
Die Luft für Abmahnverbände ist seit Dezember 2021 erheblich dünner geworden. Wer es als Verband seitdem nicht in die sogenannte Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände geschafft hat, darf nicht mehr abmahnen. Doch was gilt eigentlich für alte, vor dem Verlust der Abmahnbefugnis von einem solchen Verband erwirkte Unterlassungstitel?
Inhaltsverzeichnis
Worum geht es?
Lästige Abmahnungen drohen Online-Händlern nicht nur aus Richtung eines Mitbewerbers, der sich an einem Wettbewerbsverstoß stört.
Über die Jahre hat sich eine Vielzahl von „Abmahnverbänden“ am Markt etabliert, der eine seriös, der andere mit mehr oder weniger zweifelhaften Ruf. Auch diese Verbände konnte über die Jahre mehr oder weniger ungeprüft wettbewerbsrechtliche Abmahnungen aussprechen. Und das nicht zu knapp.
Hier war sicherlich ein sehr großes Missbrauchspotential vorhanden, etwa wenn es dem Verband im Kern gar nicht mehr um die Sache, der Verhinderung von Wettbewerbsverstößen ging, sondern vielmehr Unterlassungserklärungen zur massenhaften Erzielung von Einnahmen aus Vertragsstrafen generiert werden sollten. Eine erkleckliche Einnahmequelle für manch knappe Verbandskasse.
Seit dem Dezember 2021 müssen Abmahnverbände jedoch deutlich strengere Vorgaben erfüllen, um überhaupt noch weitere Abmahnungen aussprechen zu dürfen.
Nur wer als Verband in die sogenannte Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände eingetragen wurde (diese kann hier abgerufen werden), ist seitdem noch zur Aussprache von Abmahnungen befugt.
In diese Liste aufgenommen werden nur solche Verbände, welche die Einhaltung gewisser Kriterien erfüllen, die für ein lauteres Abmahnwesen sorgen sollen. Schwarze Schafe unter den Verbänden sollen so ausgeschaltet werden.
Einige altbekannte Verbände sind bislang nicht in der o.g. Liste eingetragen worden. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren…
So ist etwa der über Jahre als Massenabmahner bekannt gewordene „IDO Interessenverband für das Rechts- und Finanzconsulting deutscher Online-Unternehmen e.V.“ aus Leverkusen Stand heute noch nicht in der o.g. Liste vertreten.
Wir berichteten dazu bereits hier.
Doch was ist eigentlich mit „Altlasten“ in Form von gerichtlichen Titeln, die Abmahnverbände noch vor Entfall ihrer Abmahnbefugnis erwirkt hatten? Denn auch nicht in die o.g. Liste eingetragene Verbände versuchen noch, damit die seinerzeit Abgemahnten unter Druck zu setzen, wie eine aktuelle Entscheidung des OLG Hamm offenbart.
OLG Hamm: Keine Zwangsvollstreckung aus Titel nach Verlust der Aktivlegitimation
Mit dieser spannenden Fragestellung musste sich nun das OLG Hamm (Beschluss vom 15.05.2023, Az.: 4 W 32/22) beschäftigen.
Viele Abgemahnte haben sich in der Vergangenheit entschieden, auf eine Verbandsabmahnung hin keine Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben, sondern sich vielmehr vom Gericht zu einer Unterlassung verurteilen zu lassen.
Diese Entscheidung wird deswegen häufig getroffen, weil dem Verband so die Motivation genommen werden kann, den Abgemahnten zukünftig zu überwachen.
Im Falle der gerichtlichen Verurteilung ergeht dann in aller Regel auf Betreiben des Abmahnverbands ein gerichtlicher Titel, entweder in Form eines Beschlusses im einstweiligen Rechtsschutz (einstweilige Beschlussverfügung) oder ganz regulär als Urteil.
Mit diesem gerichtlichen Titel wird dem Abgemahnten dann vom Gericht verboten, das abgemahnte Verhalten in Zukunft zu wiederholen.
Als Sanktionsmaßnahme erfolgt eine Ordnungsmittelandrohung. In erster Linie bedeutet dies, dass im Falle einer Zuwiderhandlung gegen das gerichtliche Verbot dann ein Ordnungsgeld von 5 bis 250.000 Euro durch das Gericht festgesetzt.
Nicht aber das Gericht oder der Staat überwacht dann die Einhaltung des gerichtlichen Verbotes. Vielmehr muss der Abmahnverband als Unterlassungsgläubiger bei einem Folgeverstoß bekannt werden und beim Gericht, bei welchem das Erkenntnisverfahren lief die Zwangsvollstreckung aus dem zu seinen Gunsten ergangenen gerichtlichen Titel betreiben. Dies wird auch „einen Bestrafungsantrag stellen“ genannt.
Doch wie ist nun die rechtliche Lage, wenn ein früher abmahnbefugter Verband etwa im Jahre 2018 einen gerichtlichen Titel gegen den abgemahnten Händler erwirkt hat, der Verband durch die Neuerung im Dezember 2021 seine Abmahnbefugnis verlor und danach aus diesem Titel wegen einer Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld gegen den Abgemahnten festsetzen lassen möchte?
Das OLG Hamm erteilte diesem Ansinnen eines Abmahnverbandes eine deutliche Absage.
Zunächst lehnte bereits das LG Essen die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen den Abgemahnten trotz klaren Verstoßes gegen den gerichtlichen Titel ab.
Gegen diese Entscheidung legte der Verband sofortige Beschwerde zum OLG Hamm ein – erfolglos:
Die – nach § 793 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige – sofortige Beschwerde des Gläubigers ist unbegründet. Das Landgericht hat den Ordnungsmittelantrag des Gläubigers zu Recht zurückgewiesen.
Der Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist unzulässig. Dem Gläubiger fehlt die erforderliche Antragsbefugnis.
(...)
Die Antragsbefugnis für einen Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO fehlt dem Gläubiger hier spätestens seit dem Inkrafttreten der Neufassung des § 8 Abs. 3 UWG aufgrund des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26.11.2020 am 01.12.2021, weil der Gläubiger bis zum heutigen Tage weder in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG noch in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen worden ist. Gerade die Neufassung des § 8 Abs. 3 UWG durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs belegt die Richtigkeit der Auffassung, dass die Prozessführungsbefugnis (Antragsbefugnis) von Wirtschaftsverbänden und qualifizierten Einrichtungen auch noch im Ordnungsmittelverfahren fortbestehen muss: Die gegenteilige, im vorliegenden Verfahren vom Gläubiger vertretene Auffassung würde dazu führen, dass bei einer vom Gesetzgeber angeordneten Einschränkung der Prozessführungsbefugnis von Verbänden und Einrichtungen, wie sie das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vorgenommen hat, von dieser Gesetzesänderung betroffene, nicht mehr abmahn-, anspruchs- und klageberechtigte Verbände und Einrichtungen noch ein kaum sinnvolles „Rest- und Schattendasein“ als „Verwalter“ alter Vollstreckungstitel führen könnten. Dies entspricht fraglos nicht der Intention des Gesetzgebers und schon gar nicht dem Gesetzeszweck des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26.11.2020. Auch der Bundesgerichtshof hat bereits im Jahre 1996 in der Entscheidung „Altunterwerfung I“ (BGH, Urteil vom 26.09.1996 – I ZR 265/95 – [Altunterwerfung I], juris, Rdnr. 31 ff.) – im Hinblick auf den materiell-rechtlichen Gehalt der Bestimmungen über die Befugnis von Verbänden zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen – ausgeführt, dass es der Gesetzeszweck eines vom Gesetzgeber angeordneten Wegfalls der Sachbefugnis von Verbänden erfordert, dass diese Änderung der materiellen Rechtslage vom Titelschuldner im Wege einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO geltend gemacht werden kann. Da die Bestimmungen über die Befugnis von Verbänden zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen eine Doppelnatur als sowohl materiell-rechtliche als auch prozessrechtliche Vorschriften haben, ist der Titelschuldner nicht auf die Möglichkeit der Erhebung einer Klage nach § 767 ZPO beschränkt, sondern kann – wie hier die Schuldnerin – im konkreten Ordnungsmittelverfahren die fortgefallene Antragsbefugnis des Gläubigers geltend machen.
Vor dem OLG Hamm ist der Abmahnverband also mit seinem Ansinnen gescheitert, den seinerzeit von ihm abgemahnten Händler durch Festsetzung eines Ordnungsgeldes „bestrafen“ zu lassen.
Es fehlte ihm – da nicht in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände aufgenommen – schlicht schon die Antragsbefugnis.
Das OLG Hamm hat hier die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Aller Voraussicht nach wird sich also noch der BGH mit der Sache beschäftigen müssen.
Fazit
Eine ziemlich deutliche Klatsche für den Abmahnverband!
Wenngleich die Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist: Abmahnverbände, die es nicht in die neue Liste geschafft haben, haben es zunehmend schwer, ihre vermeintlichen Rechte durchzusetzen. Gut so, denn auf diese Weise werden dubiose Abmahnvereine konsequent ausgeräuchert.
Die Entscheidung des OLG Hamm zeigt zudem einmal mehr, wie wichtig es ist, auf eine erhaltene Abmahnung nicht vorschnell durch Abgabe einer Unterlassungserklärung zu reagieren und sich professionelle, anwaltliche Hilfe zu holen, um die taktisch beste Lösung des Problems zu finden.
Gerade bei Abmahnungen durch Verbände ist der gerichtliche Titel häufig langfristig betrachtet die wesentlich bessere Alternative zur strafbewehrten Unterlassungserklärung.
Insbesondere dubiose Abmahnverbände haben „keine Lust“, gerichtliche Titel zu überwachen und bei möglichen Verstößen Ordnungsmittel zu beantragen.
Warum? Wohl schlicht deswegen, weil ein dann zu verhängendes Ordnungsgeld 1:1 an die Staatskasse geht. Anders als bei einer Vertragsstrafe wegen Verstoßes gegen eine Unterlassungsverpflichtungserklärung kann der Verband sich also dann nicht die eigenen Taschen vollmachen.
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Spannend ist in diesem Zusammenhang auch, ob nicht etwa auch eine einstweilige Verfügung bei Entfall der Abmahnbefugnis selbst aufgehoben werden lassen kann. In diesem Zusammenhang stellt sich weiterhin die Frage, ob nicht auch in der Vergangenheit abgegebene Unterlassungsverpflichtungserklärungen zu zahnlosen Tigern werden, verliert der Verband auf Gläubigerseite seine Aktivlegitimation.
Hier wird es insbesondere wegen eines als besonders aggressiv bekannt gewordenen Abmahnverbandes vermutlich zeitnah reichlich Rechtsprechung geben.
Wir halten Sie auf dem Laufenden!
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