LG Bonn: Einstweilige Verfügungen sind bei Anhaltspunkten für ein rechtsmissbräuchliches Abmahnverhalten nachträglich aufzuheben
Das LG Bonn hat mit Urteil vom 03.01.2008, Az. 12 O 157/07, entschieden, dass eine bereits erlassene einstweilige Verfügung aufzuheben und der zugrunde liegende Antrag zurückzuweisen ist, wenn nachträgliche Erkenntnisse seitens des Gerichts auch bei nur summarischer Prüfung für ein rechtsmissbräuchliches Abmahnverhalten sprechen.
Im vorliegenden Fall hatte die Verfügungsklägerin den Verfügungsbeklagten wegen Verwendung angeblich unzulässiger Klauseln im Rahmen seines Internetauftritts zunächst erfolglos abgemahnt und später eine einstweilige Verfügung des Kammervorsitzenden erwirkt, dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war, dass der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsklägerin damit begonnen hatte, in einer Vielzahl von Verfahren Anträge auf Erlass von einstweiligen Verfügungen gegenüber zahlreichen, an unterschiedlichen Orten des Bundesgebietes ansässigen Firmen zu stellen, wobei im wesentlichen gleich gelagerte Sachverhalte vorgetragen wurden. So wurden in einem Zeitraum von ca. 2 Wochen allein bei den Kammern für Handelssachen des Landgerichtes Bonn nahezu ein Dutzend Verfahren anhängig gemacht, wobei an einem Verhandlungstag vier Verfahren zu verhandeln gewesen wären.
Im Ergebnis hob das Gericht die bereits erlassene einstweilige Verfügung wieder auf, da es aufgrund einer summarischen Prüfung zu der Erkenntnis gelangte, dass ein Missbrauchstatbestand im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG vorliegt und zudem auch die Dringlichkeitsvermutung des § 12 UWG nicht eingreift.
Das Gericht sah es aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als wahrscheinlich an, dass im vorliegenden wie in zahlreichen Parallelverfahren die Unterlassungsklägerin als Prozesspartei nur vorgeschoben und eigentlicher Akteur ihr Rechtsanwalt sei, der auf diese Weise die Kriterien, die der Gesetzgeber unter anderem in § 8 Abs. 3 Ziffer 2 und 3 UWG aufgestellt hat, zu umgehen versuche.
Nach Auffassung des Gerichts sei es im Ansatz selbstverständlich unbedenklich, dass ein Gewerbetreibender wie hier die Unterlassungsklägerin zum Beispiel den Internetauftritt eines Wettbewerbers einer kritischen Betrachtung unterzieht und durch seinen Prozessbevollmächtigten seine Beanstandungen durchzusetzen versucht. Wenn aber, wie hier, ein mittelständisches Unternehmen wie die Unterlassungsklägerin dazu übergehe, in kürzester Zeit eine Vielzahl von Verfahren anhängig zu machen, sei sehr wohl die Fragestellung nicht nur erlaubt, sondern nahe liegend, ob die formal als Verfügungsklägerin auftretende juristische Person nur vorgeschoben ist, dem eigentlichen Akteur also lediglich als Medium dient, um den Anschein des Vorgehens eines unmittelbaren Wettbewerbers zu erzeugen, wobei dem eigentlichen Akteur sehr wohl bewusst ist, dass er die vom Gesetzgeber aufgestellten Kriterien insbesondere zu § 8 Abs. 3 Ziffer 2 UWG gewiss nicht zu erfüllen vermag.
Das Gericht prüfte die vorliegenden Anhaltspunkte für eine Rechtsmissbräuchlichkeit von Amts wegen, wobei es den Verfügungsbeklagten im Widerspruch zur Rechtsprechung des OLG Köln (GR 1993, 571) von der Verpflichtung befreite, die grundsätzlich für die Antragsbefugnis sprechende Vermutung zu erschüttern. Das Gericht begründete dies damit, dass ihm hier Erkenntnisse vorlagen, die die Verfügungsbeklagten eben nicht hatten, nämlich das Anhängigmachen zahlreicher Verfahren in kürzester Zeit.
Soweit das OLG Köln in der vorgenannten Entscheidung die Rechtsauffassung vertrat, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Abmahnungen allein noch nicht auf ein missbräuchliches Ausnutzen der Klagebefugnis „schließen” lasse, folgte das LG Bonn dem ebenfalls nicht.
Insoweit führte das Gericht folgendes aus:
„(…) Gerade die Vielzahl der Verfahren, die nur die „Spitze des Eisbergs” darstellen, lässt doch wohl die Fragestellung als berechtigt erscheinen, was einen mittelständischen Betrieb wie die Fa. L. GmbH veranlasst haben mag, anstatt Motoren instand zu setzen, die Erfüllung von Hinweispflichten und dergleichen in Internetauftritten von Wettbewerbern in einer Vielzahl von Verfahren überprüfen zu lassen und mit nicht unerheblichem Kostenrisiko zum Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Verfahren zu machen. Das ist gewiss nicht das Kerngeschäft der Fa. L, wohl aber das Kerngeschäft des Rechtsanwaltes F, der ohne Benutzung eines Gewerbetreibenden die privilegierenden Kriterien eines Vorgehens eines unmittelbaren Wettbewerbers nicht nutzen könnte, während er bei der gewählten Vorgehensweise nach der Aufstellung einiger Satzbausteine in einer Vielzahl von Verfahren die Hoffnung haben kann, üppige Einkünfte zu erzielen, an die vermutlich derjenige teilweise beteiligt sein wird, der hier seinen Namen als Wettbewerber hergibt. (…)”
Neben den Anhaltspunkten für Rechtsmissbrauch sah das Gericht im vorliegenden Fall auch die Voraussetzung der Dringlichkeit nicht für gegeben an. Zwar ist bei wettbewerbswidrigen Handlungen nach § 12 UWG die Dringlichkeit grundsätzlich zu vermuten. Die gesetzliche Vermutung sah das Gericht hier jedoch als widerlegt an.
Insoweit führte das Gericht folgendes aus:
„(…) Würde es um die Beanstandung von irgendwelchen Klauseln in Katalogen gehen, käme niemand auf den Gedanken, Klauseln von Katalogen, die seit Jahren gebraucht werden, im einstweiligen Verfügungsverfahren unter Berufung auf die Dringlichkeitsvermutung überprüfen zu lassen mit der Erklärung, erst jetzt hiervon Kenntnis erlangt zu haben und unter Berufung darauf, dass jedenfalls der überwiegende Teil der Rechtsprechung eine Marktbeobachtungspflicht negiert. Ähnlich ist es mit der Überprüfung von Zeitungsanzeigen zum Beispiel von Maklern, womit sich jahrzehntelang kalte Abmahnvereine nicht ausgelasteter Rechtsanwälte beschäftigt haben. Anders als bei den Webseiten von Internetauftritten ist bei Zeitungsanzeigen und Katalogen in aller Regel unschwer feststellbar, seit wann die beanstandeten Klauseln beziehungsweise Aussagen verwendet werden. Anders ist es bei dem seit einigen Jahren immer gewichtigeren Medium Internet. Wann in den vorliegenden Verfahren die beanstandeten Klauseln erstmals gebraucht wurden, ist völlig ungeklärt. Das mag schon seit Jahren so sein. Warum also auch hier die Dringlichkeitsvermutung des § 12 UWG eingreifen soll, die der Gesetzgeber zu Zeiten konstatiert hat, als es ein Internet noch nicht gab oder doch jedenfalls noch nicht gebräuchlich war, ist unerfindlich und zumindest dann nicht sachgerecht, wenn parallel hierzu Grund für die Annahme besteht, dass ein missbräuchliches Vorgehen im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG vorliegt, was hier der Fall ist. (…)”
Fazit
Das LG Bonn hat mit seiner Entscheidung die Tür für den Einwand des Rechtsmissbrauchs in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten sehr weit geöffnet. Grundsätzlich wird dieser Einwand von den deutschen Gerichten jedoch nach wie vor sehr restriktiv gehandhabt. So hat etwa das OLG Köln in mehreren vergleichbaren Fällen einen Rechtsmissbrauch verneint. Es bleibt also abzuwarten, ob das Urteil des LG Bonn, gegen das bereits Berufung eingelegt wurde, Bestand haben wird.
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S. Hofschlaeger / PIXELIO
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