Verletzung von Vervielfältigungsrecht bei Betrieb von Online-Videorekordern
Urteil vom OLG Dresden
Entscheidungsdatum: 05.12.2006
Aktenzeichen: 14 U 1735/06
Leitsätze
1.Es liegt eine Verletzung des Vervielfältigungsrechts von Sendeunternehmen nach §§ 16, 87 Abs.1 Nr.2 UrhG beim Betrieb von sog. Online-Videorekordern vor. Das Privileg des § 53 Abs.1 UrhG greift bei dieser Art von Vervielfältigung nicht.
2.Richtet sich das Angebot des Online-Videorekorders gezielt an deutsche Internetuser, so ist deutsches Wettbewerbs- und Urheberrecht anzuwenden, auch wenn sich der entsprechende Server im Ausland befindet.
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 04.08.2006 (Az.: 5 O 1058/06) wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Streitwert: 50.000,00 EUR
Tatbestand
Anstelle des Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil verwiesen. Ergänzend wird auf den Berufungsantrag und die Berufungsbegründung des Beklagten im Schriftsatz vom 31.10.2006 (Bl. 199-204 d. A.) sowie den Antrag der Klägerin auf Zurückweisung der Berufung im Schriftsatz vom 21.11.2006 (Bl. 211 d. A.) Bezug genommen.
Gründe
Anstelle der Entscheidungsgründe wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO auf die zutreffende Begründung des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
1. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das deutsche Urheberrecht und auch das deutsche Wettbewerbsrecht anwendbar sind. Dies gilt selbst dann, wenn, wie von dem Beklagten behauptet, die betroffenen Server in den Niederlanden stehen. Nach der im Urheberrecht herrschenden Meinung ist der für die Anwendung des deutschen Urheberrechts maßgebliche Erfolgsort jeder Ort, an dem eine Abrufmöglichkeit besteht (siehe Dreier/Schulze/Dreier , UrhG, 2. Aufl. 2006, Vor §§ 120 ff. Rn. 41; Schricker/Katzenberger , UrhG, 3. Aufl. 2006, Vor §§ 120 ff. Rn. 145). Selbst wenn man ebenso, wie dies zum Teil für das Wettbewerbsrecht befürwortet wird (siehe Hefermehl/Köhler/Bornkamm , UWG, Einl. 5.8; siehe auch BGH GRUR 2005, 431, 432 – HOTEL MARITIM ), im Sinne einer einschränkenden autonomen Anknüpfung darauf abstellt, ob das Internetangebot den relevanten Markt zu beeinflussen vermag, besteht an der Anwendbarkeit deutschen Rechts kein Zweifel. Der „virtuelle Videorekorder“ ist nämlich zielgerichtet zur Nutzung durch deutsche Internetbenutzer bestimmt.
2. Entscheidend für die Beurteilung des Rechtsstreits ist, dass die Privilegierung des Privatgebrauchs nach § 53 Abs. 1 UrhG nicht eingreift. Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG liegen nicht vor, da der Hersteller der Aufzeichnung der Beklagte und nicht der Endnutzer ist. Maßgebend für diese Einschätzung ist nicht die Frage, wer bei formal begrifflicher, technischer Betrachtung die Herrschaft über den Herstellungsvorgang ausübt. Es kommt nicht auf den eher zufälligen Umstand an, wer „auf den Knopf drückt“, um den Herstellungsvorgang einzuleiten. Angesichts der immer schneller fortschreitenden technischen Entwicklung, die der Gesetzgeber beim Erlass von Schrankenbestimmungen kaum voraussehen konnte, gelangen begriffliche Definitionen nämlich schnell an ihre Grenzen. Die Auslegung des § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG, insbesondere hinsichtlich der Frage, wer als Hersteller der Vervielfältigung anzusehen ist, kann deshalb nicht unter bloßem Rückgriff auf den technischen Vorgang erfolgen. Sie darf sich nicht auf eine oberflächliche, rein deskriptive Betrachtung beschränken, sondern hat eine normative Bewertung vorzunehmen, die insbesondere am Schutz der gesetzlichen Regelung auszurichten ist (so auch LG Braunschweig ZUM-RD 2006, 396, 298 – Online-Video-Rekorder ). Ausschlaggebend sind dabei vor allem folgende Kriterien:
a) § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG ist im Lichte der historischen Verhältnisse, wie sie zum Zeitpunkt der Einführung der Privilegierung vorlagen, restriktiv auszulegen, um der Gefahr einer teilweisen Aushöhlung des Vervielfältigungsrechts zu begegnen. Eine extensive Interpretation im Sinne einer dynamischen Anpassung der Privilegierung an neue technische Verhältnisse ist mit diesem Grundsatz nicht vereinbar.
b) Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Regelung des § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG von der Vorstellung des Gesetzgebers geprägt ist, dass derjenige, der die Privilegierung in Anspruch nimmt, die Vervielfältigung zum Zwecke des privaten Gebrauchs selbständig ohne Einschaltung eines Dritten herstellt, wie dies bei der Anfertigung von Fotokopien oder aber der Aufzeichnung von Fernsehsendungen durch einen häuslichen Videorekorder der Fall ist. Bestätigt wird diese Einschätzung auch dadurch, dass nach der Rechtsprechung des BGH selbst das privilegierte Herstellenlassen durch einen Dritten nur in Fällen vorliegen kann, in denen der Dritte lediglich „notwendiges Werkzeug“ des eigentlich privilegierten Privatnutzers ist (BGH GRUR 1997, 459, 462 – CB-Infobank I, ebenso unter Hinweis auf die Entscheidung LG Braunschweig ZUM-RD 2006, 396, 399 - Online-Video-Rekorder ). Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass nach § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG ein Dritter noch nicht einmal als Werkzeug eingesetzt werden darf, um in den Genuss der Privilegierung des Privatgebrauchs zu gelangen. In Anbetracht dessen erweist sich das Argument, dass das Geschäftsmodell des Beklagten lediglich als die Bereitstellung eines ausgelagerten Videorekorders anzusehen ist, der den häuslichen Videorekorder ersetzt, als nicht durchschlagend. Er bietet vielmehr eine Leistung an, die sich als Gesamtpaket darstellt, das sich nicht auf die von ihm behauptete bloße Zurverfügungstellung eines Speicherplatzes für die Aufzeichnung von Sendungen reduzieren lässt.
c) Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Beklagte darüber hinaus dem Endnutzer die Vervielfältigung durch den Empfang der Sendung beschafft (so auch LG Braunschweig ZUM-RD 2006, 396, 400 – Online-Video-Rekorder). Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass es das System des Beklagten ermöglicht, die Sendungen der Klägerin weltweit und völlig unabhängig davon zu empfangen, ob in der fraglichen Region die Sendungen ausgestrahlt oder über Kabel empfangen werden können. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den Empfangs- und Aufzeichnungsmöglichkeiten, die dem privaten Endnutzer selbst zur Verfügung stehen.
d) Es bleibt deshalb festzuhalten, dass sich der Beklagte mit seinem Geschäftsmodell eine urheberrechtlich relevante Nutzung in einem Ausmaß und einer Intensität erschließt, die sich mit den eine Privilegierung rechtfertigenden Erwägungen nicht mehr vereinbaren lässt (LG Braunschweig ZUM-RD 2006, 396, 400 – Online-Video-Rekorder , unter Hinweis auf BGH GRUR 1997, 495, 463 – CB-Infobank I ).
2. Auch die Schrankenregelung des § 53 Abs. 1 S. 2 UrhG greift nicht ein. Die Vervielfältigungen erfolgen jedenfalls nicht unentgeltlich, sondern die Tätigkeit des Beklagten ist auf Gewinnerzielung ausgerichtet und beschränkt sich nicht bloß auf die Erstattung der Unkosten. Wie in dem Urteil des Landgerichts zutreffend festgestellt wird, erfolgt die Finanzierung des angebotenen Dienstes über Werbeeinblendungen, so dass dieser nicht unentgeltlich ist, sondern durch ein Entgelt finanziert wird, welches nur nicht unmittelbar von den Internet-Nutzern erhoben wird, sondern von einem Werbepartner kommt, der sich wiederum mit seiner Werbung an die Internet-Nutzer richtet.
3. Im Übrigen wird sowohl hinsichtlich der urheberrechtlichen als auch der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen.
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