1997, 90, 91). Insbesondere entfallen Ansprüche Drittbetroffener als Eigentümer von Nachbargrundstücken wegen einer Besitz- oder Eigentumsstörung nach §§ 862, 1004 BGB (Kügel, in: Obermayer, VwVfG, 3. Aufl. 1999, § 75 Rn. 51).

b) Allerdings überträgt der Planfeststellungsbeschluss dem Vorhabenträger keine privatrechtlichen Rechte und Befugnisse, selbst wenn diese unabdingbare Voraussetzung für die Durchführung des geplanten Vorhabens sind (BVerwG, NVwZ 2004, 377, 378). Die planfeststellungsrechtliche Gestaltungswirkung beinhaltet nur eine enteignungsrechtliche Vorwirkung. Der Planfeststellungsbeschluss führt daher selbst noch nicht zu einem Eigentumsübergang an möglicherweise für das Vorhaben benötigten Grundstücken, sondern macht die Ausführung des festgestellten Plans von dem privatrechtlichen Erwerb oder einer zusätzlich durchzuführenden öffentlich-rechtlichen Enteignung abhängig (BVerwG, NVwZ 2004, 377, 378). Abgesehen vom Verlust privatrechtlicher Abwehransprüche treten keine unmittelbaren zivilrechtlichen Rechtsänderungen ein (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 75 Rn. 8).

c) In der bereits erwähnten Entscheidung aus dem Jahre 1993 hat das BVerwG Auswirkungen eines Planfeststellungsbeschlusses auf das Urheberrecht eines Architekten abgelehnt und insofern eine Geltendmachung urheberrechtlicher Unterlassungsansprüche nach § 97 UrhG im Zivilrechtsweg nach § 104 UrhG für möglich erachtet (BVerwG, NVwZ 1994, 682). Das BVerwG sprach einem Planfeststellungsbeschluss nur in den durch das Planfeststellungsrecht gezogenen Grenzen eine privatrechtsgestaltende Wirkung zu. Der Vorhabenträger erlangt keine privaten Rechte, Gründedie er nicht ohnehin schon innehat, sondern er muss diese Rechte, zu denen auch das Urheberrecht zählt, in einen gesonderten Verfahren, das mit der Planfeststellung nichts zu tun hat und durch diese weder entbehrlich wird noch ersetzbar ist, von dem jeweiligen Rechtsinhaber erwerben (BVerwG, NVwZ 1994, 682).

d) Diesen Erwägungen des BVerwG schließt sich die Kammer auch für den vorliegenden Fall an. Der urheberrechtliche Unterlassungsanspruch nach § 97 Abs. 1 UrhG wird nicht von der planfeststellungsrechtlichen Duldungswirkung erfasst. Zwar handelt es sich der äußeren Form nach um einen privatrechtlichen Unterlassungsanspruch, so dass nach dem Wortlaut von § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ein Ausschluss in Betracht kommt. Anders als ein nachbarrechtlicher Abwehranspruch dient der urheberrechtliche Unterlassungsanspruch im vorliegenden Fall jedoch unmittelbar dem Erhalt des Urheberrechts und des abzureißenden Bauwerks als Substrat der geistigen Schöpfung. Die Verwirklichung des festgestellten Plans durch Teilabriss des Bauwerks bedeutet insofern eine teilweise Enteignung in Bezug auf das im Werk verkörperte Urheberpersönlichkeitsrecht und nicht etwa nur eine Beeinträchtigung eines an sich fortbestehenden Rechts. Daher ist der vom Kläger geltend gemachte urheberrechtliche Unterlassungsanspruch nicht durch den Planfeststellungsbeschluss ausgeschlossen.

5. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch des Klägers ist nicht verjährt. Nach §§ 102 Satz 1 UrhG, 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB kommt es maßgeblich auf die Entstehung des Anspruchs an. Da eine Zuwiderhandlung in Form des Beginns der Abrissarbeiten bislang nicht vorliegt, stützt der Kläger seinen Anspruch auf eine Erstbegehungsgefahr im Sinne von § 97 Abs. 1 Satz 2 UrhG. Ein Unterlassungsanspruch wegen Erstbegehungsgefahr kann aber nicht verjähren, solange die die Erstbegehungsgefahr begründenden Umstände vorhanden sind (vgl. OLG Stuttgart, NJWE-WettbR 1996, 31, 32 zum Wettbewerbsrecht). Diese Erstbegehungsgefahr wird vorliegend auch nicht durch eine in sich abgeschlossene HandlGründeung begründet, sondern besteht angesichts der angekündigten Abrissmaßnahmen fort.

6. Der Kläger hat den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht verwirkt.

a) Die Verwirkung als Fall der unzulässigen Rechtsausübung schließt die Geltendmachung eines Anspruchs nach § 242 BGB aus. Nach Treu und Glauben ist eine objektive Beurteilung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die selbst bei Unkenntnis des Berechtigten von seinem Recht zu dessen Verwirkung führen kann (BGH, NJW 2007, 2183). Notwendig für die Verwirkung ist jedoch immer, dass sich der Verpflichtete mit Rücksicht auf das Verhalten des Berechtigten darauf eingerichtet hat, dass dieser das ihm zustehende Recht nicht mehr geltend machen werde, dass es mit Treu und Glauben nicht zu vereinbaren ist, dass der Berechtigte später doch mit dem ihm zustehenden Recht hervortritt, und dass unter diesem Gesichtspunkt die Leistung für den Verpflichteten unzumutbar ist (BGH, NJW 2007, 2183 f., Rz. 8).

b) Diese Grundsätze sind auch bei urheberrechtlichen Unterlassungsansprüchen anwendbar. Verwirkung tritt ein, wenn der Verletzer nach dem Verhalten des Verletzten mit der Geltendmachung der Ansprüche nicht mehr zu rechnen brauchte und sich daher darauf einrichten durfte und eingerichtet hat (BGH, GRUR 1977, 42, 46 - Schmalfilmrechte). Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen ist die Wertigkeit des Urheberrechts wegen der dahinter stehenden persönlichkeitsrelevanten Schöpfungsleistung als hoch anzusetzen (BGH, GRUR 1981, 652, 653 - Stühle und Tische). Erforderlich ist, dass der Verletzer sich einen erkennbar wertvollen Besitzstand geschaffen hat, so dass die Rechtsverletzung dem Rechtsinhaber offenbar wird und sein Schweigen vom Verletzer als Billigung oder jedenfalls als sicherer Hinweis gedeutet werden kann, der Rechtsinhaber werde von der Verfolgung seiner Rechte absehen (BGH, GRUR 1981, 652, 653 - Stühle und Tische).

c) Aus dem Verhalten des Klägers kann nicht geschlossen werden, dass er seine im Planfeststellungsverfahren erhobenen Einwendungen mit dessen Unanfechtbarkeit aufgegeben hat. Die wesentlichen Einwendungen des Klägers richteten sicGründeh gegen den auch hier verfahrensgegenständlichen Abriss der Flügelbauten und der Treppenanlage in der Großen Schalterhalle. Diese Einwendungen hat der Kläger schriftlich und im mündlichen Anhörungstermin geltend gemacht. Der festgestellte Plan sieht dennoch den Abriss dieser Elemente des Bauwerks vor. Zwar hat sich der Kläger bis in das Jahr 2009 nicht mehr auf sein Urheberrecht berufen. Die Beklagen haben sich in der Folgezeit aber auch nicht bemüht, die urheberrechtliche Zustimmung zu erlangen. Bei der Interessenabwägung nach Treu und Glauben ist zu berücksichtigen, dass weder der Kläger noch die Beklagten während des Planfeststellungsverfahrens und in der unmittelbaren Zeit danach die urheberrechtliche Problematik erkannten. Auch darf die oben geschilderte Beschränkung der planfeststellungsrechtlichen Duldungswirkung im Hinblick auf das Urheberrecht nicht unter Berufung auf das Schweigen des Klägers unterlaufen werden, weil dies zu einer „kalten Enteignung“ führen würde. Jedenfalls waren bis in das Jahr 2009 hinein die Realisierung des Projekts „Stuttgart 21“ und der Teilabriss des Bahnhofsgebäudes noch mit zahlreichen politischen und finanziellen Unsicherheiten behaftet, was insbesondere daran deutlich wird, dass der Baubeginn erst fünf Jahre nach der Planfeststellung erfolgte. Diese langjährige Schwebesituation steht der Annahme eines schutzwürdigen Besitzstands der Beklagten auch im Hinblick auf das Urheberrecht des Klägers entgegen. Das lange Abwarten des Klägers schließt damit zwar seine Ansprüche nicht aus, sein Verhalten ist aber in der urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessenabwägung nach §§ 14, 39 UrhG zu berücksichtigen.

7. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Abrissmaßnahmen nicht zu, da die Änderungsmaßnahmen unter Berücksichtigung des Erhaltungsinteresses des Urhebers einerseits und des ÄnderungsinteresseGründes des Eigentümers andererseits zulässig sind.

a) Im Ausgangspunkt kann der Kläger gegenüber den Beklagten ein urheberrechtliches Änderungsverbot geltend machen, wie es in §§ 14, 39 UrhG zum Ausdruck kommt.

aa) Die Rechtsprechung erkennt seit langem ein urheberrechtliches Änderungsverbot als Ausfluss des Urheberpersönlichkeitsrechts an, das dem Urheberrecht als einer Herrschaftsmacht des schöpferischen Menschen über sein Gesamtwerk immanent ist und das dem Schutz der persönlichen und geistigen Interessen des Urhebers dient, selbst darüber zu bestimmen, in welcher Gestalt sein geistiges Kind an die Öffentlichkeit treten soll (BGH, GRUR 1971, 35, 37 – Maske in Blau; BGH GRUR 1974, 675, 676 - Schulerweiterung). Der Urheber hat grundsätzlich ein Recht darauf, dass das von ihm geschaffene Werk, in dem seine individuelle künstlerische Schöpferkraft ihren Ausdruck gefunden hat, der Mit- und Nachwelt in seiner unveränderten individuellen Gestaltung zugänglich gemacht wird (BGH, GRUR 1999, 230, 231 - Treppenhausgestaltung; BGH, GRUR 2008, 984, 986, Rz. 23 - St. Gottfried). Das aus Wesen und Inhalt des Urheberrechts folgende Änderungsverbot gilt auch gegenüber dem Eigentümer des Werkoriginals, der grundsätzlich keine in das fremde Urheberrecht eingreifenden Änderungen an dem ihm gehörenden Original vornehmen darf (BGH GRUR 1974, 675, 676 - Schulerweiterung; BGH, GRUR 1982, 107, 109 - Kirchen-Innenraumgestaltung).

bb) Das Änderungsverbot besteht aber nicht vorbehaltlos. Auch die berechtigen Interessen der Inhaber von Rechten an dem Werk sind zu schützen. § 39 Abs. 2 UrhG nennt eine Ausnahme zum Änderungsverbot und erklärt solche Änderungen des Nutzungsberechtigten für zulässig, zu denen der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann. Auch § 14 UrhG schützt das Urheberrecht nicht schrankenlos, denn geschützt ist der Urheber nur, soweit eine Gefährdung seiner berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen droht. Was nach Treu und Glauben zulässig ist, entzieht sich starren, allgemeingültigen Richtlinien und ist vielmehr durch eine Interessenabwägung zwischen den persönlichkeitsrechtlichen Belangen des Urhebers und den verwertungsrechtlichen Interessen des Nutzungsberechtigten zu bestimmen (BGH, GRUR 1971, 35, 37 – Maske in Blau). In jedem Fall ist ein unverzichtbarer Kern des Urheberpersönlichkeitsrechts zu beachten, wonach der Urheber gröblichen Entstellungen seines Werkes entgegen treten kann (vgl. BGH, GRUR 1971, 269, 271 – Das zweite Mal).

cc) Gerade bei Bauwerken wird das urheberpersönlichkeitsrechtliche Erhaltungsinteresse durch die Sachherrschaft des Eigentümers begrenzt. Nach § 903 Satz 1 BGB darf der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen („Sachherrschaft“). Der Urheber hat bei Bauwerken das Eigentumsrecht des Werkeigentümers und die daraus fließenden Interessen zu achten (BGH GRUR 1974, 675, 676 - Schulerweiterung). Das Urheberrecht hat den Interessenwiderstreit zwischen Urheber und Eigentümer nicht durchgehend so gelöst, dass die Interessen des Urhebers immer vorgehen oder die Eigentümerinteressen nur dann beachtlich sind, wenn sie besonderes Gewicht haben (KG, GRUR 1981, 742, 743). Der sich aus dem Zusammentreffen der Urheber- und Eigentümerbelange ergebende Konflikt ist auch bei Bauwerken durch eine Abwägung der jeweils betroffenen Interessen zu lösen (BGH, GRUR 1999, 230, 231 - Treppenhausgestaltung; BGH, GRUR 2008, 984, 986, Rz. 24 - St. Gottfried). Bei einem Bauwerk kann der Architekt seine Schöpfung nur verwirklichen, wenn ihm der Bauherr das Grundstück und das Baumaterial sowie die Arbeitskräfte zur Verfügung stellt. Außerdem erhält der Architekt im Gegenzug für seine Planungsleistung ein Honorar, das gerade bei Großvorhaben erheblich sein wird. Die Abwägung zwischen Urheberrecht und Eigentum an Bauwerken hängt einerseits von Art und Umfang des konkreten Eingriffs sowie andererseits von Intensität und Ausmaß der hiervon in erster Linie betroffenen urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen ab, die ihrerseits weitgehend vom individuellen Schöpfungsgrad, vom Charakter und von der Zweckbestimmung des Werks beeinflusst werden (BGH GRUR 1974, 675, 676 - Schulerweiterung). Dem Interesse des Eigentümers an einer bestimmungsgemäßen Verwendung des Bauwerks sind die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Belange gegenüber zu stellen.

dd) Der BGH hat zu erkennen gegeben, dass bei Substanzeingriffen in das geschützte Werk vorrangig zu prüfen ist, ob eine unzulässige Änderung vorliegt (BGH, GRUR 1982, 107, 109 - Kirchen-Innenraumgestaltung; BGH, GRUR 2008, 984, 986, Rz. 23 - St. Gottfried; teilweise anders BGH, GRUR 1999, 230, 231 - Treppenhausgestaltung). Beeinträchtigungen ohne Substanzeingriff unterfallen demgegenüber § 14 UrhG und dem dort nieder gelegten Entstellungsverbot. Eine Entstellung liegt als besonders schwerwiegender Eingriff vor, wenn die ästhetische Aussage des Werks verzerrt und verfälscht wird (BGH, GRUR 1986, 458, 459 - Oberammergauer Passionsspiele). Diese Grundsätze gelten auch beim Teilabriss von Bauwerken, solange der verbleibende Rest auf das frühere Werk hinweist oder an es erinnert (OLG München, GRUR-RR 2001, 177, 178 - Kirchenschiff). Weil das Änderungsverbot dem Urheberrecht wesensimmanent ist, kann offenbleiben, wie sich die in §§ 14, 39 UrhG verwendeten Begriffe der „Entstellung“, „anderen Beeinträchtigung“ und „Änderung“ zueinander verhalten (ebenso LG Berlin, GRUR 2007, 964, 967 - Berliner Hauptbahnhof; Dietz/Peukert, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 16 Rn. 87). Im Ergebnis entscheidet bei jeder zur Interessengefährdung geeigneten Beeinträchtigung eines Werks letztlich eine Interessenabwägung (Steinbeck, GRUR 2008, 988 - Anm. zu „St. Gottfried“; Dietz/Peukert, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 16 Rn. 89). Eine Beeinträchtigung des Werks ist nach dem allgemeinen urheberrechtlichen Änderungsverbot, wie es in den §§ 14, 39 UrhG zum Ausdruck kommt, nur dann zulässig, wenn sie keine Entstellung des Bauwerks enthält und wenn sie dem Urheber nach Abwägung der Urheber- und Eigentümerinteressen zuzumuten ist (BGH, GRUR 1982, 369, 371 - Allwetterbad). Diese Grundsätze werden von der Übergangsvorschrift in § 132 Abs. 1 UrhG nicht berührt.

ee) In der Interessenabwägung ist das Interesse des Urhebers an der Erhaltung der Integrität des Bauwerks dem Interesse des Eigentümers an der freien Nutzung seines Eigentums gegenüberzustellen. Beide Interessen sind gegeneinander abzuwägen (vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 14 Rn. 16 und § 39 Rn. 16). Maßgebliche Faktoren sind auf Seiten des Urhebers die Schöpfungshöhe des Bauwerks sowie die Schwere der beabsichtigten Veränderungen. Auch die Haltung des Architekten zu Veränderungen und die verbleibende Schutzdauer für das Werk sind zu berücksichtigen. Auf Seiten des Gebäudeeigentümers ist insbesondere auf sein Interesse an einer Modernisierung des Gebäudes und an einer zweckmäßigen Nutzung des Grundstücks abzustellen. Wirtschaftliche und öffentliche Interessen an der Ausführung der Veränderungen dürfen nicht völlig ausgeblendet werden. Ausgehend vom Gebrauchszweck des Bauwerks ist bei Abrissmaßnahmen eine funktionale Betrachtung der abzureißenden Gebäudeteile vorzunehmen, ohne dass dabei ihr ästhetischer Wert nach der Gesamtkonzeption des Urhebers vernachlässigt werden darf.

b) Der Kläger kann sich auf ein gesteigertes urheberrechtliches Interesse an der uneingeschränkten Erhaltung des Werks seines Großvaters berufen.

aa) Das von Paul Bonatz entworfene Bahnhofgebäude weist eine hohe Gestaltungshöhe auf.

(1) Der Rang des in Frage stehenden Werkes ist ein wesentliches Kriterium der Interessenabwägung (vgl. BGH, GRUR 1971, 35, 37 – Maske in Blau). Das Erhaltungsinteresse des Urhebers wird von der Schöpfungshöhe seines Werks beeinflusst (BGH, GRUR 2008, 984, 986, Rz. 27 - St. Gottfried). Je größer die Gestaltungshöhe, desto stärker sind die persönlichen Bindungen des Urhebers an sein Werk und desto eher ist eine Gefährdung der urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen anzunehmen (BGH, GRUR 2008, 984, 986, Rz. 27 - St. Gottfried).

(2) Insbesondere bei einem Bahnhofsgebäude ist zu berücksichtigen, dass es sich um ein komplexes Werk mit hoher Individualität handelt, das über den Gebrauchszweck hinaus regelmäßig einem besonderen ästhetischen Anspruch genügen und der jeweiligen Stadt als Aushängeschild dienen soll (LG Berlin, GRUR 2007, 964, 969 - Berliner Hauptbahnhof).

(3) Die bereits oben unter II.3.b) geschilderten Gestaltungsmerkmale zeigen, dass dem Bonatz-Bau eine hohe Gestaltungshöhe zukommt. Dies gilt auch für die beiden Flügelbauten und die Innengestaltung. Paul Bonatz selbst wie auch die Fachwelt sehen den Stuttgarter Bahnhof als das Hauptwerk des Architekten an.

(4) In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass die architekturgeschichtliche Erhaltung des Bonatz-Baus nicht Gegenstand des vorliegenden Urheberrechtsstreits ist. Die vom Kläger vorgelegten Äußerungen des Bedauerns über den Teilabriss knüpfen in erster Linie an die architektonische Bedeutung des Werks für die Allgemeinheit, also an denkmalschutzrechtliche Belange an. Die Prüfung derartiger Belange erfolgte umfassend und bindend im Planfeststellungsverfahren, an dessen Ergebnis insoweit auch das Gericht nach § 75 Abs. 1 VwVfG gebunden ist. Vorliegend geht es lediglich um das urheberpersönlichkeitsrechtliche Interesse des Werkschöpfers an der Erhaltung des Bauwerks, das jedoch - zumindest mittelbar - auch durch die künstlerische Bedeutung des Werks geprägt ist. Das Gericht hat nur für die urheberrechtlichen Fragen eine Entscheidungskompetenz. Das deutsche Recht kennt kein ewiges Urheberrecht, sondern begrenzt die Schutzdauer auf 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Danach ist der Eigentümer unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten ohne weitere Rücksichtnahme auf den Architekten zum Abriss des Bauwerks befugt. Ein längerer Werkerhalt ist nur als öffentlich-rechtlicher Denkmalschutz möglich.

bb) Die geplanten Abrissmaßnahmen stellen erhebliche Eingriffe in das von Paul Bonatz konzipierte Gesamtwerk dar.

(1) Das Erhaltungsinteresse des Urhebers hängt von dem Ausmaß des Eingriffs ab (BGH, GRUR 2008, 984, 986, Rz. 28 - St. Gottfried). Daher ist zu fragen, ob das Werk in seinen wesentlichen Zügen verändert wird (vgl. BGH, GRUR 1971, 35, 37 – Maske in Blau). Auch eine Entstellung im Sinne von § 14 UrhG muss sich auf den künstlerischen Gesamteindruck und damit auf die diesen prägenden schutzfähigen Gestaltungselemente beziehen (BGH, GRUR 1982, 107, 110 - Kirchen-Innenraumgestaltung). Wenn Gesamtcharakter, Grundkonzeption und künstlerische Substanz des Werks erhalten bleiben, ist der Eingriff zu dulden (BGH GRUR 1974, 675, 677 - Schulerweiterung).

(2) Schon im Ausgangspunkt ist zu beachten, dass der Abriss ganzer Gebäudeflügel ein schwerer Eingriff in die Integrität eines Bauwerks darstellt. Anders als bei punktuellen Veränderungen oder der Hinzufügung von Erweiterungsbauten gehen die abgerissenen Bauten unwiderruflich verloren. Auch vorliegend verändert der Abriss der Flügelbauten den Gesamteindruck des Bauwerks erheblich. Der Gebäudeeindruck von der Nord- und insbesondere von der Südseite her wird nach dem Abriss ein anderer sein. Der Nordflügel ist bisher teilweise überlappend mit dem Nordeingang der Kopfbahnsteighalle gebaut und wird durch ein spiegelbildliches Gebäude auf der Stadtseite ergänzt. Mit dem Nordflügel fällt diese Einrahmung weg. Auch die Gebäudefronten von Nord- und Südflügel werden verschwinden. Wo sich zum Schlossgarten hin bislang eine Fortführung der Gebäudestruktur in kunstvoller Weise befindet, wird künftig eine Freifläche mit Lichtaugen geschaffen.

(3) Trotz des eingriffsintensiven Abrisses der Seitenflügel bleiben jedoch die wesentlichen Teile des Bauwerks erhalten. Der ästhetische Eindruck von der Stadtseite her, der von den Schalterhallen, der Säulenhalle, der Kopfbahnsteighalle und dem Bahnhofsturm geprägt wird, wird von den Abrissmaßnahmen nicht verändert. Diese Bauteile besitzen für das Bauwerk und seinen ästhetischen Gesamteindruck eine ungleich höhere Bedeutung als die beiden Flügelbauten. In den zahlreichen zu den Akten gereichten Publikationen stehen diese Gebäudeteile regelmäßig im Mittelpunkt der ästhetischen Darstellung des Bahnhofsgebäudes. Von ihrer Funktion und ihrem ästhetischen Eindruck her ordnen sich die Flügelbauten dem Hauptgebäudekomplex unter. Zwar handelt es sich im Grundsatz um ein einheitliches Bauwerk, das auch in dieser Form dem Änderungsverbot unterliegt. Im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung ist aber zu berücksichtigen, dass nicht alle Gebäudeteile die gleiche ästhetische Bedeutung für den Gesamteindruck des Bauwerks haben, sondern Abstufungen möglich sind. Das urheberrechtliche Änderungsverbot ist gerade bei Bauwerken nicht absolut, sondern im Zusammenhang mit den widerstreitenden Interessen des Gebäudeeigentümers zu sehen. Nicht jeder Wegfall von Teilen eines Bauwerks stellt daher eine von vorneherein unzulässige Zergliederung eines Gesamtkunstwerks dar, sondern es kommt - wie auch hier - darauf an, welches Gewicht den Interessen des Gebäudeeigentümers an den Abrissmaßnahmen zukommt. Der Erhalt der übrigen Gebäudeteile mit ihrer Einbindung in ein neues Gesamtkonzept ist im vorliegenden Fall als Rücksichtnahme des Gebäudeeigentümers auf das Urheberrecht des Architekten anzuerkennen.

(4) Im Vergleich zu den Flügelbauten kommt der Beseitigung der Treppenanlage in der Großen Schalterhalle sowie einer Teilfläche in der Bahnsteighalle nur eine mäßige Eingriffsintensität zu. Der Gesamteindruck der Großen Schalterhalle ist schon seit etwa 30 Jahren erheblich verändert. Eine Treppe ist zwar noch vorhanden, jedoch handelt es sich nicht mehr um die ursprüngliche Treppenanlage mit ihren Seitenläufen, sondern um eine kleinere und engere Treppe. Die kunstvollen Seitenläufe wurden durch wenig ästhetische Rolltreppen ersetzt. Auch der Handlauf in der Treppenmitte trübt das ursprünglich offene Erscheinungsbild. Die früheren rechteckigen Seitenarkaden sind unter Metallaufbauten verschwunden. Der Eindruck einer großen Freitreppe ist nur noch rudimentär erkennbar. Zur Stadtseite hin befindet sich eine Bodenöffnung zur Arnulf-Klett-Passage, so dass eine einheitliche Bodenfläche der Schalterhalle kaum noch sichtbar ist. Diese gravierenden Änderungen sind schon seit Jahrzehnten vorhanden und können bei der Beurteilung der jetzt beabsichtigten Änderungen nicht außer Betracht bleiben. Die geplante künftige Gestaltung der großen Schalterhalle kann nicht mit dem Originalentwurf von Paul Bonatz verglichen werden, sondern Bezugspunkt ist die jetzige Situation. Die Proportionen der Schalterhalle bleiben auch nach dem Wegfall der Treppenanlage sichtbar. Der Erhalt der Ebenenstruktur ist dagegen von nur beschränkter Bedeutung, da die Treppenanlage und die Seitenarkaden als Bezugspunkte des Ebenenwechsels schon erheblich verändert wurden. Außerdem bleibt die höhere Ebene in der Bahnsteighalle zumindest teilweise erhalten. Angesichts dessen stellen der Wegfall der Treppenanlage sowie die teilweise Öffnung des Bodens in der Kopfbahnsteighalle Eingriffe ohne gesteigerte Intensität dar.

cc) Aus der Geschichte von Errichtung und Wiederaufbau des Bauwerks lässt sich zwar keine Zustimmung des Architekten zu den jetzt anstehenden Veränderungen ableiten. Jedoch zeigt der Architektenvertrag, dass Paul Bonatz bereit war, in der ästhetischen Gestaltung auf die betrieblichen Bedürfnisse des Bahnhofs Rücksicht zu nehmen.

(1) Liegt eine ausdrückliche oder auch nur stillschweigende Einräumung eines Abänderungsrechts durch den Urheber vor, führt dies in der Regel zur Zulässigkeit des Eingriffs (vgl. BGH, GRUR 1989, 106, 108 - Oberammergauer Passionsspiele II). Der Urheberberechtigte darf nach Treu und Glauben nicht Änderungen widersprechen, die er zuvor konstant akzeptiert hat und dadurch Vertrauenslagen zerstören, die er entstehen hat lassen (OLG München, GRUR 1986, 460, 463 - Die unendliche Geschichte).

(2) In dem Architektenvertrag von 1913 hatte Paul Bonatz unter § 5 ein Recht der staatlichen Eisenbahnverwaltung zur Vorgabe von Änderungen akzeptiert, die sich „im Laufe der Bauzeit aus einer Verschiebung des Verwendungszwecks der Räume aus den Ergebnissen der Submission oder aus sonstigen bei der Ausführung sich ergebenden Gründen nach Ansicht der Verwaltung sich als notwendig herausstellen sollten“ (Anlage B 33, Bl. 167 d.A.). Diese Klausel besitzt zwar keine Gültigkeit für die Zeit nach Errichtung des Bauwerks. Sie zeigt aber, dass Paul Bonatz den Vorrang des Gebäudezwecks bei seiner Planung hingenommen hat.

(3) Wenn auch der Kläger seine urheberrechtlichen Ansprüche nicht verwirkt hat, wird sein Erhaltungsinteresse im Rahmen der Interessenabwägung doch dadurch eingeschränkt, dass er seit dem Abschluss des Planfeststellungsverfahrens mehrere Jahre lang die Abrissmaßnahmen zu akzeptieren schien. Der Maßstab von Treu und Glauben im Rahmen der Interessenabwägung erlaubt eine Berücksichtigung des Abwartens des Klägers unterhalb der Schwelle der Verwirkung. Auch wenn der Kläger sein Urheberrecht zunächst nicht erkannt haben sollte, hätte er in den Jahren bis 2009 an die Beklagten herantreten können unter dem Hinweis, dass er seine Einwendungen aufrecht erhält und von einer Rechtsposition ausgeht, die nicht von dem Planfeststellungsbeschluss berührt wird. Ein solcher Hinweis wäre insbesondere anhand des Fortschreitens der Projektverwirklichung angezeigt gewesen.

dd) Das Erhaltungsinteresse an dem Gesamtwerk Stuttgarter Hauptbahnhof wird durch den Zeitablauf von mehr als 54 Jahren seit dem Tod des Urhebers geschwächt.

(1) Die höchstrichterliche Rechtsprechung neigt dazu, dem Nutzungsberechtigten bei der Veränderung eines älteren Werks einen Modernisierungsspielraum einzuräumen (für eine Operette vgl. BGH, GRUR 1971, 35, 37 - Maske in Blau). Die dabei anzulegenden Maßstäbe können je nach Lage des Falles, dem Charakter des Werks und seinem Alter verschieden sein (Ulmer, GRUR 1971, 40, 41 - Anm. zu „Maske in Blau“). Insbesondere nach dem Tod des Urhebers kann es zu einer Relativierung seiner Interessen im Verhältnis zum Werkeigentümer kommen. Im Rahmen der Interessenabwägung haben die maßgeblichen Urheberinteressen Jahre oder Jahrzehnte nach dem Tod des Urhebers nicht notwendig dasselbe Gewicht wie zu seinen Lebzeiten (BGH, GRUR 1989, 106, 107 - Oberammergauer Passionsspiele II; BGH, GRUR 2008, 984, 986, Rz. 29 - St. Gottfried). Diese Relativierung ist aber nicht zwingend, sondern hängt von einer tatrichterlichen Feststellung ab, ob sich das Urheberinteresse verringert hat (vgl. BGH, GRUR 2008, 984, 986 f., Rz. 29 - St. Gottfried). Auch für das allgemeine zivilrechtliche Persönlichkeitsrecht hat der BGH anerkannt, dass der postmortale Persönlichkeitsschutz und sein Verblassen von den Umständen des Einzelfalls abhängt, insbesondere von der Intensität der Beeinträchtigung und der Bekanntheit und Bedeutung des durch das künstlerische Schaffen geprägten Persönlichkeitsbildes (BGH, GRUR 1995, 668, 670 f. - Emil Nolde).

(2) Die Obergerichte halten ebenfalls eine Schwächung der Rechte des Architekten nach seinem Tod für möglich (OLG München, GRUR-RR 2001, 177, 179 - Kirchenschiff; OLG Hamm, Urteil vom 23.08.2005, Az. 4 U 10/05, juris, Rn. 118 - St. Gottfried). Eine solche Intensitätsschwächung wurde aber 20 Jahre nach dem Tod des Urhebers abgelehnt (OLG München, GRUR-RR 2001, 177, 179 - Kirchenschiff), ebenso für ein besonders bedeutsames Gebäude der Nachkriegszeit mehr als 35 Jahre nach dem Tod des Urhebers (OLG Hamm, Urteil vom 23.08.2005, Az. 4 U 10/05, juris, Rn. 118 - St. Gottfried; insofern als rechtsfehlerfrei gebilligt von BGH, GRUR 2008, 984, 987, Rz. 29 - St. Gottfried).

(3) Teile der Literatur lehnen dagegen die geschilderte Rechtsprechung des BGH ab und damit auch jede Relativierung des Gewichts des Urheberpersönlichkeitsrechts mit zunehmendem Abstand vom Tode des Urhebers (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, Vor § 12 Rn. 8; Bullinger, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, 3. Aufl. 2009, Vor §§ 12 ff. Rn. 10). Begründet wird dies mit der von § 64 UrhG angeordneten Schutzdauer und dem monistischen Charakter des Urheberrechts, mit dem sich eine Aufspaltung in vermögensrechtliche und persönlichkeitsrechtliche Interessen nicht vertrage. Andere Autoren halten dagegen eine Schwächung des Urheberpersönlichkeitsrechts im Rahmen der Abwägung der Interessen von Urheber/Rechtsnachfolger einerseits und Werknutzer/Eigentümer andererseits für möglich, da der Rechtsnachfolger in einer weniger engen Bindung zum Werk stehe und daher weiterreichende Eingriffe zu dulden habe als der Urheber (Dietz/Peukert, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 16 Rn. 111; Block, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 13; Dustmann, in: Fromm/Nordemann, UrhG, 10. Aufl. 2008, § 14 Rn. 6).

(4) Die Berücksichtigung der verbleibenden Schutzdauer des Werks im Rahmen der Interessenabwägung bei §§ 14, 39 UrhG ist zutreffend. Aus der gesetzlich angeordneten Schutzdauer von 70 Jahren ergibt sich nicht, dass dem Urheberpersönlichkeitsrecht im Konfliktfall mit anderen Interessen, insbesondere dem Eigentümerinteresse, stets das gleiche Gewicht zukommt. Die Interessenabwägung hat alle erheblichen Umstände nach Treu und Glauben einzubeziehen. Das Urheberpersönlichkeitsrecht kann im Laufe der Zeit an Gewicht verlieren. Dieses Verständnis bedeutet keine unterschiedliche Behandlung von vermögensrechtlichen Verwertungsbefugnissen und Urheberpersönlichkeitsrecht. Die Berücksichtigung der verbleibenden Laufzeit des Urheberrechts in der urheberpersönlichkeitsrechtlichen Abwägung führt nicht zu einem zeitlich abgestuften Schutz des Urheberrechts, sondern beeinflusst nur die Intensität der zu berücksichtigenden Interessen durch die bereits verstrichene Schutzzeit (ebenso OLG Hamm, Urteil vom 23.08.2005, Az. 4 U 10/05, juris, Rn. 118 - St. Gottfried).

(5) Auch im vorliegenden Fall kommt dem Urheberrecht im Verhältnis zu den Eigentümerinteressen wegen der seit dem Tod des Urhebers verstrichenen Zeit ein geringeres Gewicht zu. Ein Bahnhof ist ein öffentlicher Raum, der täglich von einer Vielzahl von Personen betreten wird (LG Berlin, GRUR 2007, 964, 969 - Berliner Hauptbahnhof). Diese Sichtbarkeit des Werks, seine künstlerische Bedeutung und auch seine Wertschätzung in der Öffentlichkeit stehen nach Meinung des Klägers einem Verblassen des Urheberrechts entgegen. Die Berücksichtigung der verbleibenden Schutzdauer im Rahmen der vorliegenden Interessenabwägung setzt jedoch nicht zwingend ein Verblassen der Wahrnehmung des Werks voraus, sondern es kommt entscheidend darauf an, ob das Erhaltungsinteresse des Urhebers im Verhältnis zu den Interessen des Eigentümers geringer geworden ist. Dies ist vorliegend der Fall, da mehr als drei Viertel der Schutzdauer von 70 Jahren bereits abgelaufen sind. Anders als in den bisher von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen ist der abgelaufene Zeitraum im vorliegenden Fall deutlich höher. Im Jahr 2027 könnten die Beklagten das Gebäude komplett abreißen, zumindest unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten. Während der bisherigen Nutzungsdauer ist den Urheberinteressen voll Rechnung getragen worden, da das Werk in seiner äußeren Gestaltung unangetastet geblieben ist. Umgekehrt ist das Interesse des Eigentümers an Veränderungen gestiegen. Gerade bei einem Bahnhofsgebäude steigt mit zunehmendem Zeitablauf das Interesse des Eigentümers an einer Modernisierung. Die Verkehrsfunktion des Gebäudes war auch dem Urheber ersichtlich und wurde von ihm akzeptiert.

c) Diesem Erhaltungsinteresse des Urhebers stehen gewichtige Interessen des Eigentümers des Bauwerks gegenüber. Auf diese Interessen können sich beide Beklagten berufen.

aa) Rein ästhetische Gründe berechtigen den Eigentümer grundsätzlich nicht zu baulichen Veränderungen (BGH, GRUR 1999, 230, 231 f. - Treppenhausgestaltung). Daher spielt auch der künstlerische Gehalt der geplanten Änderungen keine Rolle (BGH, GRUR 1999, 230, 232 - Treppenhausgestaltung). Erforderlich sind sachliche Gegeninteressen des Gebäudeeigentümers, die insbesondere in der Änderung des Gebrauchszwecks liegen können (Dietz/Peukert, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 16 Rn. 100).

bb) Der Eigentümer eines Bauwerks kann sich gegenüber dem Urheber auf sein Interesse an einer Modernisierung sowie sein Interesse an der Sicherstellung einer bestimmungsgemäßen und verkehrsgerechten Nutzung berufen.

(1) Im Rahmen der Interessenabwägung ist bei einem Werk der Baukunst insbesondere dessen Gebrauchszweck zu berücksichtigen (BGH, GRUR 2008, 984, 988, Rz. 38 - St. Gottfried). Den Urheberinteressen stehen wegen des Gebrauchszwecks fast aller Bauwerke gewichtige Eigentümerinteressen gegenüber, die im Rahmen der einheitlichen Interessenabwägung erheblich zu Buche schlagen (Dietz/Peukert, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 16 Rn. 100). Dies gilt insbesondere bei Gebäuden, die einem öffentlichen Zweck dienen (Schule: BGH, GRUR 1974, 675, 676 - Schulerweiterung; Kirche: BGH, GRUR 2008, 984, 988, Rz. 38 - St. Gottfried). Der Bauherr darf Anpassungen an technische Erfordernisse vornehmen, damit das Gebäude verkehrssicher und funktionstüchtig bleibt (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 39 Rn. 25). Der Architekt muss entsprechend dem Zweck seiner Beauftragung solche Änderungen nach Treu und Glauben dulden, die zur Erhaltung oder Verbesserung des Gebrauchszwecks erforderlich sind (Nordemann, in: Fromm/Nordemann, UrhG, 10. Aufl. 2008, § 39 Rn. 34 f.). Da der Urheber eines Bauwerks weiß, dass der Eigentümer das Bauwerk für einen bestimmten Zweck verwenden möchte und gerade hierfür seine Planung erstellt, muss er in verstärktem Maße damit rechnen, dass sich aus wechselnden Bedürfnissen des Eigentümers ein Bedarf nach Veränderungen des Bauwerks ergeben kann. Gerade bei Zweckbauten ist danach zu fragen, inwieweit die ausgeführte Konzeption dem Gebäudezweck folgt und sogar hierfür eine gebräuchliche Bauweise ist (BGH GRUR 1974, 675, 677 - Schulerweiterung). Der Gebrauchszweck tritt umso mehr hervor, als das betreffende Werk nicht nur dem künstlerisch-ästhetischen Genuss, sondern auch praktischen Zwecken dient (Dietz/Peukert, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 16 Rn. 110). Auch die zweckbedingte Notwendigkeit einer Änderung macht aber die Abwägung mit den urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen des Werkschöpfers nicht entbehrlich (BGH GRUR 1974, 675, 677 - Schulerweiterung).

(2) Gerade bei einem älteren Bahnhofsgebäude kommt dem Modernisierungsinteresse des Eigentümers eine erhebliche Bedeutung zu. Dieses Interesse wiegt sogar noch schwerer als bei anderen öffentlichen Zweckbauten wie Schulhäusern oder Kirchen. So ist der Verkehrsbetrieb im Laufe der Zeit stärkeren Änderungen unterworfen gewesen, wie beispielsweise der zunehmende Einsatz von Hochgeschwindigkeitszügen und der Aufbau internationaler Schienennetze zeigen. Dieser besondere Gebrauchszweck rechtfertigt größere Beschränkungen des Urheberrechts als bei anderen Zweckbauten. Im Gegenzug erhält der Architekt des Hauptbahnhofs einer deutschen Großstadt eine besondere Plattform, um sein Werk zu präsentieren. Der Architekt eines Bahnhofsgebäudes muss daher in Kauf nehmen, dass der Verkehr sich in Zukunft - auch vor Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist - weiterentwickeln wird und dass hieraus ein gesteigerter Anpassungsbedarf folgen kann. Bei Gebäuden mit Verkehrsfunktion erscheint die generalisierende Anwendung der siebzigjährigen Schutzdauer nicht sachgerecht. Im Rahmen der Abwägung nach Treu und Glauben kommt daher dem Modernisierungsinteresse des Eigentümers durch den Zeitablauf von über 80 Jahren seit Inbetriebnahme des Stuttgarter Hauptbahnhofs eine ganz erhebliche Bedeutung zu.

(3) Welche verkehrlichen Anforderungen zu erfüllen sind und auf welche Weise die Modernisierung erfolgen soll, ist wegen der grundsätzlichen Sachherrschaft des Eigentümers in sein Ermessen gestellt. Das Gericht hat diese Ermessensentscheidung nur auf ihre Willkürfreiheit zu überprüfen. Im Übrigen ist die Privatnützigkeit des Eigentums und die daraus folgende freie Sachherrschaft des Eigentümers auch vom Urheber des Gebäudes zu akzeptieren. Die Beklagten haben die vorliegend in Streit stehenden Abrissmaßnahmen nachvollziehbar in ein übergreifendes Umbaukonzept gestellt und insbesondere auch verkehrliche und betriebliche Gründe für die Maßnahmen vorgetragen. Die Umbaumaßnahmen sind in dem Architektenwettbewerb und der anschließenden Planfeststellung entwickelt worden. Ob die geltend gemachten Gründe für die Modernisierung zwingend sind oder nicht, ist vom Gericht nicht zu prüfen, da sie jedenfalls eine willkürliche Entscheidung nicht erkennen lassen, vielmehr in geordneten Verfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit und Fachwelt lange und sorgfältig geprüft wurden.

(4) Dass auch Paul Bonatz dieses besondere Verkehrsinteresse in Kauf nahm, ergibt sich schon aus dem bereits erwähnten Architektenvertrag von 1913. Zwar gilt die Anpassungsklausel in § 5 des Vertrages nur für die Bauzeit, allerdings ist zu bedenken, dass das Änderungsverbot damals eine viel geringere Relevanz hatte, da das Urheberpersönlichkeitsrecht noch nicht in gleichem Maße wie heute anerkannt war und außerdem die gesetzliche Schutzdauer nur 30 Jahre betrug. Selbst bei seinem Tod konnte Paul Bonatz wegen der damals gültigen Schutzdauer nur von einem Schutz bis in das Jahr 2006 ausgehen. Die Klausel zeigt jedoch, dass er als Architekt des Stuttgarter Hauptbahnhofs seinen Entwurf nicht als unabänderlich ansah.

cc) Andere Alternativen der Gestaltung des umgebauten Bahnhofs unter Verzicht auf den Teilabriss spielen bei der Interessenabwägung keine entscheidende Rolle.

(1) Bei der Veränderung von Bauwerken ist nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung im Rahmen der Interessenabwägung keine Alternativenprüfung dahin gehend vorzunehmen, ob andere Abänderungen des Bauwerks zu einer geringeren Beeinträchtigung der Urheberinteressen geführt hätten (vgl. hierzu und zum Nachfolgenden BGH GRUR 1974, 675, 678 - Schulerweiterung; bestätigt in BGH, GRUR 2008, 984, 988, Rz. 39 - St. Gottfried). Zwar muss der Eigentümer eines urheberrechtlich geschützten Bauwerks, der sich zu Abänderungen genötigt sieht, grundsätzlich eine den betroffenen Urheber in seinen urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen möglichst wenig berührende Lösung suchen. Hat er sich jedoch für eine bestimmte Planung entschlossen, so geht es im Rahmen der Interessenabwägung nur noch darum, ob dem betroffenen Urheber die geplanten konkreten Änderungen des von ihm geschaffenen Bauwerks zuzumuten sind. Ob daneben noch andere, den Urheber gegebenenfalls weniger beeinträchtigende Lösungen denkbar sind, ist hierfür nicht von entscheidender Bedeutung.

(2) Diese aus dem Jahr 1974 stammende Rechtsprechung des BGH wurde als missverständlich kritisiert, da gemäß dem Zweck des Urheberrechts der Eigentümer auch andere Lösungen zu berücksichtigen habe, die den Eigentümer nicht übermäßig belasten, aber den Urheber weniger beeinträchtigen (Bielenberg, GRUR 1974, 678 f. - Anm. zu „Schulerweiterung“). Der BGH hat den Verzicht auf eine Alternativenprüfung jedoch 2008 bestätigt (BGH, GRUR 2008, 984, 988, Rz. 39 - St. Gottfried). Dem schließt sich die Kammer an.

(3) Auch im vorliegenden Fall wirkt sich daher nicht zu Lasten der Beklagten aus, dass im Architektenwettbewerb zahlreiche Entwürfe den angegriffenen Abriss der Flügelbauten nicht vorsahen und diese Entwürfe - genauso wie ein Alternativentwurf des Klägers - nicht von den Beklagten gewählt wurden. Eine umfangreiche Alternativenprüfung fand im Architektenwettbewerb und auch im anschließenden Planfeststellungsverfahren statt. Die geplanten Baumaßnahmen wurden in einem langen und demokratischen Verfahren unter Mitwirkung zahlreicher Fachleute geprüft und ihre Umsetzung schließlich beschlossen. Auch der BGH hat bei der Abwägung zu Gunsten des Eigentümers berücksichtigt, dass eine Umgestaltung am Ende einer langen und ausführlichen Diskussion mit deutlichen Mehrheiten entschieden wurde (BGH, GRUR 2008, 984, 987, Rz. 35 - St. Gottfried). Im Architektenwettbewerb und im Planfeststellungsverfahren wurde nach Aktenlage das Urheberrecht des Klägers zwar explizit nicht thematisiert. Der Kläger hat aber mit seinen Einwendungen im Planfeststellungsverfahren der Sache nach die urheberrechtlichen Argumente klar und deutlich vorgetragen. Auch wenn diese Bedenken in der Planungsentscheidung zurückgestellt wurden, ist dem Urheberrecht des Klägers dennoch Rechnung getragen worden. Während des ganzen Verfahrens war der Erhalt des Bonatz-Baus ein wichtiges Thema.

(4) Das Gericht hat im vorliegenden Urheberrechtsstreit das Ergebnis dieses langjährigen Planungsverfahrens als Vorgabe zu respektieren. Es ist nicht die Aufgabe eines Urheberrechtsstreits, komplexe Planungsentscheidungen anderer Hoheitsträger zu korrigieren und nach einer für das Urheberrecht schonenderen Planungsalternative zu suchen. Der Urheber wird hierdurch nicht rechtlos gestellt, auch wenn sein Urheberrecht im Planfeststellungsverfahren nach der geschilderten Rechtsprechung des BVerwG nicht zu prüfen ist (BVerwG, NVwZ 1994, 682). Das Gericht ist im Urheberrechtsstreit nämlich befugt, die vorgegebene Planungsvariante auf ihre Zulässigkeit nach Treu und Glauben zu überprüfen und die Ausführung der vorgesehenen Umsetzungsmaßnahmen gegebenenfalls zu untersagen.

dd) Die Beklagten können sich auch auf wirtschaftliche Gesichtspunkte sowie das öffentliche Interesse an der Umsetzung der jetzigen Planung berufen.

(1) In der Entscheidung „Schulerweiterung“ hat der BGH eine tatrichterliche Beurteilung gebilligt, die neben dem Interesse des öffentlich-rechtlichen Gebäudeeigentümers auch das Interesse der Allgemeinheit an einer im Rahmen des Gebrauchszwecks liegenden und durch ihn bedingten Erweiterung mit möglichst geringem Kostenaufwand in die Abwägung mit einbezog (BGH GRUR 1974, 675, 677 und 678 - Schulerweiterung). In gleicher Weise haben die Obergerichte in der Interessenabwägung die durch eine Einstellung eines Projekts entstehenden nachteiligen finanziellen Folgen berücksichtigt (OLG Frankfurt, GRUR 1976, 199, 202 - Götterdämmerung; OLG München, GRUR 1986, 460, 464 - Die unendliche Geschichte; OLG Frankfurt, GRUR 1986, 244 - Verwaltungsgebäude). Auch in der Literatur ist anerkannt, dass ein Bauwerk den wirtschaftlichen Interessen seines Eigentümers genügen muss (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 14 Rn. 26).

(2) Im vorliegenden Fall ist das Interesse der Beklagten und der Allgemeinheit an der Umsetzung der jetzigen Gesamtkonzeption in der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Der Planfeststellungsbeschluss bringt ein erhebliches öffentliches Interesse an der Verwirklichung des Projekts „Stuttgart 21“ zum Ausdruck. Die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg haben das Projekt gebilligt und sehen ein dringendes Bedürfnis für seine Umsetzung. Ebenso hat das Eisenbahn-Bundesamt den Planfeststellungsbeschluss erlassen. Dem Gericht steht es im Rahmen der Interessenabwägung nicht zu, diese Entscheidungen der demokratisch legitimierten Hoheitsträger in Frage zu stellen. Auch etwaige städtebauliche Erwägungen einer Gebietskörperschaft sind legitim. Die Beklagten können sich auf die hinter dem Projekt stehenden öffentlichen Interessen berufen. Die angegriffenen Abrissmaßnahmen sind Teil einer einheitlichen Planungsentscheidung. Die öffentlichen Interessen lassen sich nicht trennen in rein verkehrliche und städtebauliche Interessen. Bei der Umsetzung eines so umfassenden Projekts sind zahlreiche Interessen miteinander in Ausgleich zu bringen.

(3) Die Beklagten sind zwar privatrechtliche Unternehmen, jedoch erfüllen sie eine wichtige öffentliche Funktion, indem sie den Schienenverkehr in Deutschland gewährleisten. Nach Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG werden die Eisenbahnen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführt. Auch bei Abschluss des Architektenvertrags 1913 war dem Architekten klar, dass er ein Gebäude für einen (damals staatlichen) Eigentümer im öffentlichen Interesse errichtete. Das Bahnhofsgebäude dient einem öffentlichen Zweck. Hieran hat sich seither trotz des Wechsels der Organisationsform des Gebäudeeigentümers nichts geändert. Bei der Interessenabwägung kann die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch die Beklagten und ihre Einbindung in das öffentliche Interesse nicht vernachlässigt werden.

(4) Die Beklagten haben nachvollziehbar geschildert, dass das gesamte Projekt aus zeitlichen und finanziellen Gründen gefährdet ist, wenn die Abrissmaßnahmen untersagt werden. Zwar lassen sich Eingriffe in das Urheberrecht nicht unter Hinweis auf die bloße Größe und Bedeutung eines Projekts rechtfertigen, jedoch sind diese Faktoren in der Interessenabwägung bei Veränderungen an einem öffentlichen Gebäude im Rahmen eines komplexen Projekts zu berücksichtigen. Ob eine Umplanung - wie der Kläger behauptet - tatsächlich ohne großen zeitlichen und finanziellen Aufwand möglich ist, hat dagegen außer Betracht zu bleiben, da das Gericht eine Prüfung von Planungsalternativen nicht vornehmen kann und darf.

ee) Die geplante Umwandlung des bisherigen Kopfbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof führt zu einem Funktionsverlust der Flügelbauten. Der Gebäudeeigentümer kann die Abrissmaßnahmen als Konsequenzen dieses Funktionsverlusts rechtfertigen.

(1) Bei der Beurteilung der Fragen, ob eine Werkentstellung oder eine wesentliche Änderung vorliegt, darf das Gericht darüber befinden, welche gestalterische Höhe dem Bauwerk zukommt und in welchen Gestaltungselementen die eigenschöpferische Leistung liegt (BGH GRUR 1974, 675, 677 - Schulerweiterung). Werke der Baukunst können geprägt sein durch ihre Größe, ihre Proportion, Einbindung in das Gelände, die Umgebungsbebauung, Verteilung der Baumassen, Gliederung der Fassade und vieles andere mehr (OLG München, GRUR-RR 2001, 177, 178 - Kirchenschiff). Eine isolierte Betrachtung nur der künstlerischen Schöpfungshöhe unter Ausblendung der Funtions- und Situationsbezogenheit des Bauwerks verbietet sich.

(2) Die Aussagen von Paul Bonatz in der Werkzeitung von Daimler bringen die funktionale Konzeption des Gebäudekomplexes als Kopfbahnhof zum Ausdruck (Anlage K 2, Bl. 51 d.A.). Paul Bonatz erkennt darin an, dass es sich um einen „halbtechnischen Bau“ handelt. Gemäß der Funktion als Kopfbahnhof hat er die Gebäude so gestaltet, dass „die Einfahrtshallen von der Stadtseite und den Nebenseiten her nicht mehr sichtbar sind.“ Der „flankierende Steinbau“ habe die „Funktion eines Widerlagers“ zu den Einfahrtshallen. Zur Umfassung des Gleiskörpers des Kopfbahnhofs merkt er an: „Grundsätzlich legt sich ein viergeschossiger, massiver Baukörper in gleichmäßiger Gesimshöhe als feste steinerne Umklammerung um drei Seiten der Einfahrtshallen herum.“ Der Eingangshalle und dem Turm spricht er eine besondere Bedeutung zu: „Nur zwei Bauteile von besonderer Bedeutung überragen die allgemeine Gesimshöhe: die Eingangshalle und der Turm. Die Eingangshalle ist der Große Mund des ganzen Württembergischen Bahnsystems. Sie muss stark betont werden.“ Dieses funktionale Verständnis wirkte sich auch auf die Gestaltung des Südflügels und die ihn prägenden drei Vorsprünge aus: „Auch diese drei Vorsprünge sind nichts Willkürliches. Sie sind jeweils der Kopf eines auf sie zuführenden Quertunnels für den Dienst der Post, der Station und des Expreßguts.“

(3) Nach diesen Aussagen legte der Urheber den künstlerischen Schwerpunkt auf die der Stadt zugewandten Gebäude. Die Flügelbauten waren in erster Linie als künstlerisch ausgeführte Einfassung für die Gleisanlage gedacht. Auch die Fassadengestaltung der Flügelbauten mit den Vorsprüngen spiegelt die Verbindung von Ästhetik und Funktion wieder. Mit Verlegung der Gleisanlage unter die Erde fällt jedoch der maßgebliche Bezugspunkt für die Flügelbauten weg. Selbst wenn die Flügelbauten erhalten blieben, wäre der ästhetische Gesamteindruck erheblich verändert, da die Seitenflügel nicht wie vom Urheber gedacht erkannt werden könnten und der von ihm beabsichtigte funktionelle Bezug zur Gleisanlage verloren ginge. Auch die Funktion des Südflügels als markanter Abschluss zum Schlossgarten wird künftig entfallen, da hier eine mit Lichtaugen durchzogene Freifläche geschaffen werden soll, die sich über die bisherige Gleisanlage bis weit in den Schlossgarten hinein erstreckt. Die Änderung des Gebäudeumfelds ist bei der urheberrechtlichen Beurteilung zu berücksichtigen, da ein Bauwerk immer situationsbezogen ist und seine Wahrnehmung maßgeblich auch vom Umfeld des Gebäudes geprägt wird.

d) Die geschilderten Eigentümerinteressen führen bei einer Gesamtabwägung sämtlicher Umstände nach Treu und Glauben zur Zulässigkeit der vorgesehenen Abrissmaßnahmen, da das Interesse des Gebäudeeigentümers an der Umgestaltung des Bahnhofsgebäudes das urheberpersönlichkeitsrechtliche Erhaltungsinteresse überwiegt. Gegenstand der Interessenabwägung ist nur die gewählte Planungsvariante. Das Gericht hat nicht zu prüfen, ob andere Planungsalternativen bestehen, die für das Urheberrecht schonender sind. Zwar sind mit den Abrissmaßnahmen intensive Eingriffe in ein einzigartiges Werk der Baukunst verbunden. Der Abriss der Flügelbauten wiegt in seinen Auswirkungen für das Gesamtwerk schwerer als die Maßnahmen im Gebäudeinnern. Der Gesamteindruck des Bauwerks wird erheblich verändert. Der Ablauf von drei Vierteln der urheberrechtlichen Schutzdauer für das Bauwerk sowie die Beschränkung der Abrissmaßnahmen auf die Flügelbauten relativieren jedoch das urheberpersönlichkeitsrechtliche Erhaltungsinteresse. Außerdem bleiben die wesentlichen Gebäudeteile erhalten. Angesichts der starken Funktionsbindung des Bahnhofsgebäudes als Zweckbau, an der auch Paul Bonatz seine ästhetische Gestaltung ausrichtete, ist ein starkes Modernisierungsinteresse des Gebäudeeigentümers anzuerkennen. Daneben können sich die Beklagten auf das in einem langjährigen Verfahren geformte öffentliche Interesse an einer Verwirklichung des jetzigen Entwurfs berufen. Schließlich führt die Umgestaltung in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof mit dem damit verbundenen Wegfall der Gleisanlage zu einer wesentlichen Veränderung der ästhetischen und funktionellen Vorgaben an die Flügelbauten. Ihr Abriss ist als Konsequenz dieser Funktionsänderung legitim. Eine willkürliche Entscheidung der Beklagten bei der Entwicklung der Umbaumaßnahmen ist nicht zu erkennen. In der Gesamtschau sind die Abrissmaßnahmen unter Abwägung der widerstreitenden Interessen nach Treu und Glauben zulässig und vom Kläger hinzunehmen. Die Klage war daher abzuweisen.

III.

1. Die Kostenentscheidung erging nach § 91 Abs. 1 ZPO.

2. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO.

3. Der Gebührenstreitwert wurde nach §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 2 Satz 1 GKG, 3 ZPO festgesetzt.

a) Der Kläger macht einen Unterlassungsanspruch aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht geltend. Dem Kläger geht es nur um den Erhalt des Werks seines Großvaters aus ideellen Belangen, nicht um die wirtschaftliche Verwertung des Werks. Daher liegt eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne von § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG vor (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl. 2008, § 48 GKG Rn. 12 „Urheberrecht“).

b) Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 2 GKG war für die nichtvermögensrechtliche Streitigkeit ein Höchstwert von EUR 1.000.000,00 zu beachten. Die Festsetzung des Höchstwerts ist angesichts der Bedeutung des Werks und dem entsprechend großen Interesse des Klägers an seiner Erhaltung angemessen. Das Gericht folgt insofern der Streitwertangabe in der Klageschrift.

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