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Das Wettbewerbsverbot - FAQ zu selektiven Vertriebssystemen Teil 2

11.04.2011, 14:55 Uhr | Lesezeit: 14 min
Das Wettbewerbsverbot - FAQ zu selektiven Vertriebssystemen Teil 2

Im Teil 2 der FAQ der IT-Recht Kanzlei zu selektiven Vertriebssystemen wird auf die Voraussetzungen des Wettbewerbsverbots, die Ausnahmen und die rechtlichen Folgen bei Verstößen eingegangen.

B. Das Wettbewerbsverbot
7. Was sind die Voraussetzungen des Wettbewerbsverbots?
8. Was ist eine Wettbewerbsbeschränkung?
9. Wer sind die Beteiligten?
10. Was sind Abstimmungen bzw. Vereinbarungen?
11. Was bedeutet „spürbare Außenwirkung“?
12. Welche Inhaltsbindungen gibt es?
13. Welche Abschlussbeschränkungen gibt es?
14. Welche Ausnahmen gibt es vom Verbot der Wettbewerbsbeschränkung?
15. Welche besonderen Ausnahmen gelten in Deutschland?
16. Was sind Einzelfreistellungen?
17. Was ist eine Gruppenfreistellung? Welche gibt es?
18. Was ist die Vertikal-GVO und wann gilt sie?
19. Was sind die rechtlichen Folgen bei Vereinbarungen, die gegen das Kartellverbot verstoßen?

B. Das Wettbewerbsverbot

7.    Was sind die Voraussetzungen des Wettbewerbsverbots?

I. Tatbestandsvoraussetzung
1. Beteiligung von mindestens zwei Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen
2. Vereinbarung oder Abstimmungen
3. bezweckt oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung
4. Spürbarkeit
5. Zwischenstaatlichkeitsklausel (entfällt bei § 1 GWB)
6. tatbestandsimmanente Grenzen
7. Regelbeispiele bei Art. 101 AEUV

II. Keine Ausnahmen
1. Besondere Ausnahmeregelungen, nur in Deutschland
2. Einzelfreistellungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV / § 2 Abs. 1 GWB, „Legalausnahme“
3. Gruppenfreistellungen

8.    Was ist eine Wettbewerbsbeschränkung?

1. Wettbewerbsbeschränkung
Eine Wettbewerbsbeschränkung liegt bei einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs vor, also bei einer Beeinträchtigung der wettbewerblichen Handlungsfreiheit als Anbieter oder Nachfrager. Die Beeinträchtigung muss sich auf wettbewerbsrelevante Handlungen beziehen wie z.B. Preise, Abnehmer, Absatzgebiete, Absatzmenge, Werbung, Qualität oder Sortiment. Es reicht aber schon aus, wenn die Entschlussfreiheit nach kaufmännischer Vernunft zu handeln beeinflusst wird. Auch sind die Fälle erfasst, in denen der Betroffene zwar an sich frei ist anders zu handeln, ihn aber dadurch wirtschaftliche Nachteile treffen. Ein Beispiel dafür wäre, wenn ein Händler zwar frei ist, den vom Hersteller aufgestellten Mindestpreis nicht einzuhalten; der Hersteller aber als Konsequenz diesen Händler nicht mehr beliefern würde.

In Art. 101 Abs.1 AEUV werden einige Regelbeispiele in nicht abschließender Weise aufgelistet, die einen Verstoß darstellen:

  • die Festsetzung der Preise und Geschäftsbedingungen
  • die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder Investitionen
  • die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen
  • die Diskriminierung von Handelspartnern
  • die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung zusätzliche Leistungen abzunehmen

 

2. bezweckt oder bewirkt
Die Wettbewerbsbeschränkung kann, muss aber nicht vorliegen. Es reicht aus, wenn der Zweck der Abstimmung dazu geeignet ist, den Wettbewerb zu beschränken.

9.    Wer sind die Beteiligten?

Beteiligung von mindestens zwei Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen:
Von diesem Merkmal werden nicht nur die klassischen Unternehmen erfasst, sondern vielmehr jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit (unabhängig von ihrer Rechtsform und ihrer Finanzierung), die darin besteht, Waren oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten.
Dazu gehören alle natürlichen und juristische Personen sowie Gesellschaften, die ein Gewerbe betreiben, aber auch die Freiberuflicher. Nicht darunter fallen die unselbständigen Tätigkeiten (Arbeitnehmer) sowie die private Bedarfsdeckung.

Beim Handeln von öffentlich-rechtlichen Körperschaften ist zu differenzieren. Keine unternehmerische Tätigkeit liegt vor, soweit die öffentliche Hand Waren oder Dienstleistungen einkauft, um ihre spezifisch hoheitliche, nichtwirtschaftliche Tätigkeit zu ermöglichen. Dagegen liegt eine unternehmerische Tätigkeit vor, wenn der Hoheitsträger den ihm durch das öffentliache Recht zugewiesenen Aufgabenbereich verlässt und eine in den Wettbewerb eingreifende Maßnahme trifft, wobei dem nicht entgegen steht, wenn mit dieser Tätigkeit auch öffentliche Aufgaben erfüllt werden sollen.

Auf das Verhältnis zwischen einem Hersteller bzw. Lieferanten (sog. Geschäftsherrn) und einem Handelsvertreter sind § 1 GWB bzw. Art. 101 AEUV nicht anwendbar. Handelsvertreter ist, wer beim Weiterverkauf der Ware ganz oder zu einem wesentlichen Teil die wirtschaftlichen Risiken des Absatzes und der Vertragsabwicklung trägt.

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10.    Was sind Abstimmungen bzw. Vereinbarungen?

Von diesem Merkmal sind alle Vereinbarungen erfasst, also Verträge oder gemeinsame Beschlüsse und das unabhängig von der rechtlichen Form. Damit fällt auch ein „gentlemen’s agreements“ darunter. Dabei ist es unerheblich, ob die Vereinbarung rechtlich bindend ist oder wegen eines Verstoßes gegen § 1 GWB bzw. Art. 101 AEUV nicht. Entscheidend sind eine tatsächliche Bindungswirkung und ein darauf gerichteter Wille. Damit gehört auch das bewusste Parallelverhalten bzw. die bewusste praktische Zusammenarbeit im Sinne eines abgestimmten Verhaltens dazu. Ebenso zählen Abstimmungen dazu, die zwar rechtlich weniger Qualität haben wie eine Vereinbarung, wenn auf ihnen ein Verhalten beruht, dass eine Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt.
Nicht dazu zählen einseitige Maßnahmen wie z.B. Empfehlungen. Die Nichtzulassung eines Händlers zu einem vertikalen Vertriebssystem wird aber nicht als einseitige Maßnahme ausgelegt, sondern als Umsetzung der Vereinbarung.

Auch sind gleichförmige Verhaltensweisen ausgenommen. Diese liegen - im Gegensatz zum abgestimmten Verhalten - bei einem bewussten oder unbewussten (aber eben nicht abgestimmten) Nachahmen von typischem Verhalten vor.

Vom Verbot werden sowohl vertikale als auch horizontale Vereinbarungen erfasst.

11.    Was bedeutet „spürbare Außenwirkung“?

Die Wettbewerbsbeschränkung muss nach außen hin spürbar sein. Diese Voraussetzung erscheint zwar nicht im Wortlaut des Gesetzestextes. Dennoch ist sie als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu prüfen.
Das heißt, die Wettbewerbsbeschränkung muss zunächst überhaupt nach außen wirken. Vereinbarungen, die sich auf den Markt nicht auswirken, verstoßen nicht gegen § 1 GWB bzw. Art. 101 AEUV.

Weiter muss die Außenwirkung spürbar sein. Das meint, dass Bagatellfälle vom der Kartellrechtswidrigkeit ausgenommen werden. Spürbarkeit liegt vor, wenn die Marktverhältnisse mehr als nur theoretisch und nicht nur in einen unbedeutenden Umfang beeinflusst werden können. Dabei muss die Vereinbarung im Zusammenhang aller ihrer rechtlichen und tatsächlichen Begleitumstände gesehen werden (sog. Bündeltheorie). Danach sind als relevante Punkte zu berücksichtigen:

  • die Anzahl der auf dem relevanten Markt Beteiligten
  • die Marktanteile der Parteien der Vereinbarung und
  • die Schwere der Wettbewerbsbeschränkung.

Orientierungshinweise bietet die sog. Bagatell- oder De-minimis-Bekanntmachung der Europäischen Kommission, die allerdings für nationale Gerichte nicht bindend ist. Danach gilt für horizontale Vereinbarungen, dass die Spürbarkeit nicht erreicht ist, wenn die beteiligten Unternehmen zusammen einen Marktanteil von weniger als 10% haben. Im Vertikalbereich sind es dagegen grundsätzlich 15%. Dort sind aber auch kumulative Wirkungen von Vertragsbündel zu berücksichtigen. In solchen Fällen liegt die Schwelle nur bei 5%. Aber nicht pauschal sind alle vertikalen Vereinbarungen mit einem Marktanteil von mehr als 15% spürbar. Auch solche können keine spürbaren Auswirkungen haben. Die Spürbarkeit muss also erst festgestellt werden.

Diese Schwellen der Bagatell- oder De-minimis-Bekanntmachung gelten jedoch nicht für Vereinbarungen, die eine „Kernbeschränkung“ oder auch „schwarze Klausel“ darstellen. Das sind ganz bestimmte Vereinbarungen, die so schwere Eingriffe in den Markt darstellen, dass sie überhaupt nicht gewollt sind, also auch nicht bei geringen Marktanteilen.

12.    Welche Inhaltsbindungen gibt es?

Preisvorgaben
1. Preisbindung
2. Höchstpreisbindung:
3. Preisempfehlungen
4. Meistbegünstigungsklauseln:

13.    Welche Abschlussbeschränkungen gibt es?

I. Verwendungsbeschränkung
II. Ausschließlichkeitsbindungen
a. Markenzwang
b. Alleinvertrieb
III. Vertriebsbindungen:
1. Qualitative Vertriebsbindungen
2. Quantitative Vertriebsbindungen
3. Sprunglieferungsverbot
4. Fachhandelsbindung
5. Querlieferungsverbot
IV. Koppelungsbindungen

14.    Welche Ausnahmen gibt es vom Verbot der Wettbewerbsbeschränkung?

Diese lassen sich in drei Gruppen gliedern: die besonderen Ausnahmeregelungen, die nur in Deutschland gelten (siehe unten bei A.), die Einzelfreistellungen nach § 2 Abs. 1 GWB / Art. 101 Abs. 3 AEUV (siehe unten bei B.) sowie die Gruppenfreistellungen nach den EU-Verordnungen über die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 3 AEUV, die gemäß § 2 Abs. 2 GWB auch für die Anwendung des § 2 Abs. 1 GWB gelten. Freistellung bedeutet, dass für bestimmte Fälle das Verbot des § 1 GWB / Art. 101 AEUV nicht gilt, diese Fälle von der Geltung des Verbots also freigestellt sind.

15.    Welche besonderen Ausnahmen gelten in Deutschland?

Nur in Deutschland gelten ein paar Ausnahmeregelungen. Diese sind nur auf rein nationale Sachverhalte (sprich ohne zwischenstaatlichen Bezug) anwendbar, da andernfalls das Europarecht Anwendungsvorrang genießt.

I. Buchpreisbindungen
Buchpreisbindungen nach dem Buchpreisgesetz sind grundsätzlich zulässig.
II. Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften
Nach § 30 GWB ist § 1 GWB nicht anwendbar auf vertikale Preisbindungen zwischen einem Hersteller von Zeitungen oder Zeitschriften und einem Abnehmer/Händler

III. Mittelstandskartelle
Mittelstandskartelle zwischen Wettbewerbern (horizontale Vereinbarungen) sind unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. § 3 GWB bestimmt, dass bestimmte Mittelstandskartelle als gesetzlicher Fall der Freistellung nach § 2 GWB einzustufen sind:

§ 3 GWB
1) Vereinbarungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, die die Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge durch zwischenbetriebliche Zusammenarbeit zum Gegenstand haben, erfüllen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1, wenn
1.
dadurch der Wettbewerb auf dem Markt nicht wesentlich beeinträchtigt wird und
2.
die Vereinbarung oder der Beschluss dazu dient, die Wettbewerbsfähigkeit kleiner oder mittlerer Unternehmen zu verbessern.

Der Grund für diese Ausnahme ist, dass Mittelstandskartelle, also Vereinbarungen zwischen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), oft mehr positive als negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben. Damit die Ausnahme gilt müssen folgende Voraussetzungen vorliegen:
- die Parteien müssen Wettbewerber (horizontale Vereinbarungen) sein
- sie dürfen zusammen nicht mehr als 10 -15 % Marktanteil besitzen,
- es darf keine Kernbeschränkung vorliegen,
- die Vereinbarung muss durch zwischenbetriebliche Zusammenarbeit auf eine Rationalisierung zielen und
- sie muss dazu dienen, die Wettbewerbsfähigkeit der KMU zu verbessern.

16.    Was sind Einzelfreistellungen?

Bei den Einzelfreistellungen wird eine Beschränkung im Einzelfall betrachtet und vom Verbot freigestellt. Die Normen dazu lauten wie folgt:

§ 2 GBW:
(1) Vom Verbot des § 1 freigestellt sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen

  • Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder
  • Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

Art. 101 Abs. 3 AEUV:

Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werden auf
-     Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen,
-     Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen,
-     aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen,
die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen
a)     Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder
b)     Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

I. Voraussetzungen
1. Effizienzvorteile
Die Vereinbarung muss zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen. Davon werden alle ökonomischen Vorteile erfasst. Allerdings werden nur die ökonomischen Vorteile, die an die Verbraucher weitergeben werden. Damit werden die Vorteile, die nur für die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen vorteilhaft sind ausgenommen.

a. Effizienzvorteile im Horizontalbereich können z.B. Entwicklungs- oder Spezialisierungsvereinbarungen sein, die durch Arbeitsteilung zur Verbesserung des Kostenniveaus führen.

b. Effizienzvorteile im Vertikalbereich ergeben sich z.B. im Vertrieb dadurch, dass Hersteller oder Großhändler den Verkauf einer Ware auf bestimmte Händler beschränkt und diese Händler durch die Beschränkung des Weiterverkaufs auf bestimmte Kunden oder Gebiete den Weiterverkauf besonders fördern. Anerkannt wurden Effizienzvorteile grundsätzlich bei Alleinbelieferungs- und Alleinbezugsverträgen, quantitative und qualitative Selektion, Wettbewerbsverboten und Ausschließlichkeiten.

2. Angemessene Beteiligung der Verbraucher
Verbraucher sind hierbei alle, die auf der Marktgegenseite stehen, also Privatpersonen aber auch Unternehmen und die Öffentliche Hand. Unerheblich ist es, ob sie die konkrete Ware oder Dienstleistung beziehen.
Angemessen meint nicht, dass die Vorteile insgesamt weitergegeben werden müssen, sondern dass die sich aus der Wettbewerbsbeschränkung ergebenden Nachteile durch die Effizienzvorteile mindestens ausgeglichen werden.

3. Unerlässlichkeit der Wettbewerbsbeschränkung
Unerlässlich bedeutet, dass die Effizienzvorteile nicht ohne die Wettbewerbsbeschränkung erreichbar sein dürfen. Im Regelfall sind die Beschränkungen nicht unerlässlich. Eine Kernbeschränkung ist nie unerlässlich.

4. Keine Ausschaltung des Wettbewerbs und kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung.
Es muss auf dem räumlich und sachlich relevanten Markt weiterhin einen funktionieren Wettbewerb geben. Das kann vorliegen, wenn von der Beschränkung nur geringe Marktanteile betroffen sind. Bei höheren Marktanteilen ist die Struktur des Marktes in der Entscheidung mit zu berücksichtigen.
Aber nicht nur bei einer vollständigen Ausschaltung des Wettbewerbes ist eine Freistellung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 GWB ausgeschlossen, sondern auch bei einem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stelllung. Jedoch führt nicht jede Vereinbarung eines marktbeherrschenden Unternehmens zu einer Ausschaltung des Wettbewerbes. Erst der Missbrauch dieser Position kann dies herbeiführen. Es ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, welche Auswirkung eine Vereinbarung auf den Wettbewerb hat.
Über den Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 2 GWB hinaus gilt er auch für Dienstleistungen.

II. Verfahren
Früher wurde durch eine Behörde entschieden, dass die Voraussetzungen vorlagen. Nach neuem Recht gilt das System der Selbstveranlagung, wonach die Unternehmen, die sich auf diese Legalausnahme berufen wollen, selbst prüfen müssen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind. Auch liegt bei ihnen die Beweislast.

17.    Was ist eine Gruppenfreistellung? Welche gibt es?

Die Europäische Kommission und der Europäische Rat haben mehrere Verordnungen erlassen, die bestimmte Gruppen von Vereinbarungen freistellen. Grund hierfür war die gewonnene Erfahrung, dass sich diese Vereinbarungen trotz der Wettbewerbsbeschränkung positiv auf den Markt auswirken. Fällt eine Vereinbarung in eine dieser Gruppen, muss sie nicht im Einzelfall betrachtet und an den Maßstäben des § 2 Abs. 1 GWB / Art. 101 Abs. 3 AEUV gemessen werden.
Die Verordnungen regeln die Anwendung des Art. 101 AEUV. Sie bestimmen, dass die in den jeweiligen Verordnungen aufgelisteten Vereinbarungen vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV freigestellt sind. Aufgrund der dynamischen Verweisung in § 2 Abs. 2 GWB gelten die EU-Gruppenfreistellungsverordnungen auch im Rahmen des § 2 Abs. 1 GWB, und auch bei rein innerstaatlichen Sachverhalten. Dabei sind sie genauso auszulegen wie im EU-Recht, sodass eine Vollharmonisierung des Kartellrechts gegeben ist. Die Verweisung ist so zu verstehen, dass ein Fall einer Gruppenfreistellungsverordnung eine unwiderlegbare Vermutung für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 begründet.

Momentan gibt es folgende Gruppenfreistellungsverordnungen:
Im Vertikalbereich:
- über Vertikalvereinbarungen (VO 33/2010), auch Schirm-Verordnung genannt
- über Vertikalvereinbarungen im Kfz-Neuwagenvertrieb (VO 1400/202)
- über Technologietransfer-Vereinbarungen (VO 772/2004)
Im Horizontalbereich:
- über Spezialisierungsvereinbarungen (VO 2658/2000)
- über Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen (VO 2659/2000)
- über Vereinbarungen von Versicherungsunternehmen (VO267/2010)
- über Vereinbarungen zwischen Schifffahrtsunternehmen (VO 906/2009)

18.    Was ist die Vertikal-GVO und wann gilt sie?

Die Gruppenfreistellungsverordnung über Vertikalvereinbarungen (im Folgenden Vertikal-GVO) erfasst grundsätzlich alle Vertikalvereinbarungen und wird daher auch Schirm-Gruppenverordnung genannt. Sie gilt lediglich nicht für Vertikalvereinbarungen im Kfz-Neuwagenvertrieb (und das nur bis zum 31.05.2013) sowie für Lizenz- und Know-How-Vereinbarungen über geistiges Eigentum nach der Technologietransfer-GVO (VO 772/2004).

Im Artikel 2 Abs. 1 der GVO-VV ist die Freistellung für vertikale Vereinbarung normiert:

Nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV und nach Maßgabe dieser Verordnung gilt Artikel 101 Absatz 1 AEUV nicht für vertikale Vereinbarungen.
Diese Freistellung gilt, soweit solche Vereinbarungen vertikale Beschränkungen enthalten.

Damit die Vereinbarung letztlich freigestellt ist, muss die Vertikal-GVO anwendbar sein, die Marktanteilsgrenze darf nicht überschritten sein und die Vereinbarung darf weder eine Kernbeschränkung, noch eine graue Klausel enthalten. Liegen diese Voraussetzungen vor, gilt folgender Grundsatz: die GVO begründet die Vermutung, dass die konkrete Vereinbarung rechtmäßig ist und stellt sie damit vom Verbot frei. Die Vermutung kann durch die Kommission widerlegt werden, mit der Folge, dass die Freistellung wieder entzogen wird. Für das Widerlegen der Vermutung trägt jedoch die Kommission die Beweislast.

A. Anwendbarkeit der Vertikal-GVO
Die Vertikal-GVO gilt nicht für De-minimis-Vereinbarungen Vereinbarungen zwischen KMU, Handelsvertreterverträge und Zuliefervereinbarungen bei denen der Auftragnehmer an den Zulieferer technologisches Wissen oder Ausrüstungen liefert, und der Zulieferer auf dieser Grundlage bestimmte Produkte für den Auftragnehmer herstellt. Ebenso gilt die Vertikal-GVO nicht für vertikale Vereinbarungen, deren Gegenstand in den Geltungsbereich einer anderen Gruppenfreistellungsverordnung fällt, außer dies ist in einer solchen GVO vorgesehen.

B. Kein Überschreiten der Marktanteilsgrenze nach Art. 3 der Vertikal-GVO
Nach Art. 3 der Vertikal-GVO gilt die Freistellung nicht, wenn der Anteil des Anbieters an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen anbietet, und der Anteil des Abnehmers an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen bezieht, jeweils 30 % übersteigt.
C. Geltung der Freistellung für Vereinigungen von Einzelhändlern
Die Freistellung gilt nach Art. 2 Absatz 2 GVO auch für vertikale Vereinbarungen zwischen Vereinigungen von Wareneinzelhändlern und ihren Mitgliedern oder zwischen derartigen Vereinigungen und Anbietern, wenn keines der Mitglieder zusammen mit seinen verbundenen Unternehmen einen jährlichen Gesamtumsatz von mehr als 50 Mio. EUR erwirtschaftet.

D. Keine Kernbeschränkung
E. Keine graue Klauseln

 

19.    Was sind die rechtlichen Folgen bei Vereinbarungen, die gegen das Kartellverbot verstoßen?

I. Zivilrechtliche Folgen:
Verstoßen die Vereinbarungen gegen § 1 GBW / Art. 101 Abs.1 AEUV und sind sie nicht nach § 2 GBW / Art. 101 Abs. 3 AEUV freigestellt sind, so sind sie gemäß § 1 GWB i.V.m. § 134 BGB nichtig. § 1 GWB / Art. 101 Abs.1 AEUV verbietet den Vertrag abzuschließen und ihn zu durchzuführen.

Beim Vorliegen von Kernbeschränkungen ist die Vereinbarung insgesamt nichtig. Liegen „nur“ graue Klauseln vor, sind nur diese nichtig und der Vertrag bleibt im Übrigen wirksam. In den sonstigen Fällen gilt § 139 BGB, wonach widerlegbar die Gesamtnichtigkeit vermutet wird.

In den Fällen einer unwirksamen zeitlichen Beschränkung gilt insoweit die geltungserhaltende Reduktion. Das bedeutet, dass die Vereinbarung nur für die höchstens zulässige Zeitdauer gilt. Beispielsweise bei einer Bezugsbindung, die nur wegen ihrer langen Dauer unwirksam ist, kann die maximal zulässige Dauer reduziert werden.

Die „Folgeverträge“, also die Verträge in Ausführung des unwirksamen Kartellvertrages wie z.B. der einzelne Kaufvertrag, sind grundsätzlich wirksam.

II. verwaltungsrechtliche Folgen:
Der Kartellbehörde stehen zunächst Ermittlungsbefugnisse zu. Diese sind unter anderem das Auskunftsverlagen gegenüber dem Unternehmen (§ 59 Abs. 1 und 2 GWB) und das Recht zur Durchsuchung der Unternehmensräume (§ 59 Abs. 2 und 3 GWB). Stellt sie einen Verstoß fest, so kann die Kartellbehörde gemäß § 32 GWB die Unternehmen zur Abstellung der Zuwiderhandlung verpflichten sowie nach § 34 GWB den wirtschaftlichen Vorteil abschöpfen.
III. Bußgeldrechtliche Folgen
Der Verstoß stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße bis zu einer Million geahndet werden kann.

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