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FAQ: Rechtsfolgen bei Lieferengpässen für Online-Händler aufgrund der Corona-Krise

11.03.2020, 17:04 Uhr | Lesezeit: 9 min
FAQ: Rechtsfolgen bei Lieferengpässen für Online-Händler aufgrund der Corona-Krise

Derzeit bestimmt die Corona-Krise das Leben vieler Menschen auf der ganzen Welt. Täglich erreichen uns neue Nachrichten über mögliche Auswirkungen dieser Krise auf die Weltwirtschaft. Hiervon bleibt auch der Online-Handel nicht verschont. Zwar profitiert der Online-Handel einerseits davon, wenn derzeit viele Menschen online einkaufen, um ihr Haus nicht verlassen zu müssen. Andererseits stellt die Krise auch viele Online-Händler vor das Problem, angebotene Waren nicht (rechtzeitig) liefern zu können, da die Lieferketten derzeit weltweit unterbrochen sind. Dies gilt insbesondere für Lieferungen aus China, von wo immer mehr Händler ihre Waren beziehen oder direkt liefern lassen (Dropshipping). Doch welche Rechtsfolgen drohen Online-Händlern, die ihre Lieferpflichten aufgrund der anhaltenden Corona-Krise nicht erfüllen können? Wir haben dies in den nachfolgenden häufig gestellten Fragen (FAQ) näher beleuchtet.

Frage: Kann der Händler Bestellungen seiner Kunden einfach stornieren, wenn er die vereinbarte Lieferpflicht aufgrund der anhaltenden Corona-Krise nicht erfüllen kann?

Sofern mit den Kunden bereits ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen wurde ist das nicht einseitig möglich. Ein „Recht auf Stornierung“ sieht das Gesetz nicht vor. Es gilt der Grundsatz „pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten) und eine Möglichkeit zur Lösung von bereits geschlossenen Verträgen sieht das Gesetz nur in wenigen Fällen und nur unter engen Voraussetzungen vor.

Frage: In welchen Fällen kann sich der Händler nachträglich von einem bereits geschlossenen Kaufvertrag lösen?

Grundsätzlich sind in diesem Zusammenhang etwa folgende Fälle denkbar:

1) Anfechtung der Vertragserklärung aufgrund eines Inhalts- oder Erklärungsirrtums

Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde (§ 119 I BGB) . Eine Willenserklärung, welche durch die zur Übermittlung verwendete Person oder Einrichtung unrichtig übermittelt worden ist, kann unter der gleichen Voraussetzung angefochten werden wie nach § 119 eine irrtümlich abgegebene Willenserklärung (§ 120 BGB) .

Nun könnte man auf die Idee kommen, die eigene Vertragserklärung anzufechten, weil man sich im Zeitpunkt des Vertragsschlusses über die Lieferbarkeit der Ware geirrt hat. Denn bei Vertragsschluss war man ja schließlich noch davon ausgegangen, dass die angebotene Ware auch lieferbar sein würde. Ganz so einfach ist es aber leider nicht. Im Interesse der Rechtssicherheit gestattet das BGB eine Anfechtung wegen Irrtums nur in folgenden 4 Fällen:

  • Irrtum in der Erklärungshandlung (z. B. Versprechen oder Vertippen)
  • Irrtum über den Erklärungsinhalt (z. B. Irrtum über die Person des Vertragspartners oder über den Vertragsgegenstand)
  • Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften (z. B. Echtheit eines Kunstwerkes oder Fahrleistung eines Kfz)
  • Übermittlungsirrtum (z. B. falsche Übersetzung eines Dolmetschers oder fehlerhafte Preisauszeichnung wegen eines Softwarefehlers)

Der Irrtum über die Lieferbarkeit der angebotenen Ware gehört aber nicht dazu. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen rechtlich unbeachtlichen Motivirrtum, für den der Händler das Risiko trägt.

2) Rücktritt vom Kaufvertrag wegen Zahlungsverzugs des Käufers

Ist der Käufer nach dem Inhalt des Vertrages zur Vorausleistung (Vorkasse) verpflichtet und zahlt er den geschuldeten Kaufpreis trotz einer Zahlungsaufforderung unter angemessener Fristsetzung des Händlers nicht, kann der Händler vom Kaufvertrag zurücktreten (vgl. § 323 I BGB) .

Dieser Fall kommt zwar auch in der Praxis vor, setzt aber sowohl die Pflicht zur Vorauskasse für den Käufer als auch dessen beharrliche Zahlungsunwilligkeit voraus. Dabei kommt es also gar nicht darauf an, ob der Händler liefern kann oder nicht. Er kann sich hier allein aus dem Grund vom Vertrag lösen, dass der Käufer sich nicht vertragstreu verhält.

3) Ausschluss der Leistungspflicht wegen Unmöglichkeit der Lieferung

Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist (§ 275 I BGB) .

Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat (§ 275 II BGB) .

Diese Regelungen sollen den Schuldner vor der Inanspruchnahme auf eine unmögliche Leistung schützen. Der Schuldner soll also von seiner Leistungspflicht befreit werden, wenn die Erbringung der von ihm geschuldeten Leistung unmöglich ist. Das Gesetz kennt verschiedene Arten der Unmöglichkeit und knöpft unterschiedliche Rechtsfolgen hieran, je nachdem, ob der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat oder nicht.

Kommt es zu Lieferengpässen aufgrund der Corona-Krise, könnte für den Händler subjektive Unmöglichkeit in Betracht kommen. Diese liegt vor, wenn der Schuldner zur Leistung außerstande ist. Dies ist nur der Fall, wenn der Schuldner auch zur Beschaffung oder Wiederbeschaffung und zwar auch unter Mithlilfe Dritter, nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand in der Lage ist. Könnte der Händler die geschuldete Ware also mit verhältnismäßigem Aufwand noch von anderen Quellen beziehen, läge keine Unmöglichkeit vor und er würde nicht von seiner Leistungspflicht befreit.

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Frage: Nehmen wir an, die Ware kann vom Händler aufgrund der Corona-Krise in der vereinbarten Lieferzeit nicht mit verhältnismäßigem Aufwand beschafft werden, welche Rechtsfolgen knüpfen sich dann an die Unmöglichkeit der Lieferung?

Der Händler wird gemäß § 275 I BGB bzw. § 275 II BGB (Einrede erforderlich) frei von seiner Lieferpflicht. Der Käufer kann seinen Lieferanspruch also nicht mehr gegen den Händler durchsetzen. Zugleich verliert der Händler nach § 326 BGB seinen Anspruch auf die Zahlung des Kaufpreises. Hat der Käufer den Kaufpreis bereits gezahlt, muss der Händler diesen erstatten.

Frage: Muss der Händler im Falle der Unmöglichkeit der Lieferung auch Schadensersatz leisten und wenn ja, in welcher Höhe?

Eine Schadensersatzpflicht des Händlers kommt im Falle der Unmöglichkeit der Lieferung nur dann in Betracht, wenn der Händler die Unmöglichkeit, also das Leistungshindernis, zu vertreten hat, ihn insoweit also ein Verschulden trifft. Handelt es sich um ein anfängliches Leistungshindernis, welches bereits bei Vertragsschluss vorlag, beurteilt sich der Schadensersatz nach § 311a II BGB. Handelt es sich um ein nachträgliches Leistungshindernis, welches erst nach Vertragsschluss eingetreten ist, beurteilt sich der Schadensersatz nach § 283 BGB.

Im Hinblick auf das erforderliche Verschulden kommt es darauf an, ob der Händler bei Vertragsschluss wusste oder hätte wissen müssen, dass er seine Lieferpflicht aufgrund der anhaltenden Corona-Krise nicht wird einhalten können. Sollte dies der Fall sein, so wäre der Händler nach einer der vorgenannten Vorschriften zum Schadensersatz verpflichtet.

Der Anspruch ist darauf gerichtet, den durch die Nichterfüllung entstandenen Schaden auszugleichen (positives Interesse). Das heißt, der Gläubiger ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Der Anspruch zielt in der Regel auf eine Geldzahlung ab, kann aber ausnahmsweise auch auf Beschaffung von gleichwertigen Ersatzsachen gerichtet sein. Die Höhe des Schadensersatzes hängt also vom konkreten Einzelfall ab und kann nicht pauschal beziffert werden.

Frage: Kann sich der Händler in solchen Fällen nicht auf „höhere Gewalt“ berufen und damit einer Schadensersatzpflicht entgehen?

„Höhere Gewalt“ liegt vor, wenn ein unvorhersehbares Ereignis von außen einwirkt und das Ereignis auch durch die äußerst zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch unschädlich gemacht werden kann. Wenn der Händler bei Vertragsschluss aufgrund der äußeren Umstände aber bereits absehen konnte, dass es aufgrund der anhaltenden Corona-Krise zu Lieferengpässen kommen kann, liegt kein unvorhersehbares Ereignis vor. Wenn der Händler dies bei Vertragsschluss noch nicht absehen konnte, trifft ihn kein Verschulden und somit auch keine Pflicht zum Schadensersatz.

Frage: Kann der Händler in seinen AGB einen Haftungsausschluss für solche Fälle regeln, um einer etwaigen Schadensersatzpflicht zu entgehen?

Die Regelung eines solchen Haftungsausschlusses in AGB wäre nur dann wirksam, wenn er die Haftung des Verwenders nicht über die vorgenannten Grundsätze hinaus beschränkt. Maßgeblich ist, ob im Einzelfall tatsächlich Unmöglichkeit vorliegt und ob der Händler diese zu vertreten hat oder nicht. Da das Gesetz hierzu bereits klare Regelungen trifft, muss dies nicht zusätzlich in AGB geregelt werden.

Frage: Kann der Händler in seinen AGB einen Rücktrittsvorbehalt regeln, um sich in solchen Fällen auch dann vom Vertrag lösen zu können, wenn keine Unmöglichkeit vorliegt?

Insoweit ist die Regelung des § 308 Nr. 3 BGB zu beachten. Danach ist die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders, sich ohne sachlich gerechtfertigten und im Vertrag angegebenen Grund von seiner Leistungspflicht zu lösen, unwirksam. Allerdings ergibt sich aus § 308 Nr. 8 BGB, dass ein solcher Rücktrittsvorbehalt bei Nichtverfügbarkeit der Leistung ausnahmsweise doch zulässig ist, wenn sich der Verwender verpflichtet, den Vertragspartner unverzüglich über die Nichtverfügbarkeit zu informieren und Gegenleistungen des Vertragspartners unverzüglich zu erstatten. Insoweit dürfen wir darauf hinweisen, dass die AGB, welche die IT-Recht Kanzlei im Rahmen ihrer Schutzpakete bereitstellt, eine entsprechende Klausel enthalten.

Frage: Kann der Händler seine Lieferzeit im Online-Shop aufgrund der anhaltenden Corona-Krise so lange ausdehnen oder so unbestimmt formulieren, dass er ggf. auch erst zu einem viel späteren Zeitpunkt liefern könnte?

Gemäß Art. 246a § 1 Nr. 7 EGBGB hat der Unternehmer den Verbraucher über den Termin zu informieren, bis zu dem er die Waren liefern oder die Dienstleistung erbringen muss. Danach muss der Unternehmer den Verbraucher über Dauer, Beginn und Ablauf der Lieferfrist informieren, innerhalb welcher der Verbraucher in jedem Fall mit dem Zugang der Ware rechnen kann. Einschränkende Zusätze bei der Lieferzeit wie etwa „voraussichtlich“ oder „in der Regel“ sind in rechtlicher Hinsicht kritisch, da dies einen unzulässigen Änderungsvorbehalt darstellen könnte. Der Verbraucher muss bereits anhand der im Internet veröffentlichten Informationen in die Lage versetzt werden, sich das Ende der Lieferfrist auszurechnen.

Aber auch die Angabe extrem langer Lieferzeiten im Online-Shop ist nach unserer Auffassung grundsätzlich unzulässig. Nach § 308 Nr. 1 BGB sind Bestimmungen in AGB unwirksam, durch die sich der Verwender unangemessen lange oder nicht hinreichend bestimmte Fristen für die Erbringung einer Leistung vorbehält. Dies kann auch für Fälle gelten, in denen der Händler sich eine unangemessen lange Lieferzeit vorbehält, selbst wenn er diese konkret benennt. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art der zu erbringenden Leistung und die Verkehrsanschauung. Bei der Abwägung sind die Interessen beider Parteien zu berücksichtigen.

So kann für eine Einbauküche die Angabe einer Lieferzeit von 4 Wochen zulässig, die Angabe einer Lieferzeit von 6 Wochen aber schon unzulässig sein (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 87, 315). Gerade bei Artikeln, die nicht erst gesondert für den Kunden hergestellt werden müssen, dürfte daher die Angabe einer zu langen Lieferzeit unzulässig sein. Wenn man die Lieferzeit für einen Artikel aufgrund der anhaltenden Corona-Krise also nicht genau bestimmen kann, sollte man den Artikel vorsorglich jedenfalls so lange aus dem Sortiment nehmen, bis sich die Lage am Markt wieder normalisiert hat.

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1 Kommentar

M
Mario Richter 30.04.2020, 21:43 Uhr
Versanddienstleister
Wie verhält es sich aber, wenn ich die Ware an den Versanddienstleister übergeben habe, ich aber nicht weiß wie lange er aktuell braucht um die Ware zuzustellen? Ich muß ja den Zeitraum angeben bis die Ware beim Kunden ist und nicht wann ich es dem Versanddienstleister übergeben habe.

Teilweise ist es in Deutschland regional sehr unterschiedlich. Von 1 Tag bis 14 Tage ist da alles möglich.

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