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Chancen für Händler: Kein Verbraucher-Widerrufsrecht bei individualisierten Waren – Was ist zu beachten?

24.11.2022, 06:36 Uhr | Lesezeit: 15 min
Chancen für Händler: Kein Verbraucher-Widerrufsrecht bei individualisierten Waren – Was ist zu beachten?

Viele Online-Händler verkaufen keine vorproduzierte Massenware von der Stange, sondern stellen ihre Waren gemäß den individuellen Kundenwünschen her. Was aber viele nicht wissen: das Verbraucher-Widerrufsrecht ist in solchen Fällen regelmäßig von Gesetzes wegen ausgeschlossen. Doch sind die Grenzen des Ausschlusses nicht klar, weshalb viele Fälle vor Gericht landen. Wir beleuchten die Rechtslage und stellen unseren Mandanten Musterformulierungen zur Kommunikation mit den Kunden zur Verfügung.

I. Wann ist das Widerrufsrecht bei individualisierten Produkten ausgeschlossen?

Grundsätzlich steht nach § 312g Abs. 1 BGB dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu.

Allerdings enthält § 312g Abs. 2 BGB eine Aufzählung von bestimmten Verträgen, bei denen ein solches Verbraucher-Widerrufsrecht von Gesetzes wegen nicht besteht, ein solches also ausgeschlossen ist, soweit die Vertragsparteien nichts anderes vereinbart haben.

Ein für Händler in der Praxis besonders wichtiger gesetzlicher Ausschluss des Widerrufsrechts ist in § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB geregelt. Demnach besteht das Widerrufsrecht grundsätzlich nicht bei:

"Verträge[n] zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind."

II. Welcher Zweck steht hinter dem Ausschluss des Widerrufsrechts bei individualisierten Waren?

Die gesetzliche Ausnahme vom Verbraucher-Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ist dadurch begründet, dass in den dort geregelten Fällen die Ware aufgrund der Angaben bzw. Bestimmungen des Verbrauchers, nach denen die Ware letztlich gefertigt wird, derart individualisiert ist, dass sie für den Händler bzw. Unternehmer im Falle ihrer Rücknahme wirtschaftlich wertlos ist, weil er sie wegen ihrer besonderen Gestalt bzw. Ausprägung anderweitig nicht mehr oder nur noch sehr schwer und ggf. mit erheblichem Preisnachlass vertreiben kann.

Das Widerrufsrecht ist nach dieser Vorschrift daher nur dann ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn der Händler bzw. Unternehmer durch die Rücknahme von auf Bestellung angefertigter Ware entsprechende erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleiden würde, die spezifisch damit zusammenhängen und dadurch entstehen, dass die Ware erst auf Bestellung des Verbrauchers nach dessen besonderen Wünschen angefertigt wurde. Nicht ausreichend sind umgekehrt hingegen die Nachteile, die mit der Rückgabe bereits hergestellter Ware stets verbunden sind; diese hat der Händler bzw. Unternehmer nach den Vorgaben des Gesetzes somit stets hinzunehmen.

Der Zweck dieser Ausnahme vom Verbraucher-Widerrufsrecht besteht somit darin, zu verhindern, dass es zu einer Rückabwicklung des Vertrags kommt, die für den Händler bzw. Unternehmer mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen verbunden und daher unzumutbar ist. Dieses Risiko muss allerdings über das allgemeine Risiko eines Fernabsatzgeschäfts hinausgehen, das für den Händler bzw. Unternehmer bereits durch die Vorteile dieses Vertriebsmodells ausgeglichen wird.

Für das Vorliegen der Ausnahme vom Widerrufsrecht sind nach der Rechtsprechung daher zwei Voraussetzungen erforderlich (s. hierzu BGH, Urteil vom 19. März 2003, Az. VIII ZR 295/01):

1. Zum einen darf der Händler bzw. Unternehmer die vom Kunden veranlasste Anfertigung der Ware nicht ohne weiteres rückgängig machen können. Hierzu ist erforderlich, dass es einen unvertretbaren wirtschaftlichen Aufwand erfordert, die Bestandteile wieder in einen Zustand zu versetzen, in dem sie sich vor der Zusammensetzung befunden haben. Der BGH hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2003 fünf (5) Prozent des Warenwertes noch nicht als unvertretbaren Aufwand hierfür angesehen.

2. Zum anderen müssen die Angaben des Verbrauchers die Sache so sehr individualisiert haben, dass der Unternehmer sie wegen ihrer besonderen Gestalt nicht mehr oder nur noch mit erheblichen wirtschaftlichen Verlusten weiterveräußern kann. Unerheblich ist, ob der Unternehmer die Spezifikation selbst vorgenommen hat oder die Ware auf Kundenwunsch hin bei einem Dritten hat anfertigen lassen.

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III. Welche Arten von Verträgen sind Verträge zur Lieferung von Waren im Sinne der Ausschlussvorschrift?

Nach verbreiteter Ansicht fallen unter Verträge zur Lieferung von Waren im Sinne der Vorschrift Kaufverträge i.S.d. § 433 BGB und sog. Werklieferungsverträge i.S.d. § 650 BGB, in der Regel aber nicht Werkverträge i.S.d. § 631 BGB oder Dienstverträge i.S.d. § 611 BGB (s. hinsichtlich Werkverträgen etwa das Urteil des BGH vom 30. August 2018, Az. VII ZR 243/17).

Typischerweise ist bei herzustellenden bzw. zu erzeugenden beweglichen Sachen insbesondere die Abgrenzung zwischen einem Werklieferungsvertrag und einem Werkvertrag nicht immer einfach, was in der Vergangenheit – insbesondere auch in den letzten Jahren – zu vielfachen Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten geführt hat.

Liegt der Schwerpunkt der Leistungspflicht des Händlers bzw. Unternehmers nicht auf der Lieferung der Sache, sondern darauf, die Sache herzustellen, kommt eher die Annahme eines Werkvertrags in Betracht. Geht es hingegen eher um die Lieferung – d.h. Verschaffung von Eigentum und Besitz an – einer Ware, die aus bestimmten, möglicherweise schon vorgefertigten Bauteilen nach individueller Vorgabe, Bestimmung oder Auswahl des Verbrauchers zusammengesetzt ist, und deren Endmontage entweder vergleichsweise schnell geht und / oder auch durch den Käufer selbst erfolgen kann, spricht viel für einen Werklieferungsvertrag, und damit für einen Ausschluss des Verbraucher-Widerrufsrechts. Dies gilt z.B. für bestimmte Arten von zu einem gewissen Grade individualisierten (Kurven-)Treppenliften (s. etwa Urteil des BGH vom 20. Oktober 2021, Az. I ZR 96/20).

IV. Wann sind Waren nicht vorgefertigt im Sinne der Ausschlussvorschrift?

Erste Voraussetzung nach der Ausschlussvorschrift ist, dass die betreffenden Waren nicht vorgefertigt sind, also nicht bereits vollständig hergestellt worden sind. Hierzu dürfen die Waren somit erst nach der Bestellung des Verbrauchers tatsächlich fertiggestellt werden.

Dies bedeutet umgekehrt jedoch nicht, dass die einzelnen Bestandteile der Ware noch nicht teilweise vorgefertigt sein dürfen. Allerdings muss eine relevante, endgültige Zusammensetzung der Ware zu ihrer Individualisierung nach den Kundenspezifikationen erst noch erfolgen.

Anders gewendet: Wenn die von einem Händler verkauften T-Shirts bereits in sämtlichen angebotenen Größen, Farben und Ausführungen produziert und im Auftrag des Händlers eingelagert sind, gilt diese Ausnahme vom Widerrufsrecht nicht.

V. Gilt der Ausschluss des Widerrufsrechts auch, wenn mit dem Zuschnitt auf die Kundenvorgaben noch nicht begonnen wurde?

Ja. Zwar war diese Frage lange stark umstritten. Allerdings hat mittlerweile der EuGH verbindlich entschieden, dass für das Eingreifen dieser Ausnahme vom Widerrufsrecht unerheblich ist, ob der Unternehmer die vereinbarte Individualisierung im Zeitpunkt des Widerrufs bereits vorgenommen hat (EuGH, Urteil vom 21. Oktober 2020, Az. C-529/19 Rn. 15 ff.).

Insofern ist allein entscheidend, ob sich die Parteien über eine tatbestandsmäßige Individualisierung der Kaufsache geeinigt haben. Wann der Händler bzw. Unternehmer die Individualisierung bzw. Personalisierung vornimmt, spielt hingegen keine Rolle.

VI. Wann ist für eine Ware eine individuelle Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich?

Diese Ausnahme vom Widerrufsrecht gilt dann, wenn für die betreffende Ware eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich oder die Ware eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten ist.

Während jedenfalls eine Anfertigung der Ware nach Kundenspezifikation voraussetzt, dass die Ware nach Vorgaben des Verbrauchers angefertigt wird, ist der Begriff der eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnittenen Waren weiter und umfasst auch vorgefertigte Waren, die erst nach der Bestellung durch den Verbraucher, etwa durch Namensgravur, individualisiert werden. Zwar sind dies somit an sich zwei unterschiedliche Tatbestände, die jeweils für sich dazu führen können, dass das Widerrufsrecht ausgeschlossen ist, so dass sie an sich streng voneinander zu unterscheiden wären. Allerdings ist die Abgrenzung dieser beiden Tatbestände wegen ihrer Ähnlichkeiten nicht leicht möglich, wegen derselben Rechtsfolgen aber auch nicht unbedingt erforderlich.

Der Ausschluss des Widerrufsrechts betrifft somit solche Waren, die erst nach der Bestellung aufgrund der in der Bestellung oder in deren Nachgang gemachten Angaben individuell angefertigt oder personalisiert bzw. individualisiert werden. Als Beispiel sind in der einschlägigen EU-Richtlinie 2011/83 nach Maß gefertigte Vorhänge genannt (s. Erwägungsgrund 49). Weitere Beispiele sind Maßkleidung, Schmuck, in den die Initialen des Bestellers eingraviert werden, sowie Grabsteine - oder auch individuell hergestellte Rezepturarzneimittel.

VII. Welche weiteren Voraussetzungen gelten für den Ausschluss des Widerrufsrechts bei individualisierten Waren?

Neben den unmittelbar im Gesetz geregelten Voraussetzungen hat die Rechtsprechung über die Jahre hinweg weitere Voraussetzungen für den Ausschluss des Widerrufsrechts herausgearbeitet. Hinter diesen weiteren Voraussetzungen steht die Überlegung, dass das Widerrufsrecht nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn dem Händler bzw. Unternehmer im Falle des Widerrufs durch den Verbraucher größere wirtschaftliche Nachteile drohen würden, weil er die individualisierte Ware dann kaum noch an einen anderen Kunden verkaufen könnte.

Wenn eine bereits individuell zusammengesetzte oder personalisierte Ware – ggf. nach Zerlegung in ihre Einzelteile oder auf sonstige Weise – sinnvoll auf dem Markt angeboten und ohne größere Probleme auch verkauft werden kann, greift die Ausnahme vom Widerruf gemäß der in der Rechtsprechung verbreiteten Ansicht daher nicht. Das soll jedenfalls dann gelten, wenn ein Rückbau bzw. eine De-Individualisierung der Ware mit verhältnismäßig geringem Aufwand und ohne Beeinträchtigung der Substanz oder Funktionsfähigkeit der Ware möglich ist.

VIII. In welchen Fällen hat die Rechtsprechung den Ausschluss des Widerrufsrechts zuletzt bestätigt?

In einem Fall des OLG Schleswig-Holstein (Urteil vom 25. März 2021, Az. 6 U 48/20) hat das Gericht den Ausschluss des Widerrufsrechts beim Verkauf von Wintergartenbausätzen zur Selbstmontage bestätigt, die nach den individuellen Maßen und Besonderheiten des Aufstellortes gefertigt werden und dadurch nicht für andere Gebäude verwendet werden können.

Ausschlaggebend war neben der Individualisierung des Wintergartens auf die bei der Bestellung angegebenen Kundenvorgaben vor allem, dass die einzelnen Bestandteile des Wintergartenbausatzes ihrerseits aus Profil-Bauteilen zusammengesetzt und besonders zugeschnitten werden, was nicht ohne weiteres rückbaubar sei. Weiter könne der hinsichtlich der Kundenvorgaben individualisierte Wintergartenbausatz wegen dessen hohen Grades an Individualisierung nur mit erheblichen wirtschaftlichen Verlusten weiterveräußert werden.

IX. In welchen Fällen hat die Rechtsprechung einen Ausschluss des Widerrufsrechts zuletzt abgelehnt?

In einem jüngeren Fall des LG Cottbus (Entscheidung vom 29. September 2022, Az. 2 O 223/21) ging es um den Kauf eines Faksimiles eines historischen Buches zu einem Preis von EUR 7.920,00, das durch die Anbringung eines Messingschildes personalisiert werden sollte, auf welchem Name und Editionsnummer geschrieben stehen sollten. Das Gericht lehnte den Ausschluss des Widerrufsrechts aus verschiedenen Gründen ab, u.a. auch deshalb, weil sich das Messingschild mit einem geschätzten Wert von EUR 20,00 problemlos ohne Schäden an der Substanz der Ware wieder zurückbauen und durch ein anderes, gleich großes Messingschild mit dem Namen eines anderen Käufers ersetzen ließe. Das Gericht nahm an, dass Rückbaukosten jedenfalls von unter fünf (5) Prozent des Warenwerts noch als verhältnismäßig anzusehen seien. Weitere Informationen zu diesem Fall können Sie in einem früheren Beitrag der IT-Recht Kanzlei nachlesen.

Der BGH hat einen Ausschluss des Widerrufsrechts bei einem Vertrag über die Lieferung und Montage eines Kurventreppenlifts für zu Hause mit einer individuell erstellten, an die Wohnverhältnisse des Kunden angepassten Laufschiene abgelehnt, da das Gericht den Vertrag als Werkvertrag einstufte, der als solcher nicht von einem solchen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB erfasst sei (BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021, Az. I ZR 96/20).

Ein Fall des OLG Koblenz (Urteil vom 20. Januar 2021, Az. 9 U 964/20) betraf den Verkauf einer Luftbildaufnahme eines Wohnhauses durch Vertreter an den Haustüren der betreffenden Häuser. Zwar konnte der Käufer der Luftbildaufnahme bei Kaufvertragsschluss noch über ein paar individualisierende Aspekte hinsichtlich der weiteren Gestaltung der Luftbildaufnahmen entscheiden. Doch hatte der Verkäufer die vertragsgegenständliche Luftbildaufnahme, bei der das Haus des Käufers im Fokus stand, schon vor dem Verkauf bzw. vor der Kontaktaufnahme mit dem Käufer – und somit ohne vorherige Absprache mit diesem – individuell auf den potentiellen Käufer digital individualisiert, so dass das Gericht die spätere, durch den tatsächlichen Käufer bei Kaufvertragsschluss bestimmte zusätzliche Individualisierung für nicht mehr entscheidend hielt.

In einem Fall des OLG Celle (Urteil vom 3. Juni 2020, Az. 7 U 1903/19) ging es um den Kauf eines Gebrauchtwagens, den der Händler zuvor nach bestimmten Fahrzeugparametern aufgrund einer umfassenden Suchanfrage des Käufers gekauft hatte. Hier war das Gericht der Auffassung, dass die Ware nicht nach den Kundenvorgaben individualisiert vorgefertigt wurde, sondern so bereits als quasi „Serienartikel“ existierte und zudem auch kein Fall einer wirtschaftlichen Wertlosigkeit vorliege, was sich daran gezeigt habe, dass der Gebrauchtwagenhändler das Fahrzeug wenige Wochen später habe erfolgreich verkaufen können.

X. Gilt der gesetzliche Ausschluss des Widerrufsrechts automatisch oder müssen Händler hierfür etwas tun?

Händler müssen in den Fällen des gesetzlichen Ausschlusses des Widerrufsrechts nichts tun, damit den Verbrauchern kein Widerrufsrecht zusteht – das Widerrufsrecht ist in diesen Fällen vielmehr von Gesetzes wegen automatisch ausgeschlossen.

Umgekehrt bedeutet dies zudem, dass der Händler bzw. Unternehmer über das nicht bestehende Widerrufsrecht auch nicht belehren muss bzw. darüber nicht belehren darf. Tut er dies doch, verhält er sich ggf. wettbewerbswidrig und kann abgemahnt werden.

Allerdings ist im Vorhinein nicht immer vollkommen klar und eindeutig ersichtlich, ob das Widerrufsrecht nach dem gesetzlichen Ausschlusstatbestand des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB tatsächlich ausgeschlossen ist oder nicht, jedenfalls nicht für den betreffenden Händler bzw. Unternehmer. Ist das Widerrufsrecht doch nicht ausgeschlossen und belehrt der betreffende Händler nicht ordnungsgemäß über das Bestehen des Widerrufsrechts, handelt er aber wettbewerbswidrig und ist abmahngefährdet. Im Zweifel sollten Händler daher fundierten rechtlichen Rat einholen.

Umgekehrt besteht im Falle des gesetzlichen Ausschlusses des Widerrufsrechts die Gefahr, dass betreffenden Verbrauchern ein „Schein-Widerrufsrecht“ zusteht bzw. von Gerichten zugesprochen wird, wenn der Händler bzw. Unternehmer – ggf. aus Versehen – den Verbraucher über ein tatsächlich nicht bestehendes Widerrufsrecht fälschlicherweise belehrt. In einem Fall des LG Cottbus (Urteil vom 29. September 2022, Az. 2 O 223/21, Rz. 29) entschied das Gericht:

"Vorliegend kann sich die Beklagte auf einen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB vor der Lieferung eines entsprechend personalisierten Faksimiles jedoch nach Treu und Glauben aus § 242 BGB nicht berufen, denn sie hat den Kläger in der Bestellurkunde über einen Ausschluss des Widerrufsrechts irreführend belehrt, indem sie dort darauf hingewiesen hat, dass das Widerrufsrecht im Falle der Personalisierung „nach Lieferung“ ausgeschlossen sei. Der durchschnittliche Adressat der Bestellurkunde ohne besondere Rechtskenntnisse konnte diesen Hinweis ohne Weiteres dahingehend verstehen, dass ein Widerrufsrecht vor der Lieferung des entsprechend personalisierten Faksimile noch nicht ausgeschlossen ist. An diesem von ihr unmittelbar durch die Gestaltung der Bestellurkunde vermittelten (rechtlich unzutreffenden) Eindruck muss sich die Beklagte unbeschadet des Umstandes festhalten lassen, dass sie in der Widerrufsbelehrung (rechtlich zutreffend aber abstrakt) darauf hingewiesen hat, dass das Widerrufsrecht im Falle einer Individualisierung der Ware generell ausgeschlossen ist."

XI. Was sollten Händler bei einem möglichen Ausschluss des Widerrufsrechts beachten?

Nicht nur der Umgang von Händlern mit einzelnen Verbraucher-Widerrufen hängt davon, ob das Widerrufsrecht von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist. Auch die vorgelagerte Frage, ob und ggf. wie der Händler Verbraucher in seinem Shop über das Bestehen des Widerrufsrechts belehren muss, ist hiervon abhängig.

Daher ist für Händler wichtig, sämtliche im Shop angebotenen Waren vor dem Verkauf daraufhin zu überprüfen, ob sie dem Verbraucher-Widerrufsrecht unterfallen oder nicht, und die Art und Weise, wie im Shop über das Widerrufsrecht belehrt wird, daraufhin anzupassen. Es sollte in jedem Fall vermieden werden, über das Widerrufsrecht in falscher Weise zu informieren.

XII. Muster für Schreiben an Kunden bei Ausschluss des Widerrufsrechts bei individualisierten Waren

Nicht allen Verbrauchern ist bewusst, dass das Verbraucher-Widerrufsrecht bei nach Kundenvorgaben individualisierten Waren von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist. Daher kommt es – auch unabhängig von der Richtigkeit der Widerrufsbelehrung des Händlers – immer wieder zu unberechtigten Widerrufen von Verbrauchern.

Händler sollten solche Widerrufe nicht akzeptieren, sondern gegenüber den Verbrauchern freundlich, aber bestimmt kommunizieren, dass in ihrem Fall kein Verbraucher-Widerrufsrecht besteht. Daher haben wir für unsere Mandanten ein Muster vorbereitet, das sie so oder so ähnlich zur Kommunikation gegenüber den betreffenden Verbrauchern verwenden können:

Sehr geehrte(r) Frau / Herr [NAME],

Sie haben mit Ihrem Schreiben vom [DATUM] den Widerruf des Vertrags über die Lieferung des Produkts [NAME DES PRODUKTS EINFÜGEN] erklärt.

Was Sie wohl nicht wissen: Der Widerruf dieses Vertrags ist nicht möglich, weil in diesem Fall kein Verbraucher-Widerrufsrecht besteht, sondern dieses von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist.

Nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB besteht das Widerrufsrecht nicht bei Verträgen zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind.

Dies ist hier der Fall, da Sie uns im Rahmen der Bestellung eine individuelle Vorgabe hinsichtlich der Gestaltung der Ware gemacht haben, die wir bei der Fertigung bzw. Fertigstellung der Ware berücksichtigen mussten. Daher können wir Ihre Widerrufserklärung nicht akzeptieren und die Ware auch nicht zurücknehmen.

Wir bedanken uns bei Ihnen für Ihr Verständnis und verbleiben

mit freundlichen Grüßen,

XIII. Englischsprachiges Muster für eine Antwort an Kunden

Dear Mr. / Mrs. [NAME],

In your letter of [DATE] you have declared the withdrawal of the contract for the delivery of the product [INSERT NAME OF PRODUCT].

What you probably do not know: The withdrawal of this contract is not possible, because in this case there is no consumer right of withdrawal, but this is excluded by law.

According to Sec. 312g para. 2 No. 1 of the German Civil Code (Bürgerliches Gesetzbuch; BGB) the right of withdrawal does not exist for contracts for the supply of goods that are not pre-fabricated and the production of which is governed by an individual choice of or decision by the consumer, or that are clearly tailored to personal needs of the consumer.

This is the case here, since you have given us an individual specification regarding the design of the goods in the context of the order, which we had to take into account in the production or completion of the goods. Therefore, we cannot accept your declaration of revocation and also cannot take back the goods.

We thank you for your understanding and remain

with kind regards,

XIV. Fazit

Wünscht ein Verbraucher im Zusammenhang mit außerhalb von Geschäftsräumen oder im Fernabsatz geschlossenen Kauf- oder Werklieferungsverträgen eine Personalisierung bzw. sonstige Individualisierung der vertragsgegenständlichen Ware nach seinen Vorstellungen, und ist die Ware bei Vertragsabschluss noch nicht vollständig gefertigt, steht dem Verbraucher nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB kein Widerrufsrecht zu, da dieses von Gesetzes wegen ausdrücklich ausgeschlossen ist.

Allerdings ist in manchen Fällen im Vorhinein nicht ganz klar und eindeutig, ob ein solcher gesetzlicher Ausschluss des Widerrufsrechts tatsächlich vorliegt, was zu Diskussionen und Streit mit Verbrauchern führen kann. Um hierauf möglichst gut vorbereitet zu sein, auch im Hinblick auf eine – soweit erforderlich – ordnungsgemäße Belehrung über das Widerrufsrecht, sollten Händler sich bereits im Vorfeld des Verkaufs ihrer Waren darüber Gedanken machen und ggf. erkundigen, bei welchen der von ihnen angebotenen Waren das Widerrufsrecht von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist.

Wir unterstützen unsere Mandanten dabei mit Leitfäden, Mustern und sonstigen Inhalten im Rahmen unserer Schutzpakete. Sprechen Sie uns natürlich gerne darauf an.

Tipp: Sie haben Fragen zu dem Beitrag? Diskutieren Sie hierzu gerne mit uns in der Unternehmergruppe der IT-Recht Kanzlei auf Facebook.


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