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Bieterfragen: In einer öffentlichen IT-Ausschreibung

25.02.2010, 11:34 Uhr | Lesezeit: 10 min
Bieterfragen: In einer öffentlichen IT-Ausschreibung

Bei Bieterfragen handelt es sich um das Recht eines Bieters, im Rahmen einer Ausschreibung gem. § 12 EG Abs. 8. VOL/A 2009 nach dem Versand der Vergabeunterlagen von der Beschaffungsstelle ergänzende Informationen zu erbitten. Diese Anfragen können entweder subjektiver oder objektiver Natur sein. Das heißt, entweder versteht nur der Bewerber eine Regelung in den Vergabeunterlagen nicht (subjektiv) oder die Formulierung in den Vergabeunterlagen ist objektiv aufklärungsbedürftig.

Dieses Anfragerecht sollte jeder Bewerber nutzen, um seine Bewerbungschancen zu erhöhen. Bieteranfragen werden von vielen Bewerbern aber auch virtuos gehandhabt, um bereits frühzeitig Vergabebedingungen in ihrem Sinne zu modifizieren, ohne auf das Recht der Rüge zurückgreifen zu müssen. Im Folgenden soll darstellt werden, in welchen Fällen Bieterfragen gestellt werden dürfen, wie sie zu beantworten sind und unter welchen Voraussetzungen die Antworten allen anderen Bietern zugänglich sein müssen.

I. Was sind Vergabeunterlagen?

Die Vergabeunterlagen bestehen gemäß § 8 Abs. 1 und § 9 EG Abs.1 VOL/A 2009 aus dem Anschreiben (Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes), den Bewerbungsbedingungen und den Vertragsbedingungen, die sich aus Leistungsbeschreibung und Vertragsbedingungen zusammensetzen.

Mit dem Aufforderungsschreiben erhält der Bewerber alle nach der VOL/A z.B. gemäß § 12 Abs. 1 und § 15 EG Abs.1 VOL/A 2009  geforderten Informationen über die Bewerberbedingungen und zusätzliche Bedingungen, die die Behörde für das konkrete Vergabeverfahren für erforderlich hält (z.B. Form des Angebots durch Ausfüllen eines EVB-IT Vertrages, Umgang mit dem Fragenkatalog der Beschaffungsstelle etc.).

Zu den Verdingungsunterlagen gehören die rechtlichen Bedingungen und die Leistungsbeschreibung.

II. Welche Auskünfte kann der Bieter verlangen?

§ 17 Nr. 6 VOL/A a.F. unterscheidet zwischen sachdienlichen (subjektiv) und wichtigen Auskünften (objektiv). Die neue VOL/ weist diese Unterscheidung nicht mehr auf. Es hat sich aber hinsichtlich des Rechts des Bieters auf Auskünfte nichts geändert.

Die Vergabestelle hat zusätzliche sachdienliche Auskünfte, die einzelne Bewerber über die Vergabeunterlagen, also über das Anschreiben und die Verdingungsunterlagen erbitten, zu beantworten. Diese Auskünfte sind unverzüglich zu erteilen.

Die Bieter können auch wichtige Auskünfte bezüglich der geforderten Leistung oder der Preisermittlung (Verdingungsunterlagen) verlangen. Diese Antworten sind allen Bewerbern mitzuteilen.

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III. Was sind „zusätzliche sachdienliche Auskünfte“?

Zusätzliche sachdienliche Auskünfte sind individuelle Mitteilungen, die sich nur an den anfragenden Bewerber richten, weil dieser die Vergabeunterlagen missverstanden, falsch gelesen oder fehl eingeschätzt hat. Da lediglich der anfragende Bewerber den geforderten Aufklärungsbedarf anmeldet, müssen die Antworten den anderen Bewerbern nicht zwingend mitgeteilt werden, weil die Informationen für die anderen Bieter nicht von Interesse sind.

Die Beschaffungsstelle hat hier aber genau zu prüfen, ob die Ursache der Nachfrage des Bewerbers tatsächlich nur subjektiver Art war. Kann sie zu dem Ergebnis kommen, es liege ein objektiver Aufklärungstatbestand vor, handelt es sich um eine wichtige Auskunft gemäß Abs. 2 , und die gegebenen Informationen sind an alle Bieter weiterzuleiten.

IV. Was sind „wichtige Auskünfte“?

Wichtige Auskünfte sind Mitteilungen, bei denen die Vergabestelle davon ausgehen muss, dass sie auch für andere Bewerber von Interesse sein können. Wichtige Auskünfte sind zum Beispiel Aufklärungen zu objektiv mehrdeutigen Leistungsbeschreibungen oder rechtlichen Regelungen und zu Lücken in der Leistungsbeschreibung. Von einer objektiv bestehenden Aufklärungssituation ist in der Regel spätestens dann auszugehen, wenn sich Bewerberanfragen zu bestimmten Punkten des Leistungsverzeichnisses häufen. In diesem Fall besteht aber auch die Gefahr (so eine Entscheidung des OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.03.2005 - Verg 77/04), dass eine Nachprüfungsstelle zu dem Ergebnis kommen kann, dass die Leistungsbeschreibung den Anforderungen des § 8 Nr. 1 VOL/A a.F. an eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung nicht genügt. Eine wichtige Auskunft liegt auch auf jeden Fall  vor, wenn sie dem anfragenden Bieter einen Informationsvorsprung vor den anderen Bewerbern verschaffen würde.
Die Vergabestelle hat wichtige Aufklärungen über die geforderte Leistung oder die Grundlagen der Preisermittlung allen Bewerbern gleichzeitig mitzuteilen. Hat die Vergabestelle Zweifel, ob es sich um eine zusätzliche oder um eine wichtige Anfrage handelt, sollte sie vorsichtshalber von dem Vorliegen einer wichtigen Anfrage ausgehen.

V. Form der Bieteranfrage und der Aufklärungsmitteilung

Die VOL/A sieht keine Formerfordernisse vor. Die Vergabestelle kann aber in der Aufforderung zur Angebotsabgabe eine solche Form vorschreiben. Die Auskünfte könnten daher auch telefonisch erfragt und gegeben werden. Es ist aber aus Dokumentationsgründen sowohl Bietern als auch der Vergabestelle anzuraten, die Anfragen schriftlich oder zumindest in Textform (E-mail) zu stellen und zu erteilen.

Bei einer Überprüfung hat die Vergabestelle mit Hilfe eines Vergabevermerks nachzuweisen, dass sie ihrer Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Auskunftserteilung nachgekommen ist.

Der Vergabevermerk sollte folgende Mindestinformationen enthalten:

  • Wann hat welcher Bewerber welche zusätzliche Auskunft verlangt? Bei schriftlichen Bieterfragen ist die Anfrage (mit Posteingangstempel) oder die Email zur Vergabeakte zu nehmen. Bei telefonischen Auskünften ist ein Gesprächsprotokoll zu fertigen und zur Akte zu nehmen.
  • Welche Auskunft wurde erteilt und wann wurde sie an den Bieter abgesandt? Der Inhalt der schriftlichen Auskunft mit Vermerk über den Postausgang und / oder das Gesprächsprotokoll sind zur Akte zu nehmen.
  • Aus welchen Gründen handelte es sich um eine sachdienliche oder um eine wichtige Auskunft?
  • Im Falle einer wichtigen Auskunft ist der Nachweis der Information aller Bewerber mit Nachweis über den Postausgang erforderlich.

VI. Inhalt der erteilten Auskünfte

Die Vergabestelle hat zutreffende Auskünfte zu erteilen. Beinhalten bereits die Vergabeunterlagen die Antwort auf die Bieteranfrage, kann sich die Auskunft mit einem Hinweis auf die entsprechende Stelle in den Vergabeunterlagen begnügen.

Andere Erläuterungen sind so knapp wie möglich zu halten. Gehen die Auskünfte über den  Inhalt der Vergabeunterlagen hinaus, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um wichtige Auskünfte handelt. Es ist der Vergabestelle daher zu raten, die Auskunft vorsorglich allen Bewerbern mitzuteilen. In diesem Fall sollte auch die Frage des Bewerbers wiederholt werden, wobei diese zu anonymisieren ist (siehe dazu Ziffer 8), so dass den anderen Bewerbern ein Rückschluss auf die Identität des anfragenden Bewerbers nicht möglich ist.

Die Behörde kann aber lediglich missverständliche Formulierungen berichtigen, Lücken in der Darstellung ausfüllen und Präzisierungen vornehmen. Inhaltliche Änderungen sind nur dann erlaubt, sofern diese die Grundlagen des Wettbewerbs und der Preisbildung nicht grundlegend verändern und den Entschluss der Unternehmen zur Beteiligung oder zur Nichtbeteiligung am Wettbewerb nicht berühren. Des Weiteren wird zur Zulässigkeit einer inhaltlichen Änderung gefordert, dass die Mitteilung über die Änderung oder Ergänzung noch vor Ablauf der Angebotsfrist gleichzeitig an alle Bewerber gerichtet und die Angebotsfrist erforderlichenfalls angemessen verlängert wird.

VII. Bis wann müssen die Auskünfte erteilt werden?

In der neuen VOL/A 2009 (§ 12 EG Abs. 8  VOL/A 2009) finden sich nun Fristen für die Auskünfte der Vergabestelle. Die Vergabestelle hat die geforderten Informationen  spätestens 6 Tage, beim nicht offenen Verfahren oder beschleunigten Verhandlungsverfahren spätestens 4 Tage vor Ablauf der Angebotsfrist zu erteilen.  Es besteht in der vergaberechtlichen Kommentierung Einigkeit, dass diese Fristen auch für nationale Ausschreibungen Anwendung finden sollen. Es empfiehlt sich aber nicht, diese Fristen auszureizen. Der Bieter muss noch die Gelegenheit haben, die Auskunft der Vergabestelle bei der Erstellung seines Angebotes zu berücksichtigen. Andererseits hat der Bieter auch eine Obliegenheit, die Anfragen möglichst frühzeitig zu stellen. Eine Anfrage drei Tage vor Ablauf der Angebotsfrist kann kaum noch zu verwertbaren Ergebnissen führen. Der Vergabestelle ist zu raten, in der Aufforderung zur Angebotsabgabe festzulegen, bis zu welchem Zeitpunkt Bieterfragen angenommen und beantwortet werden. Werden bei wichtigen Auskünften alle Bieter von der Frage und der Antwort unterrichtet, hat dieses gleichzeitig zu erfolgen, damit kein Bieter diskriminiert wird.

VIII. Vertraulichkeit der Behandlung von Bieteranfragen

Die Vergabestelle ist gemäß § 12 ABs.4  und § 15 EG Abs. 12 VOL/A 2009  verpflichtet, die Namen der Bewerber, die die Vergabeunterlagen erhalten oder eingesehen haben, vertraulich zu behandeln. Würden die Bewerber bereits im Vorfeld bekannt werden, bestünde die Gefahr von Absprachen der Bieter untereinander.

IX. Welche Konsequenzen haben Verstöße gegen diese Pflichten?

Verletzt die Behörde ihre Pflichten zur Aufklärung, indem sie zum Beispiel keine oder falsche Antworten gibt, bestehen in nationalen Verfahren möglicherweise Schadensersatzansprüche des Bewerbers wegen Verschuldens der Behörde bei Vertragsschluss. In EU-weiten Verfahren können betroffene Bieter Nachprüfungsverfahren einleiten.

X. Beispiel für eine Bieterfrage

Die Vergabestelle A schreibt die Lieferung einer Serversoftware aus. In den Verdingungsunterlagen führt sie aus, dass der Auftragnehmer die Kompatibilität der Software mit der beim Auftraggeber eingesetzten Datenbanksoftware XXXX zusichert. Ein Bieter ist sich aufgrund der Angaben in der Leistungsbeschreibung nicht sicher, ob es sich bei der Forderung der Vergabestelle um eine Garantie im Rechtssinne gemäß § 443 BGB handelt oder lediglich um die Vereinbarung einer bestimmten Beschaffenheit der Serversoftware.
Telefonisch hinterfragt der Bewerber die Formulierung der Behörde „sichert zu“ und bittet um eine entsprechende Mitteilung. Dabei wird der Bieter seine Frage stets so formulieren, dass klargestellt ist, dass er sich nicht sicher ist, wie er die Vergabeunterlagen zu interpretieren hat. Denn lässt er mit seiner Frage bereits erkennen, dass er sich eines Vergabeverstoßes der Behörde bewusst ist, muss er sich diese Kenntnis spätestens ab dem Zeitpunkt seiner Frage zurechnen lassen. Dies bedeutet, dass eine auf diesem Verstoß beruhende Rüge  spätesten nach einer Woche ab Fragestellung als verspätet zurückgewiesen wird.
Der Bieter wird daher in unserem Fall seine Fragen wie folgt stellen: „gehen wir Recht in der Annahme, dass es sich in der Forderung XXXX nicht um eine Garantie im Rechtssinne, sondern um eine Beschaffenheitsvereinbarung handelt, die lediglich zu Mangelansprüchen führt“

XI. Wie reagiert die Vergabestelle richtig?

Die Formulierung in den Verdingungsunterlagen „sichert zu“ ist in der Tat missverständlich. Seit der Schuldrechtsreform im Jahre 2002 ist die „zugesicherte Eigenschaft“ dem Kaufrecht fremd. Wenn aber nach den Grundsätzen der früheren Rechtsprechung von einer zugesicherten Eigenschaft auszugehen ist, ergibt sich jetzt aus § 276 Abs. 1 BGB, dass der Verkäufer für das Fehlen der zugesicherten Eigenschaft im Sinne einer Garantie gemäß § 443 BGB verschuldensunabhängig einzustehen hat. Es wird also neben den gesetzlichen Mängelansprüchen eine vertragliche Garantieübernahme angenommen.

Ob die Parteien dies gewollt haben oder ob sie rechtsunkundig lediglich die Beschaffenheit der Kaufsache vereinbaren wollten, muss durch Auslegung ermittelt werden.

Die Formulierung der Vergabestelle war daher tatsächlich objektiv auslegungsfähig. Eine Antwort ist allen Bietern mitzuteilen. Sie hat die telefonische Anfrage des Bieters zu protokollieren und allen Bietern per Fax die Frage des Bewerbers und ihre Antwort mitzuteilen.

Hinsichtlich der Antwort eröffnet sich bei dieser Gelegenheit nun auch der Vorteil der Bieterfrage für Bewerber, aber auch für Vergabestellen.

Der Bieter hat durch seine Nachfrage in der Hand, die Behörde auf die missverständliche Regelung aufmerksam zu machen. Er kann die Antwort der Behörde aber dahin gehend manipulieren, dass er ausführt, für den Fall, dass die Behörde tatsächlich eine Garantie fordern solle, führe dies zu vergütungserhöhenden Auswirkungen.

Hat die Behörde tatsächlich nur eine Beschaffenheitsvereinbarung gemeint, kann sie den Bewerber und alle anderen Bewerber über diesen Umstand aufklären.

Wollte sie aber eine Garantie vereinbaren und ist sie durch die Bieterfragen darüber informiert, welche Kosten eine derartige  Forderung nach sich ziehen kann, erschließt sich ihr nun die Möglichkeit zur behutsamen nachträglichen Änderung Ihrer Verdingungsunterlagen. Sie wird den Bewerbern entgegen ihrer ursprünglichen Absicht mitteilen, sie habe keine Garantie gewollt.

XII. Fazit

Bieteranfragen vor Angebotsabgabe sind eine gute Möglichkeit für Bewerber, sich Klarheit über die Vorstellungen und Forderungen der Vergabestelle zu verschaffen, wenn sich diese Informationen nicht eindeutig aus den Vergabeunterlagen ergeben. Bieterfragen sind aber auch ein probates Mittel, die Vergabestelle auf scheinbare oder tatsächliche auslegungsfähige Regelungen oder Lücken hinzuweisen und ihr die Gelegenheit zu geben, diese im Sinne des anfragenden Bewerbers klarzustellen. Die Behörde wird diese Gelegenheit ergreifen, wenn sie drohende Rügen vermeiden will oder feststellt, dass bei Festhalten an bestimmten Forderungen zu wenige Bieter ein Angebot abgeben werden, oder dass Angebote mit unerwünscht hohen Preisen eingehen werden. Die Bieterfragen müssen aber so geschickt gestellt werden, dass die Behörde nicht gezwungen wird, die Ausschreibung aufzuheben, weil sie die Leistungsbeschreibung wesentlich ändern muss.

(Auszüge des Textes wurden auch veröffentlicht im IT-Rechts-Lexikon 2010)

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